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       # taz.de -- New Yorker Museen: Ein Hafen für Schwarze Kunst
       
       > Exzellente Ausstellungspolitik und Künstler*innenpflege zeichnet das
       > Studio Museum Harlem aus. Schon seit mehr als 50 Jahren.
       
   IMG Bild: Ansicht des geplanten Museumsneubaus durch den Stararchitekten David Adjaye
       
       [1][Julie Mehretu], Kehinde Wiley, David Hammons, Terry Adkins und
       [2][Kerry James Marshall] haben drei Dinge gemeinsam: Sie sind
       AfroamerikanerInnen. Sie machen Kunst. Und allen hat das Studio Museum
       Harlem in New York am Anfang ihrer Karrieren geholfen, die Stars zu werden,
       die sie heute sind.
       
       [3][Als Kehinde Wiley 2001] die Nachricht bekam, dass er in das
       Artists-in-Residence-Programm des Studio Museum Harlem aufgenommen worden
       sei, „war das erst mal wie ein Schock für mich“. Das Museum beherbergt aus
       seiner Sicht eines der begehrtesten Künstlerresidenz-Programme der Welt.
       
       Und hat ihm wie vielen anderen Künstlerinnen und Künstlern die ganz große
       Karriere ermöglicht. Im Februar 2018 wird das von Wiley gemalte offizielle
       Porträt von Barack Obama für die National Portrait Gallery in Washington
       enthüllt.
       
       Mitte der 1960er Jahre kam in intellektuellen Kreisen in New York die Idee
       auf, ein Museum für afroamerikanische Kunst zu gründen. Es war eine Zeit
       des Aufbruchs. Martin Luther King war auf dem Höhepunkt seiner Bekanntheit.
       
       ## Ort des Austausches für Schwarze und Weiße Künstler*innen
       
       Ein neues Wahlrecht beendete in weiten Teilen die Diskriminierung von
       Schwarzen an der Wahlurne. Für viele Afroamerikaner schien ein
       gleichberechtigtes Leben in den USA greifbar nahe. Das neue Museum sollte
       ein Ort des Austauschs für Schwarze und Weiße Künstler werden, für
       Aktivisten und Intellektuelle.
       
       Als sich im September 1968 die Türen zur ersten Ausstellung des Studio
       Museum Harlem in einem Loft an der Fifth Avenue jenseits des Central Parks
       öffnen, war von dieser Euphorie nichts mehr zu spüren. Wenige Monate zuvor,
       am 4. April, ist Martin Luther King erschossen worden. Die
       Bürgerrechtsbewegung spaltete sich in militante und nichtmilitante Gruppen
       auf. Die Hoffnung auf ein gleichberechtigtes Leben schwand. Auch unter
       afroamerikanischen Künstlern.
       
       Wie wenig Anerkennung Schwarze Künstler in der Zeit fanden, zeigten
       Ausstellungen im MoMA und im Metropolitan Museum aus der Zeit. Das Met
       geriet 1969 mit „Harlem on my Mind: Cultural Capital of Black America,
       1900–1968“ in die Kritik. Entgegen Warnungen im Vorfeld wurde das
       „kulturelle Kapital des Schwarzen Amerikas“ gar nicht gezeigt. Kein
       einziges Werk von Schwarzen Künstlern war zu sehen. Der Ansatz war rein
       dokumentarisch. Als ob Afroamerikaner in Harlem keine künstlerische Sprache
       sprechen.
       
       Das MoMA brachte es gar fertig, in einer Martin Luther King gewidmeten
       Ausstellung 1968 zunächst keinen Schwarzen Künstler vorzusehen. Erst auf
       Druck von außen waren am Ende knapp ein Drittel der ausgestellten Künstler
       Afroamerikaner.
       
       ## Die Erwartungen an das Museum waren hoch
       
       Die Notwendigkeit eines Museums für afroamerikanische Kunst war
       offensichtlich. Aus der Idee wurde ein Konzept, Geldgeber wurden gefunden.
       Und dann endlich, am 24. September 1968, die Eröffnung. Die Erwartungen an
       das Studio Museum waren hoch. Die Eröffnung war ein Event – und die
       Enttäuschung groß.
       
       Vor allem unter denen, die den politischen Kampf gegen Rassismus in den USA
       geführt haben. Statt diesen gesellschaftlichen Konflikt abzubilden, zeigte
       das Museum abstrakte Kunst. Unter dem Titel „Electronic Refrections II“
       sahen die Besucher die geometrischen Lichtinstallationen von Tom Lloyd, der
       sich damals schon einen Namen erarbeitet hatte.
       
       Andere sahen in dieser kuratorischen Entscheidung einen Befreiungsschlag.
       Den Gründern sei es wichtig gewesen, „die Einengung zu vermeiden“, die „der
       Mainstream im Zusammenhang mit Schwarzer Kunst oft vornimmt“, sagte Thelma
       Golden in einem Radiointerview vor zwei Jahren. Seit 2000 ist sie die
       Direktorin des Studio Museum.
       
