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       # taz.de -- Neue Abitur-Anforderungen in Hamburg: „Knallhart-Abi“ verschoben
       
       > Hamburgs Schulbehörde will das Abi schwerer machen. Elternräte und
       > Schulleiter hatten Kritik an den Plänen und forderten ein Moratorium –
       > mit Erfolg.
       
   IMG Bild: Es gab schon schlechtere Sprüche auf Abi-Pullovern: Abi-Prüfung im Mai 2020 in Ravensburg
       
       Hamburg taz | Während sich Hamburgs Schulen auf das nächste Abitur unter
       Corona vorbereiten, sorgt unter Elternräten eine neue Abitur-Verordnung für
       Unruhe. „Wir sind aus allen Wolken gefallen, als wir das lasen“, sagt Vater
       Thomas Neitzel. Die Verordnung wirke so, als ob in Hamburg der Wunsch nach
       einem besonders schwierigen Abitur bestehe, ergänzt Torsten Schütt,
       Sprecher der Gemeinschaft der Elternräte an Stadtteilschulen. „Dadurch
       haben Bildungsferne noch weniger Möglichkeiten, das Abitur zu machen. Ich
       weiß nicht, was das soll.“
       
       Es geht um den Entwurf einer neuen „Ausbildungs- und Prüfungsordnung zum
       Erwerb der allgemeinen Hochschulreife“. Bisher müssen Schüler von den
       Kursen, die sie in der Oberstufe belegen, 32 Noten in die Abiturnote
       einbringen. Da sie oft 34, 36 oder 38 Kurse belegten, konnten sie schlechte
       Noten weglassen. Laut dem Entwurf sollen Oberstufler 42 Kurse belegen und
       40 davon in die Abiturwertung einbringen.
       
       Die Schulbehörde begründet diesen Schritt mit einem Passus im sogenannten
       „[1][Schulfrieden]“, der kurz vor der letzten Bürgerschaftswahl
       [2][zwischen CDU, SPD, Grünen und FDP geschlossen] wurde, sowie mit neuen
       Vorgaben der Kultusminister.
       
       Torsten Schütt hat sich bundesweit umgesehen. Es gibt viele Länder, die
       einen Korridor von 32 bis 36 Kursen oder 34 bis 40 Kursen vorgeben. Auch
       die aktuelle Vereinbarung der Kultusministerkonferenz erlaubt einen
       Korridor von 32 bis 40 Kursen. „Ich verstehe nicht, warum Hamburg den
       Musterschüler geben muss und sich mit der Vorschrift, 40 Kurse
       einzubringen, an die Spitze stellt“, sagt Schütt. Das machten Bayern und
       Baden-Württemberg, das passe aber nicht zu einem Stadtstaat wie Hamburg.
       
       ## Engere Vorschriften bei der Wahl der Kurse
       
       Der neue Entwurf für die Prüfungsordnung der Hochschulreife schreibt
       zugleich enger vor, welche Kurse belegt werden müssen. Auch das passe nicht
       zu Hamburgs fächerübergreifendem Lernen in der Profiloberstufe und führe zu
       einem „Einheitsbrei“, sagt Schütt. So müssen neben den Hauptfächern zwei
       Naturwissenschaften oder eine Naturwissenschaft und eine zweite
       Fremdsprache oder eine Naturwissenschaft und Informatik belegt werden.
       Außerdem ist das Fach Politik vorgeschrieben.
       
       Zudem sollen die übrigen Fächer nur noch höchstens zwei- bis dreistündig
       pro Woche unterrichtet werden. „Damit fällt Zeit weg für die Anwendung des
       Stoffs und die Wiederholung“, sagt Thomas Neitzel, der sich im Vorstand der
       Vereinigung der Elternratsvorsitzenden der Gymnasien engagiert. Da zugleich
       die Bildungspläne nicht reduziert werden, führe auch dieses zur
       Benachteiligung bestimmter Schülergruppen.
       
       Schütt und Neitzel kristisieren auch den Ablauf, nach dem die neuen Regeln
       festgelegt werden sollen. Man habe den Eindruck, die Behörde gehe der
       Diskussion aus dem Weg. So liegt der Entwurf der Prüfungsordnung erst seit
       Ende März den schulischen Kammern zur Stellungnahme vor, nur bis 20. April
       haben sie dafür Zeit. Die Bitte der Elternräte um ein Gespräch hat die
       Behörde abgewiesen.
       
       „Ich habe die Sorge, dass hier ein Rollback unter der Wahrnehmungsschwelle
       passiert, weil alle mit der Pandemie beschäftigt sind“, sagt auch Mathias
       Morgenroth-Marwedel von der Vereinigung der Schulleitungen der
       Stadtteilschulen. Die Schulleitungen seinen nicht mal zu der Sache gehört
       worden. Auch sie fordern, es müsse weiterhin einen Korridor von 34 bis 40
       einzubringenden Kursen geben. Mit der Vorgabe von 40 Kursen verschenke
       Hamburg unnötig Handlungsspielraum, „vielleicht mit dem politischen Ziel,
       ein,Knallhart-Abi' zu haben“.
       
       ## Schuld ist der Schulfrieden
       
       Morgenroth-Marwedel fordert ein Moratorium für die Vereinbarungen aus dem
       Schulfrieden. Man müsste sie im Licht der Pandemie neu bewerten.
       
       Behördensprecher Peter Albrecht verweist bei den geplanten Änderungen
       ebenfalls auf den Schulfrieden. Es handele sich nur um „wenige Eingriffe“,
       die das System nicht tiefgreifend änderten. Weil es zum Schulfrieden einen
       Bürgerschaftsbeschluss gebe, sei die Sache nicht Gegenstand der „sonst
       üblichen ausführlichen Gremienverfahren“.
       
       Nach taz-Informationen kündigte Senator Rabe am Freitag Vormittag auf der
       Schulleiter-Dienstbesprechung an, dass die geplanten Veränderung der
       Abitur-Verordnung so nicht umgesetzt und vertagt werden soll. Bezüglich der
       Anzahl der einzubringenden Kurse werde man jetzt noch einmal den Vergleich
       zu Oberstufen in anderen Bundesländern anschauen. Eingeführt werde nur die
       ebenfalls geplante die fünfte Mathestunde im Jahrgang 11 der
       Stadtteilschule und die Zeit für die sogenannte Präsentationsprüfung.
       
       „Wir begrüßen das sehr“, sagt Torsten Schütt. „Die Zeit sollte jetzt
       genutzt werden, um mit allen Beteiligten eine für Hamburg angemessene
       Lösung zu finden.“
       
       Anmerkung der Redaktion: Der Artikel wurde aktualisiert. In einer früheren
       Version war die Rede davon, dass die Schulbehörde eine Verschiebung der
       neuen Abitur-Verordnung lediglich in Aussicht stellt. Diese Verschiebung
       wurde mittlerweile bestätigt.
       
       16 Apr 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Hamburger-Vorwahlkampf/!5586204
   DIR [2] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/74855/stellungnahme_des_senats_zum_ersuchen_der_buergerschaft_vom_25_september_2019_rahmenvereinbarungen_zur_sicherung_des_schulstrukturfriedens_drucksach.pdf
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kaija Kutter
       
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