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       # taz.de -- Corona-Impfungen beim Hausarzt: Das Glück beim Doktor
       
       > Ein besonderer Tag für Anita Drews: Endlich wird sie geimpft – und das um
       > die Ecke. Die Nachfrage beim Hausarzt übersteigt das Angebot mehrfach.
       
   IMG Bild: Die Ärztin Wiebke Bergner zeigt eine Spritze mit dem Impfstoff von Biontech in ihrer Praxis
       
       Berlin taz | Heute nur Impftermine“ steht auf einem kleinen weißen Schild
       vor der Praxis am Maybachufer in Berlin-Neukölln. Es ist ein sonniger Tag,
       die Menschen flanieren am Landwehrkanal, der Frühling liegt in der Luft –
       und damit auch die Hoffnung auf bessere Zeiten. Ein besonders guter Tag ist
       es für Anita Drews: Die 57-Jährige erhält heute ihre lang ersehnte
       Covid-19-Impfung. „Ich bin sehr froh darüber“, sagt Drews. Auch, weil sie
       hier bei ihrer Hausärztin geimpft werden kann und nicht ins Impfzentrum
       fahren muss: „Hier ist es familiärer. Ich kenne die Praxis schon lange und
       sie kennen mich.“
       
       So wie Anita Drews geht es an diesem Freitag noch 23 weiteren
       Berliner*innen, die in der Praxis ihre Erstimpfung erhalten, darunter vor
       allem Menschen mit chronischen Erkrankungen, die ein hohes Risiko für eine
       Covid-19-Erkrankung tragen. Lange haben sie auf die begehrte Spritze
       gewartet. Umso größer war die Freude, als sie von ihrer Hausarztpraxis
       angerufen wurden.
       
       Verimpft wird die Biontech-Vakzine „Comirnaty“. Drei Feindosierspritzen
       liegen fertig abgefüllt in einer Nierenschale im Behandlungszimmer bereit.
       Sie sind am Morgen von den Mitarbeiterinnen der Praxis vorbereitet worden.
       Dabei muss der Impfstoff, der in kleinen Glasampullen geliefert wird,
       mehrmals geschwenkt und mit einer Kochsalzlösung verdünnt werden, bevor er
       in die feinen Spritzen aufgezogen wird. Das alles geschieht unter größter
       Vorsicht. „Der Impfstoff ist super empfindlich, den darf man nicht
       erschüttern“, sagt Allgemeinmedizinerin Dr. Wiebke Bergner, die heute
       mehreren Patient*innen die erste Impfdosis verabreicht.
       
       Eine der Spritzen ist für Anita Drews vorgesehen. Um halb zwölf sitzt sie
       gut gelaunt im Behandlungsraum. Ärztin Bergner kontrolliert zunächst die
       Unterlagen, dann folgt die Impfaufklärung. Bergner erklärt, welche
       typischen Impfreaktionen zu erwarten sind und ab wann der volle Impfschutz
       besteht. Nur noch ein kurzer Piks, und schon ist alles erledigt: der
       Impfstoff im Arm, die Patientin glücklich. Nach weniger als zehn Minuten
       verlässt Drews das Behandlungszimmer, eine halbe Stunde soll sie aber noch
       zur Nachbeobachtung in der Praxis bleiben. „Dann können wir einfach besser
       auf Sie aufpassen“, sagt Bergner.
       
       ## „Mehr Patienten als Impfstoff“
       
       Am Empfang der Praxis herrscht derweil reger Betrieb. Immer wieder klingelt
       das Telefon, immer wieder kommen Menschen herein und möchten sich auf die
       Liste für die Impfungen setzen lassen. Nicht alle sind damit erfolgreich,
       auch hier geht es nach dem Priorisierungsplan. „Es gibt mehr Patienten, die
       geimpft werden möchten, als wir Impfstoff haben“, sagt Michelle Reitz,
       medizinische Fachangestellte in der Praxis. 48 Dosen haben sie in der
       ersten Woche erhalten, in der darauf folgenden sind es nur 30. Es stehen
       aber rund 300 Menschen, die vorrangig geimpft werden sollen, auf ihrer
       Liste.
       
       Bundesweit wurden nach Angaben des [1][Gesundheitsministerium]s in der
       Woche nach Ostern insgesamt 941.850 Biontech-Impfdosen an 35.000 Arztpraxen
       ausgeliefert. In der zweiten Woche sollen es rund eine Million Dosen sein.
       Allerdings haben auch mehr Praxen Bedarf angemeldet, insgesamt 45.000, wie
       die [2][Kassenärztliche Bundesvereinigung] meldet.
       
