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       # taz.de -- Campact-Vorstand zur Coronapolitik: „Körperverletzung durch Unterlassen“
       
       > Campact ruft zum „harten Lockdown“ auf und will über Impfungen
       > informieren. Vorstand Felix Kolb ist über Medien und Politik verärgert.
       
   IMG Bild: Inzwischen ein emotionales Thema: Campact will Bedenken gegen Corona-Impfungen entkräften
       
       ## taz: Herr Kolb, [1][Campact will] über Corona-Impfungen aufklären. Wie
       kommt's?
       
       Felix Kolb: In einer Umfrage hatten wir herausgefunden, dass sich zwar die
       allermeisten unserer Anhänger*innen impfen lassen wollen, aber ein Teil
       unsicher ist und Gefühle dabei eine große Rolle spielen. Wir haben ja nicht
       nur rational-analysierende Anteile, sondern auch emotionsgetriebene. Die
       springen auf Meldungen von Problemen und Nebenwirkungen an. Deshalb wollen
       wir nicht nur Fachinformationen liefern, sondern eine Stimmung kreieren,
       die zeigt, dass es normal ist, sich impfen zu lassen.
       
       ## Das macht doch die Bundesregierung mit „Deutschland krempelt die Ärmel
       hoch“.
       
       Aber diese Kommunikation erreicht nur die Leute, die der Bundesregierung
       vertrauen.
       
       ## Das machen die Campact-Anhänger*innen nicht?
       
       Nicht alle, und wenn man sich anschaut, was der Gesundheitsminister so
       hinlegt, ist das leider auch nicht komplett irrational. Wir starten immer
       wieder Projekte, die von unserem Standard, Gesellschaft durch Einmischung
       in Politikprozesse zu verändern, abweichen. Aufgrund unserer Größe haben
       wir auch eine gewisse Verantwortung. In dieser Situation erst recht. Es
       geht darum, möglichst schnell eine Herdenimmunität gegen Corona zu
       erreichen.
       
       ## Wie wollen Sie bei dem [2][Hin und Her um AstraZeneca] ein positives
       Impfklima schaffen?
       
       Das macht es nicht leichter. Aber gleichzeitig zeigt das doch nur, wie
       sorgfältig gearbeitet wird. Es wird eben nicht einfach drauf losgeimpft,
       sondern Empfehlungen werden angepasst, wenn es neue Erkenntnisse gibt.
       
       ## Dienstag haben Sie eine Kampagne für einen „harten Lockdown“ gestartet.
       Einen Tag später hatte die 65.000 Unterschriften. Für Ihre Verhältnisse ist
       das wenig, oder?
       
       Das wussten wir aus Testmails vorher. Danach will eine Gruppe härtere
       Maßnahme, einer weiteren gehen die bestehenden zu weit und die größte
       Gruppe ist so verunsichert, dass sie nicht weiß, was sie richtig findet. In
       einer normalen Situation hätten wir die Kampagne nicht gestartet, wir
       wollten aber ein politisches Zeichen setzen.
       
       ## Sie haben bereits im November vor der dritten Welle gewarnt und ein
       Umsteuern gefordert.
       
       Ja, wie schon bei der zweiten Welle hat die Politik sowohl
       Wissenschaftler*innen ignoriert als auch die Entwicklungen in anderen
       europäischen Ländern.
       
       ## Haben Sie eine Antwort auf die Frage nach dem Warum?
       
       Entweder ist das eine kleinkindhafte Realitätsverweigerung der Regierungen.
       Oder sie hatten nicht den Mut, die öffentliche Empörung auszuhalten, die es
       gekostet hätte, vor vier Wochen nicht die Maßnahmen zu lockern, sondern zu
       sagen, wir müssen sie verschärfen. Dieser Fehler wurde auch vergangene
       Woche nicht korrigiert.
       
       In meinen Augen handelt es sich beim Agieren der Verantwortlichen um
       vorsätzliche Körperverletzung durch Unterlassen. In jedem Fall ist dieses
       wiederholte Nicht-Handeln ein größerer Skandal als die
       Maskenkorruptionsaffäre, hatte aber keine politischen Konsequenzen.
       
