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       # taz.de -- Schwarze Cowboys in Hollywood: Freiheit schmeckt süß
       
       > Schwarze Cowboys und -girls waren in der Geschichte der USA stets von
       > politischer Bedeutsamkeit – in Hollywood aber immer marginalisiert.
       
   IMG Bild: Mitglieder eines Schwarzen Großstadt-Reitclubs in „Concrete Cowboy“
       
       „What kind of brother are you anyway?“, fragt der weiße Ladenbesitzer
       schockiert seinen Schwarzen Angestellten Buck, der soeben einen Kunden mit
       lauter Countrymusik über die Stereoanlage verschreckt hat. Buck, der in dem
       Elektronikgeschäft zum Nebenverdienst arbeitet, ist eigentlich
       Pornodarsteller und hat den Cowboylook für sich perfektioniert: Stiefel,
       Westernhemd, Krawattennadel mit Longhorn-Emblem. Gespielt wird er von Don
       Cheadle.
       
       Die Szene ist aus Paul Thomas Andersons „Boogie Nights“ (1997), einer
       zärtlichen wie schonungslosen Huldigung der Pornoindustrie der Siebziger im
       kalifornischen San Fernando Valley. Und obwohl es eine komische
       Nebenanekdote in der großen Odyssee des Figurenensembles von „Boogie
       Nights“ ist, legt sie doch beiläufig den Finger in die alte Wunde eines
       historischen und ästhetischen Missverständnisses: Schwarze Cowboys, gibt es
       die überhaupt? Oh ja, es gab und gibt sie, auf der Leinwand und abseits von
       ihr.
       
       Beiden, den historischen Schwarzen Cowboys wie ihren filmischen Pendants,
       eignet eine politische Bedeutsamkeit, die aufs Engste mit dem Kampf um
       [1][Bürgerrechte], um Freiheit und Emanzipation verbunden ist.
       
       Eine Bedeutsamkeit, die vielleicht in Vergessenheit geraten ist über dem
       jüngeren assoziativen Gemisch unserer Cowboybilder: der Biederkeit des
       Marlboro-Mannes und den kürzlich via Twitter wiederentdeckten unsäglichen
       politischen Statements, die John Wayne in den Siebzigern in einem
       Playboy-Interview gab. Filme wie [2][Ang Lees] „Brokeback Mountain“ (2005)
       bilden die Ausnahme.
       
       Dem Historiker William Loren Katz zufolge war nach dem Ende des
       Bürgerkriegs jeder vierte Cowboy im US-amerikanischen Westen Schwarz. Den
       nominell aus der Sklaverei befreiten Schwarzen in den Südstaaten wurde
       schnell klar, dass in ihrer Heimat die ideologischen und ökonomischen
       Strukturen des Systems Sklaverei noch einige Zeit fortwirken würden.
       Demgegenüber boten sich zwei Alternativen, der Weg in einen liberalen
       Bundesstaat des Nordostens oder eine ungewisse Reise gen Westen.
       
       ## Großer Bedarf an Viehtreibern
       
       Weil in diesen Jahren die Viehzucht im Westen in Engpässe geriet und zudem
       das Schienennetz von südlichen Bundesstaaten mit großen Zuchtbetrieben in
       westlichen Bundesstaaten wenig ausgebaut war, entstand ein großer Bedarf an
       Viehtreibern, um riesige Rinderherden nach Westen zu schaffen. Für viele
       befreite Schwarze war dies eine willkommene Gelegenheit, um schlecht
       bezahlten Feldarbeiter*innen- oder Hausdiener*innenjobs im Süden wie
       Norden zu entgehen.
       
