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       # taz.de -- Israels Palästinenser-Politik: Human Rights Watch wagt das A-Wort
       
       > Die Menschenrechtsorganisation hat die Lage in den palästinensischen
       > Gebieten „Apartheid“ genannt. Israel spricht von „Fiktion“.
       
   IMG Bild: Der Kalandia-Checkpoint zwischen dem Westjordanland und Ostjerusalem, Mitte April
       
       Tel Aviv taz | Mit der Veröffentlichung eines 213 Seiten starken
       [1][Berichts] hat die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW)
       am Dienstag für Aufruhr gesorgt. Als erste große NGO bezeichnet sie darin
       die israelische Politik gegenüber den Palästinenser*innen als
       Apartheid. Nach jahrzehntelangen Warnungen, dass die Kontrolle über das
       Leben der Palästinenser*innen zu Apartheid führen könnte, sei die
       „Schwelle“ nun überschritten.
       
       HRW legt in dem Bericht die Definition des Begriffs „Apartheid“ zugrunde,
       wie sie 1973 von der UN-Vollversammlung in der „Internationalen Konvention
       über die Unterdrückung und Bestrafung des Verbrechens der Apartheid“
       beschlossen wurde. Mit dem Römischen Statut 1998, dem Gründungsdokument des
       Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, wurde das
       Apartheidsverbrechen der Zuständigkeit dieses Gerichts unterworfen.
       Ursprünglich war der Begriff für die Rassentrennung in Südafrika verwendet
       worden.
       
       Im Römischem Statut werden alle jene inhumanen Akte als Apartheid
       definiert, die mit dem Ziel ausgeführt werden, die Herrschaft einer
       rassischen Personengruppe über irgendeine andere rassische Personengruppe
       herzustellen und aufrechtzuerhalten und diese systematisch zu unterdrücken.
       Entsprechend dieser Definition schlüsselt der Bericht die israelische
       Politik gegenüber den Palästinenser*innen auf – sowohl innerhalb
       Israels als auch im Westjordanland.
       
       Auf Basis jahrelanger Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen,
       Analysen israelischer Gesetze, Planungsdokumenten und Aussagen von
       Beamt*innen legt der Bericht etwa eine Fragmentierung der
       palästinensischen Bevölkerung dar und eine systematische Diskriminierung
       durch die Wohnungsbaupolitik oder die unterschiedliche Bereitstellung von
       Infrastruktur im Westjordanland für Palästinenser*innen und jüdische
       Israelis.
       
       „Mit dem Bericht möchten wir vor allem eine Rechtsdiskussion eröffnen“,
       sagt Wolfgang Büttner, Pressereferent von Human Rights Watch, gegenüber der
       taz, „und einen Beitrag dazu leisten, dass nicht nur der stockende
       Friedensprozess, sondern auch die Menschenrechtssituation in Israel und den
       besetzten Gebieten stärker in die internationale Arena kommt.“
       
       Gleichzeitig sieht Büttner auch, dass der Begriff „Apartheid“ im
       öffentlichen Diskurs stark mit Südafrika verbunden wird und auch von
       Gruppen verwendet werde, mit denen Human Rights Watch nichts zu tun haben
       wolle: „Wir distanzieren uns eindeutig von denjenigen, die sich gegen das
       Existenzrecht Israels ausdrücken, die deutsche Vergangenheit leugnen oder
       antisemitische Ziele verfolgen.“
       
       HRW ruft die internationale Gemeinschaft auf, ihre Haltung gegenüber Israel
       und Palästina neu zu bewerten. „Nach 54 Jahren“, heißt es im Bericht,
       „sollten die Staaten aufhören, die Situation durch das Prisma zu
       beurteilen, was passieren könnte, wenn der schwächelnde Friedensprozess
       eines Tages wiederbelebt wird, und sich stattdessen auf die seit Langem
       bestehende Realität vor Ort konzentrieren.“
       
       Den [2][Internationalen Strafgerichtshof, der im März Ermittlungen zu
       Israel und Palästina eingeleitet hat], fordert HRW auf, auch Personen
       strafrechtlich zu verfolgen, die glaubhaft in Verbrechen gegen die
       Menschlichkeit verwickelt sind.
       
       ## „Anti-israelische Agenda“
       
       Ein Sprecher des israelischen Außenministeriums nannte den Bericht
       „Fiktion“ und bezeichnete die Behauptungen als absurd und falsch: „Human
       Rights Watch ist dafür bekannt, eine langjährige antiisraelische Agenda zu
       haben, und versucht seit Jahren aktiv, Boykotte gegen Israel zu fördern.“
       
       Die palästinensische Autonomiebehörde begrüßte den Bericht und bezeichnete
       ihn als „bemerkenswerte Ergänzung zu früheren internationalen Berichten und
       Gerichtsurteilen“.
       
       Im Januar hatte die israelische Menschenrechtsorganisation B’Tselem die
       israelische Politik gegenüber den Palästinenser*innen [3][erstmals
       als Apartheidsregime bezeichnet]. Sie begrüßte den HRW-Bericht als
       „dringenden Weckruf“.
       
       Israel ist nicht das einzige Land, dessen Politik HRW als Apartheid
       bezeichnet. Auch die Verfolgung der ethnischen Minderheit der Rohingya in
       Myanmar definiert die NGO als Apartheid.
       
       27 Apr 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.hrw.org/report/2021/04/27/threshold-crossed/israeli-authorities-and-crimes-apartheid-and-persecution
   DIR [2] /Israel-Ermittlungen-in-Den-Haag/!5756057
   DIR [3] https://www.btselem.org/apartheid
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Judith Poppe
       
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