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       # taz.de -- Nach der Entscheidung zum Mietendeckel: „Nachzahlung von 5.100 Euro“
       
       > Der Mietendeckel ist erstmal weg. Protokolle von Mieter*innen, die sich
       > nun über Nachzahlungen und höhere Kosten ärgern.
       
   IMG Bild: Macht Mieter*innen rasend: Die Abschaffung des Mietendeckels
       
       ## Lehrersein ist kein Vorteil
       
       Ich bin vor zehn Monaten in meine Wohnung gezogen. Der [1][Mietendeckel ist
       gekippt] und nun muss ich statt 290 Euro für die Gesamtmiete 800 Euro
       zahlen. Der Unterschied ist wirklich zu hoch. Dazu kommt noch die
       Nachzahlung in Höhe von 5.100 Euro. Ich habe tatsächlich damit gerechnet,
       als ich den Mietvertrag unterschrieben habe. Aber ich habe nicht erwartet,
       dass es inmitten der Pandemie passieren kann.
       
       Letztes Jahr habe ich die Wohnung angenommen, weil ich in einer prekären
       Wohnsituation war. Doch nun fühle ich mich wie in der Gefangenschaft, weil
       ich erst in zwei Jahren nach meinem Umzug kündigen darf. Das steht fest in
       meinem Vertrag.
       
       2020 kündigt mich mein Mitbewohner, der auch Hauptmieter war, weil er die
       Wohnung für sich allein behalten wolle – aus persönlichen Gründen. Können
       Sie sich vorstellen, wie schwierig es war, eine Unterkunft während der
       Pandemiezeit zu finden? Innerhalb von sechs Monaten habe ich über
       einhundert Bewerbungen für eine Wohnung rausgeschickt. Nicht mehr als zehn
       Einladungen habe ich für eine Wohnungsbesichtigung bekommen. Ich wurde
       deutlich diskriminiert, glaube ich. Das ist eher mein Gefühl. Warum? Weil
       ich Grieche bin und ein Single-Mann. Die Tatsache, dass ich in Deutschland
       promoviert und ein ausgebildeter Lehrer bin, war leider kein Vorteil. Auch
       meinen unbefristeten Vertrag darüber, dass ich in einer Berliner
       Gemeinschaftsschule Physik und Chemie unterrichte und monatlich brutto
       2.500 Euro verdiene, hat bei der Wohnungssuche nicht geholfen. Da war ich
       sehr froh, dass es mit meiner aktuellen Wohnung in Friedrichshain damals
       geklappt hat. 28 Quadratmeter, 1,5 Zimmer. Ich finde tatsächlich die 500
       Euro Preiserhöhung zu viel. Vielleicht war von Anfang an mein Mietvertrag
       unfair. Ich will jetzt juristisch dagegen vorgehen und warte auf meinem
       Beratungstermin bei der Berliner Mietergemeinschaft, wo ich Mitglied bin.
       Die klügste Methode ist, wenn man zuerst reagiert. Deswegen will ich aktiv
       werden, bevor das Immobilienunternehmen Akelius mir Briefe und Rechnungen
       zustellt.
       
       Athanasios Tsirimpis (39), wohnt in Friedrichshain, er muss 510 Euro
       monatlich mehr zahlen und 5.100 Euro nachzahlen. 
       
       ## Mir bleiben im Monat 400 Euro zum Leben
       
       Ich bin Beamtenanwärterin und arbeitete in der Öffentlichen Verwaltung beim
       Land Berlin. Seit 2018 wohne ich in Prenzlauer Berg, in meiner
       Zweizimmerwohnung, ich würde sagen: eher eineinhalb Zimmer. Ich habe sie
       bis Ende letzten Jahres mit einer Mitbewohnerin bezogen, da ich mir alleine
       die Miete nicht leisten konnte. Jetzt ist sie ausgezogen.
       
