# taz.de -- Tanz in der Weimarer Republik: Etwas Neues wagen
> Das Georg Kolbe Museum in Berlin widmet sich elf Tänzerinnen aus der Zeit
> der Weimarer Republik und ihrer Rezeption.
IMG Bild: Schülerinnen der Tanzschule Skoronel in Berlin, fotografiert von Lotte Jacobi
Es sind allein Hände, Hände vieler junger Tänzerinnen, die eine zärtliche
Geschichte erzählen in dem Film „Hände: Das Leben und die Liebe eines
zärtlichen Geschlechts“. Ihre Bühne ist von schrägen Kartons unterteilt,
sodass sie auf verschiedenen Diagonalen ins Bild kommen, weich und
fließend, wie von Wasser und Wind bewegt. Irgendwann werden sie zu Paaren,
Finger verschränken sich, gleiten ineinander. Es ist erstaunlich, wie viel
Sanftheit in ihrem Spiel liegt.
Der Film „Hände“ entstand 1928 nach einer Idee der amerikanischen
Fotografin Stella F. Simon, Regie: Miklós Bándy. Die darstellenden Hände
gehörten den Schülerinnen der Tanzschule, die Hertha Feist 1923 in einer
Villa in Berlin Halensee eröffnet hatte. Hertha Feist und zehn weiteren
Tänzerinnen aus der Zeit der Weimarer Republik gilt eine Ausstellung im
[1][Georg Kolbe Museum], in der „Hände“ als ein besonderer Schatz zu sehen
ist – wenn denn Museumsbesuche wieder erlaubt sind.
„Die Tänzerinnen-Flut schwillt in Berlin noch immer weiter an“, zitiert
Brygida Ochaim, mit Julia Wallner zusammen Kuratorin der Ausstellung, einen
Artikel aus der Berliner Illustrierten vom November 1920. Die
gesellschaftlichen Umbrüche der Weimarer Republik ermutigten junge Frauen,
einen Weg als freie Künstlerin, als Tänzerin einzuschlagen. Sie traten auf
kleinen Bühnen, in Salons und privat auf, aber auch in großen Häusern wie
dem Blüthner Saal in der Lützowstraße, der bis zu 1.200 Besucher fasste.
Tanzschulen entstanden für die jenseits des Balletts neu zu erspürenden
Bewegungen. Von den im Kolbe Museum vorgestellten Tänzerinnen hatten gleich
drei eine eigene Schule in Berlin: Claire Bauroff, Hertha Feist und Berthe
Trümpy, die sich dafür sogar ein eigenes Haus von Alfred Gehlhorn errichten
ließ.
## Entrückung und Überraschung
Dass sich der Bildhauer Georg Kolbe wie viele andere bildende
Künstler:innen vom Ausdrucksvermögen der Tänzerinnen inspiriert fühlte
und mit mehreren als Modell arbeitete, ist bekannt. Schließlich war er mit
der Skulptur einer Tänzerin bekannt geworden. Das Kolbe Museum hat diesen
thematischen Faden schon mehrfach zu Ausflügen in die Begegnungen von Tanz
und bildender Kunst zu nutzen gewusst.
Kolbe besuchte etwa die Aufführungen der von ihm bewunderten Charlotte Bara
(1901 –1986). Ihren Tänzen wurde etwas Inbrünstiges zugeschrieben, eine
Entrückheit, die Zeitgenossen auch als „gotisch“ beschrieben. Es gibt eine
Mappe mit Federzeichnungen und eine Holzskulptur, „Die Nonne“, die
unterschiedliche Facetten ihres Bewegungsspektrums zeigen. In den
Zeichnungen steht das Flüchtige und Überraschende im Vordergrund, das
Aufbrechen tradierter Körperachsen; in der „Nonne“ dagegen liegt die
Betonung auf dem Strengen und Geschlossenen der Form.
Der Bildhauer Paul Rudolf Henning porträtierte Bara in drei Terrakotten,
die allein durch den Anschnitt des Gesichts und die Wendung des Kopfs von
der Erfahrung der Dynamik sprechen. Der Maler Heinrich Vogeler wiederum
malte ihr Gesicht und ihre flehend und zögernd erhobenen Hände vor blauem
Grund. So sieht man, wie die Inspiration, die von den Tänzerinnen ausging,
Impulse in unterschiedliche Richtungen sandte.
## „Die Blume im Hinterhof“
Unter den Protagonistinnen der Ausstellung ist auch Jo Mihaly (1902–1989),
ausgebildet als Säuglingsschwester. Schon als junges Mädchen hatte sie ein
Kriegstagebuch geschrieben. Ihre Solotänze waren eng mit sozialen
Erfahrungen verknüpft, ein Foto von Sasha Stone zeigt sie in kampfbereiter
Pose, einer Szene aus ihrem Solo „Der Arbeiter“. Ein kurzer Film ist
erhalten von ihrer „Blume im Hinterhof“, die das Licht sucht und dann doch
matt und kraftlos niedersinken muss.
Die Tänzerinnen der Weimarer Republik wurden zwar später unter der Formel
Ausdruckstanz rubriziert, ihr Spektrum aber war vielfältig. Wie Mihaly
steht auch Oda Schottmüller (1905–1943) für eine politisch engagierte
Kunst. Ihre Soloprogamme zwischen 1934 und 1940 trugen Titel wie „Henker“,
„Seltsame Stunde“, „Verhängnis“. Sie gehörte einer Widerstandsgruppe an,
„Rote Kapelle“ genannt, und wurde 1943 in Plötzensee ermordet. Die
ausdrucksstarken Masken, die sie für ihre Tänze baute, verweisen auf den
Expressionismus.
Von vielen der Künstlerinnen würde man gern mehr erfahren. Wie von Vera
Skoronel (1906–1932), von der einerseits gespenstische Buntstiftzeichnungen
zu sehen sind, mit flatterhaften Wesen, während ihr Tanzstil für
Abstraktion und Neue Sachlichkeit stand.
Die Ausstellung fügt dem Panoramabild der Künstlerinnen, die in der Zeit
der Weimarer Republik etwas Neues wagten, einige bisher unbekannte
Mosaiksteine hinzu. Ergänzt wird sie, wenn sie denn öffnen darf, um einen
zeitgenössischen Beitrag von der Künstlerin Ulla von Brandenburg. Dieser
wiederum widmet die Galerie Meyer Riegger eine Einzelausstellung, die ab
dem 30. April mit Test und Termin sogar besucht werden kann.
30 Apr 2021
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## AUTOREN
DIR Katrin Bettina Müller
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