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       # taz.de -- Umgang mit Impfdosen in Hamburg: Im Müll statt im Arm
       
       > Im Hamburger Impfzentrum werden aus Impfstoff-Ampullen weniger Dosen
       > heraus geholt als möglich. In Niedersachsen läuft das anders.
       
   IMG Bild: Wie viel bekommt er wohl raus? Hamburgs Bürgermeister Tschentscher zieht Impfstoff in die Spritze
       
       Hamburg taz | Die Erfolgsmeldungen können es nicht verdecken: Auch wenn die
       Impfkampagne in Schwung gekommen ist, [1][wartet noch immer die Mehrheit
       der Bevölkerung auf einen Impftermin] und den damit verbundenen Schutz vor
       dem Virus. Trotzdem werden – vor allem im Hamburger Impfzentrum in den
       Messehallen – noch immer täglich hunderte Dosen Impfstoff vernichtet.
       
       Der Grund: Die [2][Europäische Arzneimittelagentur (EMA)] hat zugelassen,
       dass aus den Ampullen des Impfstoff-Herstellers Biontech sechs Dosen, aus
       denen von Astrazeneca zehn Dosen Vakzin gezogen werden dürfen. Doch danach
       sind die kleinen Glasbehälter nicht leer, die sogenannte „Überschussmenge“
       in den Ampullen würde – nicht immer, aber häufig – für eine siebte bzw.
       elfte Dosis reichen. Die darf laut EMA jede*r Ärzt*in auf „eigenes
       Risiko“ verimpfen.
       
       Was viele [3][Mediziner*innen in ihren Praxen] auch tun – mit dem
       Risiko, für eventuelle Impfschäden haftbar gemacht zu werden.
       
       „Es wäre schön, wenn es Rückendeckung und eine offizielle Freigabe gäbe,
       die siebte bzw. elfte Dosis zu verimpfen“, fordert Jana Husemann,
       Vorsitzende des Hausärzteverbands Hamburg. Husemann, die ihre Praxis in
       Hamburg-Altona hat, verimpft die „Überschussmenge“ auch ohne offizielle
       Rückendeckung, wie viele andere Kolleg*innen ihrer Einschätzung nach
       auch. „In der derzeitigen Situation können wir es uns nicht leisten,
       Impfstoff zu vernichten, das ist unverantwortlich“, sagt die Ärztin.
       
       ## „Impfstoff zu vernichten ist unverantwortlich“
       
       Doch genau das geschieht im Hamburger Impfzentrum. Weil laut EMA-Zulassung
       nur sechs bzw. zehn Dosen in den Glasfläschchen enthalten sind, „müssen wir
       uns daran halten“, sagt der Ärztliche Leiter des Zentrums, Dirk Heinrich.
       „Eine Erlaubnis aus der Gesundheitsbehörde, die übrigen Portionen auch noch
       zu nutzen, wäre deshalb „sehr hilfreich“, betont Heinrich.
       
       Dem widerspricht Gesundheitsbehörden-Sprecher Martin Helfrich. „Eine
       generelle Zulassung für die regelhafte Entnahme einer weiteren Impfdosis
       kann nur die EMA aussprechen, jedoch kann aber auch im Impfzentrum der
       zuständige Arzt diese Dosis verabreichen, wenn die Ampulle hinreichend
       befüllt und eine Unterdosierung ausgeschlossen ist“, stellt Helfrich klar.
       Ob dem so sei, könne nur „im Einzelfall geprüft und nicht am
       Behördenschreibtisch generell entschieden werden“, sagt Helfrich. Deshalb
       werde es keine verbindliche Handlungsanweisung der Behörde geben, mehr aus
       jeder Ampulle rauszuholen.
       
       Weil solche Einzelfallentscheidungen im Fließbandbetrieb des Hamburger
       Impfzentrums nicht möglich sind, werden die Ampullenreste dort
       grundsätzlich nicht verimpft, sondern weggeworfen. Laut Berechnungen des
       NDR wurde seit der Eröffnung des Zentrums dort Stoff für bis zu 43.000
       Impfungen vernichtet. Bisher wurden im Hamburger Impfzentrum rund 243.000
       Dosen Biontech und rund 120.000 Dosen Astrazeneca verimpft.
       
       Kaum zu verstehen: Während es in Hamburg wegen der Haftungsrisiken und
       fehlender Behördendirektiven im zentralen Impfzentrum offenbar nicht
       möglich ist, den gesamten Impfstoff zu verimpfen, ist das in
       Schleswig-Holstein und Niedersachsen kein Problem. Dabei gibt es auch in
       Schleswig-Holstein wie in Hamburg, so der Sprecher des
       Gesundheitsministeriums Marius Livschütz, „keine allgemeine Empfehlung“ der
       Landesregierung, sondern ist „im Rahmen der ärztlichen Anwendung zu
       entscheiden“.
       
       In Niedersachsen wurden die Mitarbeiter*innen der Impfzentren vom
       Gesundheitsministerium sogar schriftlich dazu angehalten, keinen Impfstoff
       zu verschwenden. „Wo es möglich ist, sollen auch hier alle Dosen verwendet
       werden, da gibt es eine klare Maßgabe der Landesregierung“, betont der
       Sprecher des Niedersächsischen Gesundheits- und Sozialministeriums, Oliver
       Grimm, gegenüber der taz. „Die Haftungsfrage“, weiß Grimm, „haben wir mit
       den Ärzt*innen geklärt“. Dabei betont der Ministeriumssprecher, dass
       nicht aus jeder Ampulle sieben bzw. elf Impfdosen herauszuholen seien, und
       „Impfstoffreste aus verschiedenen Ampullen keinesfalls vermischt werden
       dürfen“.
       
       In Hamburg dagegen wird weiter auf die Bremse getreten: Am Dienstag betonte
       SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf: „Die Verimpfung einer siebten Dosis bei
       Biontech sowie einer elften bei Astrazeneca ist mit Risiken verbunden und
       kann die gewünschte Wirkung des Impfstoffs beeinträchtigen.“ Das Drängen
       auf die Abgabe solcher „Risiko-Shots“ sei deshalb „unverantwortlich“.
       
       28 Apr 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Daten/Impfquotenmonitoring.html
   DIR [2] https://www.ema.europa.eu/en
   DIR [3] /Impfstart-in-den-Hausarztpraxen/!5758903
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marco Carini
       
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