       670 Euro, die gesamte Mitte, übernehme ich also allein. Mein Vermieter hat
       sich lange Zeit geweigert, den Mietendeckel zu akzeptieren. Monatelang habe
       ich Stress mit meiner Hausverwaltung gehabt. Sie hat einfach meine
       Schreiben ignoriert. Dann habe ich den Kontakt zum Bezirksamt und zur
       Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen gesucht. Das hat mich auch
       nicht weitergebracht. In der Senatsverwaltung hat man mir mit meinem
       Anliegen nicht geholfen. Keine*r war da wirklich ansprechbar. Sie hätten
       keine Zeit und keine Kapazitäten. Die Behörden lassen ihre Bürger*innen
       allein.
       
       Am Ende habe ich es endlich hinbekommen. Seit Dezember 2020 bezahlte ich
       dank Mietendeckel 160 Euro weniger. Jetzt leider wieder nicht mehr. Ich
       muss noch insgesamt 800 Euro [2][für fünf Monate zurückzahlen] und habe zum
       Glück gespart.
       
       Ich kann mir diese Wohnung nur schwer leisten. Mein Nettoeinkommen beträgt
       1.400 Euro im Monat. Davon bleibt mir etwa 400 Euro zum Leben, weil ich
       höhere Krankenversicherungsbeiträge zahle. Da ich dank Homeoffice keine
       neue WG in meiner Mini-Wohnung mit 42 Quadratmeter eröffnen möchte, habe
       ich jetzt zunächst mal Wohngeld beantragt. Ich hatte meinem ersten Antrag
       im September 2020 gestellt, der ging aber verloren. Dann habe ich das
       wieder getan. Seit Januar bekomme ich nun 80 Euro Wohngeld. Dafür habe ich
       aber eine Menge Papiere hingeschickt.
       
       Umzuziehen wäre für mich die Lösung. Dafür habe ich einen
       Wohnberechtigungsschein, der mir das Recht auf eine Sozialwohnung gibt,
       beantragt. Um in eine Sozialwohnung zu ziehen, muss ich sie erst finden.
       Also ich muss dann aktiv suchen auf dem Wohnungsmarkt. Doch die Hoffnung
       gebe ich nicht auf.
       
       Lisa Meier, Name geändert (29), wohnt in Prenzlauer Berg. Sie muss 160 Euro
       mehr zahlen. 
       
       ## Der Mietendeckel war eine mutige Entscheidung
       
       Ich wohne in einer Dreier-WG im Wedding. Eine meiner
       Mitbewohner*innen ist in der Ausbildung und eine andere ist mit dem
       Masterstudium gerade fertig und arbeitslos in dieser ungünstigen Zeit. Ich
       studiere noch an der TU Berlin und mache derzeit meinen Master in
       Soziologie.
       
       Wir haben eine 90-Quadratmeter-Altbauwohnung. Ich habe dort nur 16
       Quadratmeter, weil das Zimmer nicht gut geschnitten ist und bezahle dafür
       450 Euro warm. Die Kaltmiete für die gesamte Wohnung ohne Mietendeckel
       beträgt 1.050 Euro. 370 Euro hat uns der Mietendeckel beschert. Eine
       Senkung, die wir uns zu dritt geteilt haben. Nun müssen wir die Summe von
       fünf Monaten nachzahlen. Und wir alle haben tatsächlich das Geld angespart
       – insgesamt sind das jetzt 1.850 Euro.
       
       Es war für uns nicht einfach. Gerade für mich. Ich bekomme keine
       Unterstützung von meiner Familie. Ich bekomme seit dem letzten Jahr auch
       kein Kindergeld mehr, weil ich 25 Jahre alt bin. Im Juni werde ich noch ein
       Jahr älter und muss aus der Familienkrankenkasse raus.
       
       Derzeit bekomme ich ein Stipendium in Höhe von 700 Euro, doch ab September
       werde ich nur noch eine Grundförderung in Höhe von 300 Euro bekommen. Das
       liegt daran, dass mein Bruder auch studiert. Ich habe einen Minijob am
       Leibniz-Institut, an der Historischen Forschungsstelle. Und das ist zu
       knapp, um mir diese Wohnung weiter leisten zu können.
       
