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       # taz.de -- Maßnahmen gegen dritte Coronawelle: Angebotsgebot statt Testpflicht
       
       > Arbeitgeber:innen sind nun verpflichtet, Beschäftigten regelmäßig
       > Coronatests anzubieten. Doch ob das funktioniert, ist sehr
       > zweifelhaft.
       
   IMG Bild: Testen oder nicht testen – das ist in Betrieben weiterhin die Frage
       
       Die Bundesregierung [1][nennt es „Testpflicht“], aber der Begriff führt in
       die Irre. Angebotsgebot ist die treffendere Bezeichnung für das, was das
       Bundeskabinett am Dienstag beschlossen und was Bundesarbeitsminister
       Hubertus Heil (SPD) mit seiner Unterschrift unter der geänderten Verordnung
       zum Arbeitsschutz auf den Weg gebracht hat: Ab kommender Woche müssen
       Unternehmen ihren Beschäftigten mindestens einmal pro Woche einen
       Coronatest anbieten, wenn die nicht im Homeoffice sind. In Branchen mit
       erhöhtem Risiko etwa wegen großem Publikumsverkehr sollen es zwei Test
       wöchentlich sein. Das sind laut Heil rund 30 Prozent der Berufe. Zur
       Erinnerung: Tests geben Sicherheit für 24 Stunden, mehr nicht. Die
       Kontrollfrequenz ist also viel zu niedrig.
       
       Immerhin: Statt fruchtloser Appelle hat sich die Bundesregierung endlich
       entschlossen, den weiterhin arbeitenden Unternehmen klare Vorgaben zu
       machen – und sie nicht wie bisher auf Kosten des Infektionsschutzes zu
       schonen. Wirtschaftsverbände haben sich vehement gegen das Angebotsgebot
       gewehrt und damit einmal mehr gezeigt, dass sie nicht die richtigen Partner
       in der Pandemiebekämpfung sind. Während ein Teil der Wirtschaft komplett
       stillgelegt ist, darf der Rest, von wenigen Regeln abgesehen, auch auf
       Druck von Wirtschaftslobbyisten einfach weitermachen wie bisher. Das ist
       fatal.
       
       Das von den Betrieben zu [2][finanzierende Testangebotsgebot] ist richtig.
       Aber es ist ungewiss, ob Heil mit den gewählten Vorgaben tatsächlich das
       Ziel erreicht, dass Arbeitnehmer:innen regelmäßig flächendeckend
       getestet werden. Unternehmen, die bislang so verantwortungslos waren und
       ihren nicht im Homeoffice arbeitenden Leuten keine Tests zur Verfügung
       gestellt haben, haben leider gute Chancen damit weiter durchzukommen. Auch
       wenn das ihren eigenen ökonomischen Interessen völlig zuwiderläuft. Aber
       Gewinnstreben und der Drang, Kosten zu vermeiden, führen eben keineswegs
       automatisch zu rationalem Handeln.
       
       Eigentlich müssten Arbeitgeber:innen ein großes Eigeninteresse haben,
       gerade symptomlose Beschäftigte mit einer Coronainfektion so früh wie
       möglich zu entdecken und so Kettenansteckungen in der Belegschaft zu
       verhindern. Wegen Krankheit ausfallende Beschäftigte sind einfach nicht
       wirtschaftlich, mehrere Ausfälle auf einmal schaden enorm. Trotzdem können
       sich Arbeitnehmer:innen nach Heils Angaben erst in 60 Prozent der
       Betriebe regelmäßig testen lassen.
       
       ## Zu leicht zu umgehen
       
       Dabei ist nach dem Privatbereich Heil zufolge der Arbeitsplatz der Ort, an
       dem die meisten Infektionen stattfinden. „Der Teil der Wirtschaft, der
       offen bleibt, ist gefordert, einen Beitrag zu leisten“, sagte Heil bei der
       Vorstellung des Angebotsgebots.
       