       Einer der berühmtesten dieser Schwarzen Cowboys war Nat Love, der im Alter
       von 16 sein Elternhaus in Tennessee verließ, Cowboy wurde und sich im
       Rodeokunstreiten einen Namen als „Deadwood Dick“ machte. In seiner
       selbstverlegten Autobiografie aus dem Jahre 1907 beschreibt er seinen
       Beweggrund dazu wie folgt: „Aber Freiheit ist süß, und ich wollte mehr aus
       meinem Leben machen, als mir zu Hause möglich schien.“
       
       Wie süß diese Freiheit trotz aller Entbehrungen schmeckte, lässt sich an
       solchen Passagen ablesen: „Wie ich so auf meinem Lieblingspferd saß, meine
       lange Pferdelederpeitsche in greifbarer Nähe, meine treuen Gewehre im
       Gürtel und dazu die Prärie, die sich meilenweit erstreckte, […] fühlte ich
       mich, als könne ich es mit der ganzen Welt aufnehmen.“
       
       Aber auch Schwarze Frauen gingen in das Pantheon mythischer Figuren des
       alten Westens ein. So zum Beispiel Mary Fields, die ebenfalls aus Tennessee
       stammte und in Montana die erste Schwarze Postkutscherin des U.S. Postal
       Service wurde. Als „Stagecoach Mary“ war sie nicht nur für ihre
       Pünktlichkeit bekannt, sondern auch für ihre Vorliebe für Whisky und
       Schusswaffen.
       
       Derweil tat sich Hollywood schwer, für diese Freiheit entsprechende Bilder
       zu produzieren. Die ersten Schwarzen Cowboys eroberten die Leinwand in
       sogenannten „race movies“, auf ein segregiertes Schwarzes Publikum
       abzielende, abseits von Hollywood produzierte Titel wie „Harlem on the
       Prairie“ (1937) oder „Two-Gun Man from Harlem“ (1938).
       
       ## John Ford besetzt Schwarzen Footballprofi
       
       Mit dem Aufstieg Schwarzer Hollywood-Stars wie Sidney Poitier und Harry
       Belafonte in den Fünfzigern verschwanden diese wieder. Mitte der Fünfziger
       bewies der damals noch liberale John Ford, den eine enge Freundschaft mit
       seiner damals schon konservativen Muse John Wayne verband, eine unerwartete
       Sensibilität für diese Thematik.
       
       Nicht nur schickte Ford in „The Searchers“ (1956) die von Wayne gespielte
       rassistische Hauptfigur in der berühmten Schlusseinstellung in ein
       Purgatorium ewiger Verdammnis. Ford setzte außerdem bei den Studios durch,
       die Hauptrolle seines „Sergeant Rutledge“ (1960) mit dem Schwarzen
       Footballprofi und aufstrebenden Filmstar Woody Strode zu besetzen.
       
       Damit wurde Fords Western zur bis dato teuersten Hollywoodproduktion mit
       einem Schwarzen Lead. [3][Spike Lee], der 2018 auf einem Vortrag in London
       noch tönte: „Fuck John Ford“, scheint hingegen nicht zu wissen, wer Woody
       Strode war.
       
       Sidney Poitier, in den späten Sechzigern auf dem Zenit seiner
       Schauspielkarriere angelangt, wechselte bald selber ins Regiefach. Seine
       erste Regiearbeit war der zu Unrecht verschmähte Western „Buck and the
       Preacher“ (1972), in dem er neben Harry Belafonte und Ruby Dee auch die
       Hauptrolle spielt.
       
       Der Film verbindet auf leichtfüßige Art diverse neue Westerntopoi der Zeit.
       So ist die Dynamik des Duos Poitier und Belafonte ähnlich
       locker-verspielt, wie es schon Robert Redford und Paul Newman in „Butch
       Cassidy and the Sundance Kid“ (1969) waren.
       
       ## Eine am Italowestern geschulte Amoralität
       
       Belafonte als versoffener Prediger mit Colt in der Bibel verkörpert dazu
       eine am Italowestern geschulte, aufreizende Amoralität. Diese neuen Zugänge
       verbindet der Film elegant mit seinem politischen Kern. Poitiers Buck,
       ehemals Unionssoldat, führt mit Belafonte einen Treck aus der Sklaverei
       befreiter Schwarzer in eine neue Heimat im Westen und muss dabei eine Bande
       weißer Menschenjäger zurückschlagen.
       