       Ab Sommer wollen wir in eine neue Wohnung ziehen, wenn wir eine finden. Das
       versuchen wir über städtische Genossenschaften. Andere Möglichkeiten sehen
       wir momentan nicht.
       
       Die WG besteht seit 2014 und deswegen profitieren wir nicht von der
       Mietpreisbremse, die nur rückwirkend bis 2015 wirkt. Das finde ich ja
       schade. Die Idee mit dem Mietendeckel war großartig, es war blöd, dass er
       gekippt wurde. Ich finde, man kann den regierenden Parteien nicht
       vorwerfen, dass sie hier Experimente gemacht haben. Nein. Es war den
       Versuch wert, eine mutige Entscheidung wie den Mietendeckel zu realisieren.
       Es war ein Meilenstein für eine [3][zukunftsweisende Wohnungspolitik].
       
       Paul Seidel (25), wohnt im Wedding. Seine WG muss jetzt 370 Euro mehr Miete
       zahlen. 
       
       ## Mit der Nachzahlungsnummer gerechnet
       
       2016 bin ich mit Mann und drei Kindern in unsere Vierzimmerwohnung gezogen,
       bis zum letzten Jahr haben wir dort als Untermieter gewohnt. Im Mai 2020
       haben wir dann den Mietvertrag übernommen. Als Hauptmieter mussten wir
       weniger zahlen – wegen des Mietendeckels oder der Mietpreisbremse, ich weiß
       es nicht so genau.
       
       Als wir den neuen Vertrag bekommen haben, standen dort zwei Summen – 854
       Euro und 546 Euro. Wir warten nun auf Post von der Hausverwaltung, was wir
       machen sollen. Ich glaube, sie werden nicht so schnell reagieren. Aber
       etwas zurückzahlen müssen wir wohl auf jeden Fall.
       
       Das Geld haben wir zur Seite gelegt. Ich habe ziemlich viel im letzten Jahr
       gearbeitet, [4][weil mein Mann zu Hause bleiben musste.] Er ist Reiseleiter
       und war immer viel in Europa unterwegs. Die Coronakrise hat ihn arbeitslos
       gemacht. Deswegen habe ich mehr Aufträge genommen, auch an den Wochenenden.
       Ich bin selbstständig und gebe Integrationskurse und Deutsch als
       Fremdsprache für geflüchtete Menschen.
       
       Ich habe damit gerechnet, dass vielleicht doch noch ein Lockdown kommt und
       habe deswegen mehr gearbeitet. Mein Mann hat 2020 Coronahilfen bekommen.
       Die sind auf unserem Konto, weil wir mit der Nachzahlungsnummer für die
       Wohnung tatsächlich gerechnet haben. Das machte etwa 3.700 Euro.
       
       Mit drei Kindern zu Hause ist es nicht einfach. Ich konnte mich auf meine
       Arbeit nur deshalb konzentrieren, weil mein Mann den Haushalt macht. Er
       macht fast alles. Er kocht und kümmert sich um die Kinder. Vor der
       Coronapandemie war das nicht der Fall, weil er wegen seiner Arbeit oft von
       zu Hause weg war.
       
       Für mich persönlich ist es sehr angenehm, dass er mich so viel im Haushalt
       unterstützt. Doch ich wünsche mir, dass er bald wieder seinen Job machen
       kann und wieder arbeiten gehen kann – vor allem, weil er als Reiseleitung
       stets in einer landschaftlich schönen Umgebung Zeit verbracht hat. Das hat
       ihm sehr gefallen. Eine neue Wohnung kommt für uns überhaupt nicht in
       Frage. Wir werden einfach weiter sparsam leben.
       
       Jolán Steixner (48), wohnt in Lichterfelde. Ihre Familie muss jetzt 308
       Euro mehr zahlen. 3.700 Euro werden rückwirkend fällig.
       
       27 Apr 2021
       
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       ## AUTOREN
       
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