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       # taz.de -- Nach faschistischem Angriff in Erfurt: Mediale Lehren
       
       > Das Teilen von Videos rassistischer Gewalt kann Diskriminierung sichtbar
       > machen. Doch Opferschutz sollte an erster Stelle stehen.
       
   IMG Bild: Das Teilen rassistischer Videos kann auch problematisch sein
       
       Ein schreckliches Video [1][machte diese Woche die Runde auf sozialen
       Medien]: Ein Fascho baut sich in einer Bahn in Erfurt vor einem
       eingeschüchterten 17-Jährigen auf. Der Fascho schreit rassistische Parolen:
       „Verpisst dich einfach dahin wo du herkommst, du Drecksvieh!“ Der Fascho
       trägt keine Maske, er spuckt den jungen Syrer an. Der Jugendliche, man
       sieht sein Gesicht nicht und kann ihn sonst nicht identifizieren, weint.
       Dann kickt der Fascho seinem Opfer mehrfach gegen den Kopf. Eine
       mutmaßliche Bekannte des Täters, der am Montag festgenommen wurde, kommt
       hinzu. Ihre Worte sind deutlich hörbar: „Denk an die Kameras!“
       
       Dieses Video schauten Hunderttausende von User*innen. Eine Diskussion
       entbrannte, ob man Videos von rassistischer Gewalt überhaupt zeigen sollte.
       Ganz wichtig: Rassismus nimmt nicht zu, er war schon immer da, [2][wird
       jetzt nur verstärkt mit dem Smartphone dokumentiert]. Wenn Zivilcourage und
       Opferschutz dabei nicht auf der Strecke bleiben, ist das okay, ja sogar
       wichtig.
       
       Es gibt die Fraktion, die bei solchen Videos auf Teilen klickt. Das ist
       dahingehend problematisch, dass die Inhalte vor der Weiterverbreitung oft
       gar nicht angeschaut oder verifiziert werden. Schlimmer ist es, wenn in den
       entsprechenden Videos die Identität der Überlebenden nicht geschützt wird.
       [3][Die Würde wird bei diesen Angriffen immer mit Füßen getreten], im
       Erfurter Fall ja wortwörtlich. Die Kombination aus identifizierbaren
       Überlebenden und rassistischer Gewalt muss alle User*innen vorsichtiger
       werden lassen.
       
       Neun von zehn Videos, die auf meinem Schreibtisch landen, teile ich nicht.
       Denn Teilen als Selbstzweck ist nicht zielführend. Dennoch ist es wichtig,
       diesem Land das Problem vor Augen zu führen. Bei verifizierten Fakten und
       garantiertem Opferschutz muss Deutschland seine hässliche Fratze im Spiegel
       sehen – sonst ändert sich gar nix.
       
       Und dann gibt es die Fraktion, die auf gar keinen Fall solche Videos sehen
       möchte. Das hat mehrere Gründe: Einige Überlebende von rassistischer Gewalt
       werden beim Anblick re-traumatisiert. Deswegen sind klare Triggerwarnungen
       wichtig, an die ich selbst noch stärker in Zukunft denken möchte. Und dann
       gibt es jene, die glauben, dass sie mit einem wissenschaftlichen Aufsatz,
       mit einer Bewerbungsrede beim Landesparteitag oder ihrer Liebesoffensive
       auf Twitter den Rassismus in diesem Land schon besiegen werden und
       Reichweite dabei keine Rolle spielt. Das ist naiv und denkt arbeitsteilige
       Lösungsansätze nicht mit.
       
       Facebook und Instagram haben im Erfurter Fall den deutschesten aller Wege
       gewählt und das Video kommentarlos (auch auf meinen Profilen) gelöscht. Die
       beiden Plattformen sind dafür bekannt, rechtsextreme Propaganda im Namen
       der Meinungsfreiheit stehen zu lassen. Auf Anfrage argumentiert eine
       Facebook-Sprecherin diesmal mit dem Jugendschutz. Ich würde das mit anderen
       Worten beschreiben: Aus dem Auge, aus dem Sinn.
       
       29 Apr 2021
       
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