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       # taz.de -- Russisch-tschechische Beziehungen: Reichlich Zündstoff
       
       > Russlands angebliche Urheberschaft für den Anschlag auf ein
       > Munitionsdepot 2014 schlägt Wellen. Tschechiens Präsident verbreitet
       > andere Versionen.
       
   IMG Bild: Privates Munitionslager in Tschechien
       
       Prag taz | Kaum jemand hätte gedacht, was für einen Nachhall die
       Explosionen, die Ende 2014 ein Munitionslager in der nordmährischen
       Walachei zerstörten, sechs Jahre später noch haben würden. Nachdem
       Tschechiens Premier Andrej Babiš in einer Pressekonferenz Mitte April den
       russischen Militärgeheimdienst GRU für die Explosionen, bei denen im
       Oktober 2014 zwei Menschen ums Leben gekommen waren, verantwortlich gemacht
       hatte, warf Prag als Erstes 18 Diplomaten aus dem Land.
       
       Nach einer gleichlautenden Antwort Russlands und einem darauf folgenden
       Ultimatum Tschechiens einigte man sich darauf, die Zahl der
       Botschaftsmitarbeiter ab Ende Mai gleich zu halten beziehungsweise zu
       reduzieren: sieben Diplomaten, 25 Verwaltungsmitarbeiter und 19 Ortskräfte
       sollen so in Zukunft das jeweilige Land vertreten.
       
       Aus Solidarität zu Tschechien verwiesen auch andere Staaten russische
       Diplomaten des Landes. Rumänien wies den stellvertretenden russischen
       Militärattaché aus. Die Handlungen von Alexei Grischajew hätten gegen das
       Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen verstoßen, teilte das
       rumänische Außenministerium am Montag in Bukarest mit. Weitere Einzelheiten
       wurden jedoch nicht genannt.
       
       In der vergangenen Woche hatten die drei baltischen Staaten Estland,
       Lettland und Litauen aus Solidarität mit Tschechien bereits vier russische
       Diplomaten des Landes verwiesen. Auch in der [1][Slowakei] müssen drei
       russische Diplomaten ihre Koffer packen und das Land innerhalb von einer
       Woche verlassen. Polen denkt noch über entsprechende Schritte nach. Die EU
       und die Nato verurteilten ebenfalls den Anschlag.
       
       ## In direktem Kontakt
       
       Deutschland sagte Tschechien zudem Unterstützung zu, sollte sich die
       diplomatische Krise zwischen dem EU- und Nato-Mitglied und Russland weiter
       verschärfen, um den Betrieb der Botschaft weiter zu garantieren. Die
       deutsche und tschechische Botschaft in Moskau stünden in direktem Kontakt,
       hieß es aus diplomatischen Kreisen.
       
       Ein bisschen schneller und schärfer hätte die Reaktion in den Augen der
       meisten tschechischen Kommentator*innen schon ausfallen können. Hatten
       einige gehofft, der Anschlag würde zu weiteren Ausweisungen russischer
       Diplomaten oder gar einem Stopp von Nordstream 2 führen, wie User im
       tschechischen Internet hoffnungsvoll unkten, so wurden sie enttäuscht.
       
       Verlässlich wie immer blieb dafür Präsident Miloš Zeman. Die sensationellen
       Erkenntnisse mehrerer Geheimdienste, [2][dass der GRU das Munitionslager in
       der Walachei in die Luft gejagt haben soll], quittierte er mit einem
       ausgiebigen Schweigen. Am vergangenen Sonntag dann stellte er die russische
       Verantwortung für die Anschläge infrage und fabulierte, dass ein
       fehlerhafter Umgang vonseiten der Lagermitarbeiter die Explosionen
       herbeigeführt haben könnte.
       
       Diese Version war bereits zu Beginn der Untersuchungen 2014 ausgeschlossen
       wurde, da der betreffende Mitarbeiter erwiesenermaßen erst auf seinem Weg
       ins Lager war, als dieses in die Luft flog.
       
       ## Akt staatlichen Terrorismus
       
       Die meisten Tschech*innen, selbst die, die nicht zur wachsenden Anzahl
       derer gehören, die alles Russische verachten, betrachten den Anschlag als
       Akt staatlichen Terrorismus. Der Präsident hingegen lügt im Fernsehen, um
       eine russische Beteiligung auszuschließen, für die sich die Indizien
       mehren.
       
       So gibt es zum Beispiel Anzeichen dafür, dass der GRU für weitere Anschläge
       auf Munitionsdepots in Bulgarien verantwortlich war, wo ebenfalls Waffen
       für die Ukraine und Syrien gelagert worden sein sollen.
       
       Die Aufregung über die Causa Munitionslager hat sich jedenfalls noch lange
       nicht gelegt. In Tschechien dreht sich die innenpolitische Debatte um kaum
       etwas anderes. Man fühle sich stolz und souverän, es den Russen gezeigt zu
       haben, sagen jetzt viele Tschech*innen und beschuldigen ihren
       Präsidenten, dessen Auftritt Russlands Außenminister Sergei Lawrow als
       vernünftig gelobt hatte, gar des Hochverrats. Was, außer dezimierten
       Auslandsvertretungen, von dem Schlagabtausch übrig bleibt und ob Tschechien
       es sich leisten kann, auch wirtschaftliche Verbindungen nach Russland zu
       kappen, wird sich zeigen.
       
       28 Apr 2021
       
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