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       # taz.de -- Covid-Restriktionen in Belgien: Jagdszenen im Brüsseler Stadtwald
       
       > Belgiens Polizei geht brutal gegen die Teilnehmer einer Open-Air-Party in
       > einem Park vor. Die sollte eigentlich ein Aprilscherz sein.
       
   IMG Bild: Flucht vor dem Wasserwerfer der Polizei im Brüsseler Stadtwald
       
       Brüssel taz | Eine fröhliche Frühlingsfete mit rund 2.000 Schülern und
       Studierenden ist am Donnerstagnachmittag in Brüssel in eine wilde Schlacht
       mit der Polizei ausgeartet. Die Ordnungshüter schritten ein, um Belgiens
       strikte Coronamaßnahmen durchzusetzen.
       
       Doch hatte ein Gericht diese Maßnahmen am Vortag für unrechtmäßig erklärt.
       Nach dem Gerichtsurteil muss Belgien innerhalb von 30 Tagen alle
       Coronamaßnahmen zurücknehmen. Die Liga für Menschenrechte hatte den
       belgischen Staat verklagt, weil die Maßnahmen keine Rechtsgrundlage hätten.
       
       Das Urteil sieht nun eine Strafe von 5.000 Euro täglich, aber maximal
       200.000 Euro vor, falls es nicht umgesetzt wird. Die Regierung zeigte sich
       vom Urteil unbeeindruckt und ließ gleich am nächsten Tag mit aller Härte
       zuschlagen. Mit dem Polizeieinsatz im Brüsseler Stadtwald Bois de la Cambre
       sollte offenbar ein Exempel statuiert werden.
       
       Zu der nicht genehmigten boum hatten Unbekannte in den sozialen Medien
       aufgerufen – dann aber klargestellt, dass es sich um einen Aprilscherz
       handelte. Das zunächst friedliche Fake-Festival, auf dem die Abstandsregeln
       missachtet wurden, degenerierte schnell zur offenen Feldschlacht. Gesteuert
       von einem Hubschrauber und Drohnen, zogen Polizeihundertschaften, Reiter-
       und Hundestaffeln auf.
       
       ## Kein Versuch zur Deeskalation
       
       Die Jugendlichen, die auf einer großen Wiese tanzten und sangen, wurden zur
       Heimkehr aufgefordert. Als sie nicht spurten, rückte die Polizei vor.
       Berittene Beamte machten Jagd auf Minderjährige. Wer zufällig im Weg stand,
       wurde niedergerissen. Die Sicherheitskräfte setzten auch Tränengas und
       Wasserwerfer ein, um die Wiese zu räumen.
       
       Es gab weder den Versuch zu deeskalieren noch die Möglichkeit zum
       geordneten Rückzug. Viele Jugendliche, aber auch unbeteiligte
       Spaziergänger, wurden von dem massiven Einsatz überrascht. Widerstand gab
       es kaum, sieht man von lauten „Liberté!“-Rufen und sporadischen
       Flaschenwürfen ab.
       
       Doch am Abend eskalierte die Gewalt. Der Brüsseler Stadtwald glich einem
       Schlachtfeld, Flammen loderten, die Polizei ging mit Wasserwerfern gegen
       brennende Barrikaden und betrunkene Jugendliche vor. Nach einer vorläufigen
       Bilanz wurden 26 Polizisten und acht „Demonstranten“ verletzt. 22 Personen
       wurden festgenommen.
       
       ## Bürgermeister: Fete sei „Ohrfeige für das Pflegepersonal“
       
       Bürgermeister Philippe Close und [1][Premierminister Alexander De Croo]
       stellten sich hinter die Polizei. Close erklärte, er könne zwar verstehen,
       dass es die Menschen bei dem frühlingshaften Wetter nach draußen ziehe,
       aber „wir können solche Versammlungen nicht tolerieren“. Das Treffen sei
       „eine Ohrfeige für das Pflegepersonal“.
       
       Die Opposition kritisierte das Vorgehen der Polizei und der Stadt Brüssel.
       Sie habe es versäumt, die Zugänge zum Stadtwald zu regeln oder zu sperren.
       Dabei waren die Verantwortlichen vorgewarnt. Der Aufruf zur boum war
       frühzeitig bekannt geworden. Zudem hat es in Brüssel schon mehrmals größere
       „Feten“ und „Picknicks“ gegeben.
       
       Sie sind Ausdruck der wachsenden Ungeduld und Frustration. In Belgien
       gelten härtere Coronamaßnahmen als in Deutschland. Zwar waren die Schulen
       bis zum neuerlichen Lockdown vor einer Woche weitgehend offen, doch nachts
       herrscht eine strikte Ausgangssperre. Im Freien dürfen sich maximal vier
       Personen treffen.
       
       Die rigorosen Einschränkungen konnten die „dritte Welle“ nicht verhindern.
       Zudem fehlt ihnen die Rechtsgrundlage. Die belgische Regierung stützt sich
       auf ein Gesetz für Evakuierungen in Katastrophenfällen. Es wurde 2007 nach
       einer Gasexplosion verabschiedet und nicht an die Coronapandemie
       angepasst. Das will Premierminister De Croo nun schleunigst nachholen –
       bevor die Lage weiter eskaliert.
       
       2 Apr 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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