       Bis Ende Juni müssen Unternehmen deshalb die Coronakontrollen anbieten, das
       sieht die geänderte Arbeitsschutzverordnung vor, die fünf Tage nach ihrer
       Veröffentlichung in der kommenden Woche in Kraft tritt. Aber: Für
       Unternehmen ist es leicht, sich zu entziehen. Die Kontrolle des
       Testangebots ist Sache der Arbeitsschutzbehörden der Ländern und der
       Berufsgenossenschaften. Im „Zweifelsfall“ würden sie Stichproben vornehmen,
       sagte Heil. Verweigern Chef:innen das Angebot, können sich Beschäftigte
       an die Behörden wenden.
       
       Dass die bis Ende Juni auf Beschwerden hin in die Gänge kommen – nicht sehr
       wahrscheinlich. Unternehmen droht ein Bußgeld, wenn sie sich verweigern.
       Sie können sich also freikaufen. Zumal das Bußgeld nicht automatisch fällig
       wird, wenn nicht getestet wird. Denn der Staat ist ziemlich kulant. „Es
       reicht der Bestellschein, um nachzuweisen, dass man sich bemüht hat, Tests
       zu bekommen“, sagte Heil. Auch Lieferverzögerungen würden akzeptiert. Das
       ist geradezu eine Einladung für Ausreden.
       
       Zur Verfügung stehen genug Test, daran kann das betriebliche Obligatorium
       nicht scheitern. Zu diesem Ergebnis ist jedenfalls die von
       Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Verkehrsminister Andreas Scheuer
       (CSU) geleitete Task-Force gekommen. Akzeptiert von der Bundesregierung
       werden alle im Handel erhältlichen Kontrollkits, auch Schnell- und
       Selbsttests. Firmen können die Kosten steuerlich geltend machen, auch eine
       Anrechung über die Corona-Wirtschaftshilfen soll möglich sein. Heil geht
       davon aus, dass pro Beschäftigte bis Ende Juni für Unternehmen Kosten von
       130 Euro anfallen. Bei rund 6 Euro pro Test in elf Wochen ist das
       allerdings großzügig gerechnet, da müssten schon für alle zwei Kontrollen
       wöchentlich drin sein.
       
       ## Willkür in vielen Kleinbetrieben
       
       Ein großes Manko: Die Beschäftigten haben keinen Rechtsanspruch auf den
       Nachweis, dass sie negativ getestet wurden. „Wir werden die Unternehmen
       nicht mit der von Verbänden behaupteten Bürokratie belasten“, sagte Heil.
       Aber damit entfällt für die Mitarbeiter:innen auch ein Grund, einen
       Test einzufordern: Um eine Bescheinigung für den Friseurbesuch oder Einkauf
       zu erhalten.
       
       Eine Testpflicht für Beschäftigte gibt es nicht. Das wäre ein
       gesetzgeberisch aufwendiges Verfahren gewesen, was länger gedauert hätte,
       sagte Heil. „Mir ging es um eine pragmatische Lösung“, erklärte er. Und:
       Unternehmen hätten darauf hingewiesen, dass die Kontrolle bei einer
       Testpflicht für Beschäftigte für sie mit einem erheblichen Aufwand
       verbunden gewesen wäre.
       
       Ein Anspruch ohne eine Pflicht für die Berechtigten hat ein Problem: In
       unwilligen Firmen müssen Mitarbeiter:innen die Realisierung des
       Anspruchs einfordern. In großen Unternehmen mit Betriebsräten ist das
       vergleichsweise leicht, denn es gibt dafür klare Regeln und oft
       Betriebsvereinbarungen zu Corona.
       
       Aber in den zigtausenden kleinen und inhaber:ingeführten Firmen, in
       denen der Chef oder die Chefin jeden auszugebenden Cent als Entnahme aus
       dem Privatvermögen ansieht, ist die Sache nicht so einfach. In
       Kleinbetrieben, vor allem da, wo es quasi keinen Kündigungsschutz gibt,
       herrscht trotz Arbeitsschutzgesetzen Willkür. Beschäftigte sind dort nicht
       in der Position, etwas einzufordern. Und: Viele Menschen fürchten die
       kommende Wirtschaftskrise und haben Angst um ihren Job. Den werden sie
       vermutlich nicht wegen eines Tests riskieren.
       
       13 Apr 2021
       
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   DIR Anja Krüger
       
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