       ## Sie wirken erschüttert.
       
       Ja, das geht vielen bei Campact so, weil die aktuelle Situation in
       mehrfacher Hinsicht zeigt, was uns in der Debatte um die Klimakrise noch
       erwartet. Schon jetzt sehen sich Klimaaktivist*innen wie Luisa
       Neubauer im Internet mit Hate Speech konfrontiert. Wenn ich sehe, wie
       Wissenschaftler*innen, die sich zu Corona äußern, massiv angegangen werden
       und sich deswegen sogar aus der Öffentlichkeit zurückziehen: Das macht mir
       Angst. Werden sich die Protagonist*innen, die jetzt Corona leugnen, als
       nächstes auf das Thema Klimakrise stürzen? Die andere Parallele, die extrem
       verstörend ist, ist wie Virolog*innen und Physiker*innen alles, was
       in dieser Pandemie passiert ist, vorausgesagt haben, mit teilweise
       erschreckender Präzision.
       
       ## Aber Wissenschaftler*innen sagen die Klimakrise doch seit 30 Jahren
       voraus.
       
       Das zeigt, wie anstrengend das noch wird. Bei Corona braucht es aber nur
       Wochen oder Monate, um gegenzusteuern. Aber wenn bestimmte Klimakipppunkte
       erreicht sind, dauert das Jahrzehnte – falls überhaupt noch etwas möglich
       ist.
       
       ## Sie haben gesagt, Sie möchten über die Rolle der Medien in der Pandemie
       sprechen.
       
       Ja, das ist schwierig, da die AfD es salonfähig gemacht hat, Medien
       pauschal [3][als Lügenpresse zu diskreditieren].
       
       ## Früher waren wir „wie die Bild“. Jetzt gehört die taz zu den
       „gleichgeschalteten Systemmedien“.
       
       Genau darum geht es mir nicht. Medien erfüllen ihre Aufgabe, der
       Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten, im Großen und Ganzen gut. Aber
       Journalist*innen vergessen oft, dass sie nicht nur neutrale
       Beobachter*innen sind, sondern durch ihre Berichterstattung selbst zu
       Akteur*innen werden. Wenn x Medien sagen, man solle mit der zweiten
       Welle mal nicht so eine Panik machen, senden sie damit auch Signale an die
       Politik und beeinflussen deren Wahrnehmung.
       
       ## Aber kontrollieren sich Medien nicht gegenseitig?
       
       Nach meiner Wahrnehmung nicht oder nicht genug. Das hat auch mit den
       Spielregeln zu tun, nach denen sie funktionieren, etwa der Run auf
       Negativ-News. Und Medien lagen ein paar Mal richtig falsch, zuletzt mit dem
       Diskurs, die Bevölkerung wolle unbedingt Lockerungen. Das war auf
       subjektive Beobachtung und nicht auf messbare Daten gestützt. Die sagten
       genau das Gegenteil.
       
       Journalist*innen könnten sich auch fragen, warum sie die Politik im
       Sommer nicht genug angetrieben haben. Ich weiß noch, wie schockiert ich
       war, als es in der Tagesschau tagelang nicht um Corona ging.
       
       ## Ich habe auch Corona-Pause gemacht.
       
       Ich verstehe ja, dass alle müde waren, aber da haben Medien wirklich
       versagt. Mir fehlt ein gesellschaftlicher Raum, in dem sie sich
       selbstkritisch damit beschäftigen, welchen Einfluss sie auf den Verlauf der
       Pandemie hatten. Ich erlebe es oft bei Journalist*innen von
       Flaggschiff-Medien wie der Süddeutschen Zeitung und dem Spiegel, die haben
       alle ein ziemlich großes Ego und finden sich unheimlich wichtig für die
       Demokratie.
       
       Aber sie übernehmen keine Verantwortung dafür, wenn etwas falsch läuft.
       Aber ein System, das nicht bereit ist, die eigenen Schwächen und Fehler zu
       reflektieren, gibt Verschwörungstheorien Nahrung.
       
       ## Diese Krise beschäftigt Sie sehr, oder?
       
       Ich glaube, das hat damit zu tun, dass ich mich so massiv einschränke. Ich
       glaube, nicht nur bei mir entsteht Frust, wenn eine Politik alles, was
       Menschen mitgetragen haben, durch Unfähigkeit verspielt. Diese ständigen
       Appelle, vernünftig zu sein – und dann hat sie nicht den Mumm, sich über
       den Widerstand von Wirtschaftslobbys hinwegzusetzen.
       
       1 Apr 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://blog.campact.de/2021/02/unser-irrtum/
   DIR [2] /Vereinzelt-auftretende-Thrombosen/!5763712
   DIR [3] /Pressefreiheit-in-Gefahr/!5758599
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Eiken Bruhn
       
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