# taz.de -- Gesetzentwurf in Frankreich: Senat will ans Kopftuch ran
> Die Senator:innen haben für Verschärfungen am Gesetz zur „Stärkung
> der republikanischen Prinzipien“ gestimmt. Das würde Muslim:innen
> treffen.
IMG Bild: Kultstätten wie Moscheen, hier in Straßburg, sind von den Änderungsanträgen ebenfalls betroffen
Paris taz | Bruno Retailleau, der Fraktionschef von Les Républicains (LR),
hatte es versprochen: Die konservative Mehrheit in Frankreichs Senat werde
alles tun, um die von den Abgeordneten bereits verabschiedete
Regierungsvorlage zur Stärkung der Laizität aufzurüsten, um so den Kampf
gegen den „Islamismus“ oder „separatistischen“ Tendenzen eines „politischen
Islam“ zu führen.
Das Ergebnis übertrifft die Befürchtungen: Vor der Schlussabstimmung waren
diverse Ergänzungsanträge verabschiedet worden, die religiöse Praktiken in
den Hochschulen oder sichtbare Zeichen religiöser Zugehörigkeit wie
Kopftücher in zusätzlichen Bereichen der Öffentlichkeit wie Sportanlässen
sowie die Gründung von religiösen Privatschulen oder die Finanzierung von
Kultstätten mit Bewilligungspflicht erschweren oder verbieten sollen. Auch
religiös markierte Kandidaturen bei Wahlen sollen untersagt werden.
Vor dem Hintergrund von Terroranschlägen setzt die Regierung des
Präsidenten Emmanuel Macron im Kampf gegen Islamismus [1][auf das Gesetz
zur „Stärkung der republikanischen Prinzipien“]. Inhaltlich befasst es sich
etwa mit Hass im Netz. Premierminister Jean Castex versichert unermüdlich,
das Vorhaben richte sich nicht gegen Religion. [2][Viele befürchten dennoch
eine diskriminierende Anwendung].
Mit insgesamt 139 Änderungsanträgen ist im Senat diese Gesetzesvorlage
abgeändert worden. Die Debatte hatte dabei oft die Form eines Wettstreits
mit sich überbietenden Vorschlägen hinsichtlich islamischer
Kleidervorschriften und Praktiken. So soll laut Senat das Beten in
Korridoren der Universitäten untersagt werden, obschon die Konferenz der
Hochschulpräsidenten erklärte, solche Praktiken seien ihnen so gut wie
unbekannt. Vergeblich sagte auch die Grüne Esther Benbassa ihren rechten
Ratskolleg:innen: „In 17 Jahren als Dozentin habe ich nie jemanden im
Korridor beten gesehen.“
## Wettstreit mit Ideen für zusätzliche Restriktionen
Das überzeugte die konservativen Senator:innen von der Partei Les
Républicains (LR) überhaupt nicht. Diese lieferten sich untereinander und
dem rechtsextremen Rassemblement national (RN) geradezu einen Wettstreit
mit Ideen für zusätzliche Restriktionen im Namen der Laizität – ohne dabei
aber die Muslime beim Namen zu nennen. Die LR-Senatorin Jacky Deromedi
wollte den Eltern von Kindern, die die Schule schwänzen, die Kinderbeihilfe
kürzen oder vorenthalten mit dem Argument: „Es sind meist Problemkinder,
die ein wenig aus der Immigration kommen, Kinder, die nicht… hmm, wie soll
ich sagen…“
Ebenfalls angenommen wurde der Antrag, bei Hochzeiten im Rathaus fremde
Fahnen zu untersagen. Per Gesetz verbieten möchten die Senatoren auch den
„Burkini“ in öffentlichen Schwimmbädern, obschon solche Bekleidungen
inzwischen, wie unterstrichen wurde, bereits durch die internen
Hausordnungen geregelt worden sind.
„Die rechte Senatsmehrheit hat den Gesetzestext in ein Wahlkampfflugblatt
verwandelt“, seufzte am Ende der Debatte die sozialistische Senatorin
Marie-Pierre de La Gontrie. Sie hat demnach den Eindruck, dass sich
Vertreter der Rechten wenige Monate vor den Regionalwahlen aus sehr
durchsichtigen Interessen mit ihren Vorstößen, die den Islam in Frankreich
in die Schranken weisen sollen, bei einer islamophoben Wählerschaft
profilieren wollen. „Um ein Haar hätte die Rechte auch noch die Babouches
(die orientalischen Pantoffeln) verboten“, scherzt Nathalie Goulet, eine
Senatorin des Zentrums.
„Dieser Text ist ein wahres Gruselkabinett mit Freiheitsbeschränkungen, die
fast sicher beim Verfassungsgericht gekippt werden“, kommentierte auch ihr
Fraktionskollege Loïc Hervé, der wie Goulet gegen die verschärfte Version
gestimmt hat. Die Fraktion der Regierungspartei En marche enthielt sich der
Stimme, die linke Minderheit votierte geschlossen dagegen.
Noch sind die Änderungen des Senats aber nicht endgültig.Damit sie am Ende
im Gesetz auftauchen, muss auch die Nationalversammlung sie billigen. In
dieser verschärften Form dürfte die Gesetzesvorlage in der zweiten Lesung
in der Nationalversammlung kaum Chancen habe.
13 Apr 2021
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## AUTOREN
DIR Rudolf Balmer
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