       Auch das Porträt der Native Americans ist ein durchaus differenziertes.
       Blicken sie einerseits wohlwollend auf Bucks Exodus, erinnern sie ihn
       trotzdem daran, dass die Unionsarmee einst auch ihre Siedlungen zerstörte.
       
       Zeitgleich produziert der Blaxploitationstar Fred Williamson, ebenfalls
       Ex-Footballprofi, Spitzname „The Hammer“, seine ersten Schwarzen Western,
       in denen er auch die Hauptrolle spielt. Diese sind etwas hemdsärmeliger als
       bei Poitier und Belafonte, tragen provokante Titel wie „Boss Nigger“ (1975)
       und sind doch nicht minder politisch. Williamson hatte sich geschworen,
       niemals die schnellen Filmtode zu spielen, die weiße Produzent*innen
       allzu oft an Schwarze Schauspieler*innen herantragen.
       
       Seine Filme fanden gleichermaßen ein weißes wie Schwarzes Publikum und Fans
       bis in die Gegenwart. Viele Einstellungen aus [4][Quentin Tarantinos
       „Django Unchained“ (2013)] stammen zweifellos aus Williamsons Western.
       
       Während das Blaxploitationkino sehr schnell eine Riege an weiblichen Stars
       wie Pam Grier und Tamara Dobson schuf, schienen Schwarze Cowgirls im Film
       vorerst rar zu sein. Poitiers „Buck and the Preacher“ fusioniert zum
       Schluss immerhin sein Duo zum Trio, lässt Ruby Dee flankiert von Belafonte
       und Poitier gen Westen reiten und hätte eigentlich eine direkte Fortsetzung
       verdient.
       
       ## Reitclubs Schwarzer Frauen und Männer
       
       Seit den ausgehenden Achtzigern hatten sich dafür in mehreren
       US-amerikanischen Großstädten Reitklubs gegründet, in denen Schwarze Frauen
       wie Männer in Cowboyboots und Stetson auf Pferderücken stiegen. Diese Clubs
       existieren bis heute, in Los Angeles nennen sie sich „Compton Cowboys“, in
       New Orleans „Dirty Southern Ryderz“, in Philadelphia „Fletcher Street Urban
       Riding Club“.
       
       Idris Elba setzte Letzterem mit seiner leider nur auf Netflix erschienen
       Produktion „Concrete Cowboy“ (2020) ein Denkmal, in der Schwarze Stars wie
       Lorraine Toussaint Seite an Seite mit echten Schwarzen Cowgirls aus Philly
       auftreten. Ein schön fotografiertes innerstädtisches Siedlerdrama, das
       genau in den richtigen zeitlichen Kontext fällt.
       
       Heute erleben die USA eine breite kulturelle Renaissance Schwarzer Cowboys
       und Cowgirls. Sie sind sich ihrer politischen Bedeutsamkeit und ihrer
       ästhetischen Wirkungsmacht bewusster den je, auf der Leinwand und abseits
       von ihr.
       
       Melina Matsoukas, die sich bisher vor allem durch Musikvideos für Beyoncé
       hervorgetan hatte, erzählt in ihrem [5][Roadmovie „Queen & Slim“ (2019)]
       von einem Schwarzen Liebespaar, das vor der Polizei durch den
       US-amerikanischen Süden flüchtet. Einmal hält das Paar an einer Pferdeweide
       und Queen fordert Slim auf, er solle doch einen Reitversuch unternehmen.
       
       „Nichts ängstigt einen weißen Mann so sehr, wie eine Schwarze Person auf
       einem Pferd zu sehen“, sagt sie, „denn dann müssen sie zu ihnen
       aufschauen.“ Worauf Slim auf das Pferd steigt. Ein halbes Jahr später, die
       Black-Lives-Matter-Proteste des Sommers 2020 waren auf ihrem Höhepunkt,
       ritten Schwarze Cowboys und Cowgirls mit erhobener Faust durch Compton,
       Seattle und Houston. Ein Bild wie aus einem Kinofilm – und doch aus
       konkretem Grund real.
       
       15 Apr 2021
       
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