       Trotz leicht angestiegener Menge der Impfdosen dürften die Lieferungen also
       für einige Praxen geringer ausfallen als in der Vorwoche. Und auch die
       Woche ab dem 19. April verspricht noch keine nennenswerten Besserungen.
       Jüngst kursierten zudem Medienberichte über eine Kürzung der
       Impfstofflieferungen an die Praxen. Zwar beschwichtigte
       Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU): Die Liefermenge bleibe gleich,
       sie setze sich lediglich ab Ende April anteilig aus der Biontech- und der
       [3][AstraZeneca]-Vakzine zusammen.
       
       ## AstraZeneca hat einen schlechten Ruf
       
       Doch hat letztere inzwischen auch in den Praxen einen schlechten Ruf. „Die
       Patienten sind immer erleichtert, wenn sie hören, dass ich mit Biontech
       impfe“, erzählt Monika Buchalik, Allgemeinmedizinerin in Maintal und
       Vizepräsidentin der Landesärztekammer Hessen. Auch andere Praxen berichten
       von Akzeptanzproblemen mit AstraZeneca.
       
       Zudem wünschen sie sich mehr Planungssicherheit. Immer Donnerstags erfahren
       die Praxen, wie viel Impfstoff sie jeweils in der folgenden Woche erhalten.
       Ob wirklich alle zugesagten Dosen ankommen, wisse sie aber letztlich erst
       im Moment der Lieferung, sagt Dr. Irmgard Landgraf, internistische
       Hausärztin in Berlin-Steglitz und Vorstandsmitglied des
       [4][Hausärzteverbands Berlin-Brandenburg]. „An dieser Impfung hängt ganz
       viel für die Menschen. Da fließen Tränen der Entlastung, Tränen der
       Dankbarkeit.“ Wenn Impftermine wieder abgesagt werden müssten, weil
       Lieferungen ausfallen, verunsichere das die Menschen.
       
       Was die Impfung bedeutet, das spürt man an diesem Tag auch in der Praxis am
       Maybachufer. Die Patient*innen, die hier heute ein- und ausgehen, wirken
       hoffnungsvoll, optimistisch und vor allem: erleichtert. Impfling Christoph
       Lange, der seine Spritze bereits am Tag zuvor bekommen hat, erzählt: „Ich
       war wahnsinnig glücklich, ich war den Tränen nah vor Freude.“
       
       Zweifel oder Sorgen vor den Nebenwirkungen habe er keine gehabt, sagt
       Lange, der seinen richtigen Namen nicht veröffentlicht sehen möchte: „Ich
       bin ohnehin ein Nerd und hab mich total informiert über alles.“ Damit
       scheint er nicht der Einzige zu sein: Viele seien schon vor dem Termin sehr
       gut aufgeklärt, sagt Wiebke Bergner. „Ich bin erstaunt, wie wenig
       Nachfragen kommen. Einigen ist nicht klar, wann der Impfschutz einsetzt,
       ansonsten sind die meisten Patient*innen sehr gut informiert.“
       
       Sie sagt aber auch:„Viele hoffen natürlich, dass es das jetzt war. Dass wir
       aber vermutlich noch längere Zeit mit Corona zu tun haben, das ist noch
       nicht allen klar.“ Zugleich ärgert sich die Ärztin über die Fehler, die die
       Politik in dieser Pandemie gemacht habe. „Es ist schlimm, was die Menschen
       ausbaden müssen in diesem Jahr. Fast 80.000 Coronatote bei uns, das ist
       sehr, sehr viel“, sagt Bergner. „Man darf auch nicht vergessen, dass hinter
       diesen ganzen Zahlen Menschen, Angehörige und Familien stehen. Das ist ein
       großes Drama.“
       
       ## Mit den Hausärzten bekommt die Impfkampagne Tempo
       
       Viel Kritik gab es in den vergangenen Monaten daher auch am schleppenden
       Impffortschritt in Deutschland. Doch hier könnte sich nun etwas tun: Mit
       dem Start der Impfungen in den Hausarztpraxen hat die Impfkampagne an Fahrt
       aufgenommen, an den Statistiken kann man deutlich erkennen, wie die Zahlen
       nach oben schießen. Am 7. April haben die Impfungen in den Praxen begonnen,
       für den gleichen Tag meldet das [5][Robert Koch-Institut] insgesamt 670.697
       verabreichte Impfdosen – mehr als jemals zuvor an einem Tag verimpft wurde.
       Über 300.000 dieser Dosen wurden in den Hausarztpraxen verimpft.
       