       Die Wahl von Lloyd habe die Erwartung unterwandert, dass „Schwarze Kunst
       sich immer mit rassistischen Themen auseinanderzusetzen hat“. Das neue
       Museum habe sich nicht nur als politische Antithese zu den bereits
       bestehenden Institutionen verstanden wissen wollen. Sondern als ein Ort für
       Neues, Unerwartetes.
       
       ## Von Anfang an mehr als nur ein Ausstellungsraum
       
       Von Beginn an sollte das Museum mehr sein als nur ein Ausstellungsraum.
       Sondern ein Ort der Arbeit und des Austauschs. Ein Studio Museum eben. Aus
       dieser Idee heraus entstand 1969 das Artists-in-Residence-Programm:
       KünstlerInnen am Beginn ihrer Karriere können sich einmal im Jahr für das
       Programm bewerben. Drei Bewerber bekommen jeweils für elf Monate ein
       Atelier und Materialien zur Verfügung gestellt. Am Ende werden ihre Werke
       der Öffentlichkeit präsentiert.
       
       Für viele afroamerikanische Künstler war und ist diese geschützte Zeit eine
       wichtige Phase in ihrer künstlerischen Biografie. Das Studio Museum sei
       schon immer „ein Hafen“ gewesen, sagt der bildende Künstler [4][Sanford
       Biggers] in dem Anfang 2021 erschienenen Dokumentarfilm „Schwarze Kunst: In
       Abwesenheit des Lichts“. Es sei einer der wenigen Orte, der Kunst von
       Schwarzen „schon von einem sehr frühen Moment an wertgeschätzt hat“.
       
       Das Konzept geht auf. Die Alumni-Liste des Artists-in-Residence-Programms
       lese sich wie das „Who’s who“ des „zeitgenössischen Schwarzen Kanons“,
       schrieb die New York Times im vergangenen Jahr. Das Programm gebe „den Ton
       in der Schwarzen Kunst und der Kunst der Diaspora an“.
       
       Das Studio Museum gewann über die Jahre immer mehr an Reputation. Andere
       Museen suchten die Zusammenarbeit. 1990 präsentierte es [5][gemeinsam mit
       dem New Museum] und dem nicht mehr existenten Museum of Contemporary
       Hispanic Art die Gruppenausstellung „Decade“.
       
       ## Die Ausstellung „Decade“ als Wendepunkt
       
       In der Gruppenausstellung ging es um die Idee der Identität. Darum, wie
       Künstlerinnen und Künstler sich in den 1980er Jahren mit Fragen zu
       Sexualität, Geschlecht, Religiosität, „race“, Alter, Geschichte, Mythen
       oder Politik auseinandersetzen. Unterschiedlichste Positionen von Künstlern
       aus diversen Hintergründen wurden nebeneinander präsentiert.
       
       Das mag heute als Ausstellungskonzept selbstverständlich klingen. Damals
       war es neu und unerhört. „Ein Wendepunkt“, wie Lisa Phillip, die aktuelle
       Direktorin des New Museum im Rückblick dem Magazin Vulture sagt. Für das
       Studio Museum war es nicht nur die größte Ausstellung in seiner Geschichte,
       es war auch eine der wenigen Ausstellungen, in der nicht allein Schwarze
       Künstler gezeigt wurden. Auch der deutsche Konzeptkünstler Hans Haacke war
       mit einem Werk vertreten.
       
       Das Studio Museum ist heute in der ersten Liga der New Yorker
       Ausstellungshäuser angekommen. Was auch bedeutet, dass Spendengeld fließt.
       Genug, um etwa das neue Museumsgebäude zu finanzieren, das gerade an
       gleicher Stelle vom Schwarzen Stararchitekten David Adjaye an der 5th
       Avenue gebaut wird. Es soll 2022 eröffnet werden.
       
       Spätestens seit den antirassistischen Protesten nach dem gewaltsamen Tod
       von George Floyd im vergangenen Sommer bemühen sich auch die anderen New
       Yorker Museen um mehr Diversität. Es sind erkennbar mehr Werke von
       Schwarzen Künstlern zu sehen. Und es werden sehr viel häufiger Schwarze
       Kuratoren engagiert. „Schwarz ist jetzt in“, sagt der Fotograf Beuford
       Smith im New York Magazine. Das ist nicht frei von Zynismus.
       
       Wenn Kunst von Afroamerikaner nur eine Mode ist, dann kann sie auch schnell
       wieder vergehen. Was in New York Kunst ist und was nicht, dass wird immer
       noch zu oft von weißen Museumsdirektoren und Megaspendern bestimmt. Das
       Studio Museum aber ist unabhängig vom Einfluss weißer Willkür. Das macht es
       so besonders. Auch nach mehr als 50 Jahren noch.
       
       20 Apr 2021
       
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