       Die Allgemeinmedizinier*innen sehen darin ein eindeutiges Signal:
       Die Menschen gingen eben doch lieber in ihre Hausarztpraxis als ins
       Impfzentrum. „Viele haben gesagt, sie würden sich nur bei uns impfen
       lassen“, erzählt Irmgard Landgraf. „Ich kenne die Patienten, ich kann ihnen
       die Ängste besser nehmen.“ Auch Monika Buchalik ist überzeugt: „Das
       Vertrauensverhältnis fördert die Impfakzeptanz.“
       
       Die niedergelassenen Ärzt*innen sind stolz darauf, ihren Beitrag zum
       Impffortschritt leisten zu können, sagen aber auch: Da wäre noch viel mehr
       drin. Wiebke Bergner schätzt, dass bei ihnen in der Praxis bis zu 100
       Impfungen pro Woche möglich wären. Aus anderen Praxen sind ähnliche Zahlen
       zu hören. Um die Impfkapazität der Hausarztpraxen auszuschöpfen, seien
       daher rund vier bis fünf Millionen Dosen pro Woche erforderlich, schätzt
       der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt.
       
       Mit mehr Impfstoff könnte auch bald die strikte Priorisierung aufgelöst
       werden, so die Hoffnung vieler Hausärzt*innen.
       
       ## Lästige Bürokratie
       
       Und noch ein Wunsch an die Politik ist aus vielen Arztpraxen zu hören:
       weniger Bürokratie. Sechs Seiten umfassen Aufklärungs- und
       Einwilligungsbögen für die Impfung, zahlreiche Fragen müssen beantwortet
       und Unterschriften gesetzt werden, bevor der Impfling den Ärmel
       hochkrempeln kann. Und mit dem Piks ist es noch nicht erledigt. Für die
       Hausärzt*innen und Mitarbeiter*innen folgt dann eine aufwendige
       Nachbereitung: Dokumentation, Abrechnung, Meldung ans Robert Koch-Institut.
       Auch deshalb hat die Praxis am Maybachufer an den ersten beiden Impftagen
       den normalen Praxisbetrieb vollständig eingestellt.
       
       „Das ist auf jeden Fall sehr viel mehr Aufwand als jede andere Impfung“,
       sagt Mitarbeiterin Michelle Reitz, während sie Unterlagen sortiert und
       Papiere stempelt. „Das alles in den normalen Praxisalltag zu integrieren,
       das wird auf jeden Fall schwierig.“ Als medizinische Fachangestellte
       übernehmen sie und ihre Kolleginnen viele der Aufgaben, die durch die
       Impfungen anfallen „Das ist schon eine enorme Zusatzbelastung“, sagt Reitz.
       Auch Hausärztin Monika Buchalik erzählt von der hohen Stressbelastung ihrer
       Mitarbeiter*innen. Anstrengend seien vor allem die vielen Telefonate.
       „Meine Mitarbeiterinnen können nicht mehr, die sind mittags fix und
       fertig“, sagt Buchalik. Die Allgemeinmedizinerin fordert daher einen
       Coronabonus für medizinische Fachangestellte – auch als Anerkennung für
       deren wertvolle Arbeit.
       
       In der Praxis am Maybachufer haben die Mitarbeiter*innen es für diesen
       Tag geschafft. Um kurz nach zwölf kehrt langsam Ruhe ein, das Wartezimmer
       ist leer, nur vereinzelt kommen noch Patient*innen zur Impfung. Auch
       Anita Drews kann nun gehen, am Empfang vereinbart sie noch schnell ihren
       zweiten Impftermin – im Mai wird sie endlich vollständig geimpft sein. „Das
       ist ein kleiner Hoffnungsschimmer, aus dieser Isolation herauszukommen“,
       sagt sie. „Das gibt mir Kraft für den Endspurt – noch durchzuhalten.“
       
       14 Apr 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/
   DIR [2] https://www.kbv.de/html/
   DIR [3] /Internist-ueber-Impfen-mit-AstraZeneca/!5764791
   DIR [4] https://www.bda-hausaerzteverband.de/
   DIR [5] https://www.rki.de/DE/Home/homepage_node.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alena Weil
       
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