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       # taz.de -- Die Liebe und das Geld
       
       > Streik ist nicht drin, wo Kinder versorgt werden müssen. Eine Diskussion
       > über unbezahlte Sorgearbeit in der Reihe „Let‘s talk about class“ im Acud
       > Macht Neu
       
       Von Kirsten Riesselmann
       
       Die Veranstaltungsreihe „Let’s talk about class“ ist eine gute Sache. Seit
       Februar 2020 diskutieren Daniela Dröscher und Michael Ebmeyer im Acud Macht
       Neu mit wechselnden Gästen aus Kunst und Kultur über unsere Gesellschaft
       als Klassengesellschaft, also über den Einfluss der sozialen Herkunft auf
       Chancen und Lebenswege. Anders gesagt: Es wird über einen leicht
       marxistisch-verstaubt klingenden Begriff gesprochen, der zwischen Identity
       Politics, Human-Animal-Studies, Postkolonialismus und Anthropozän-Theorien
       zu Unrecht etwas untergegangen ist. Bei der Premiere fand die Veranstaltung
       noch vor Publikum statt, seitdem ist sie über einen Livestream
       mitzuverfolgen.
       
       Am Donnerstag stand der sechste Abend der Reihe unter dem Motto „Hausfrau
       und Mutter“. Zu Gast waren Jacinta Nandi, Marlen Hobrack und Anke Stelling.
       Vielversprechend. Nandi, geboren in East London, seit über 20 Jahren in
       Berlin und auf diversen Lesebühnen unterwegs, hat im Herbst ihren
       Erfahrungsbericht „Die schlechteste Hausfrau der Welt“ veröffentlicht, eine
       stinksaure Abrechnung mit hartnäckigen Rollenmustern. Marlen Hobrack
       schreibt seit einigen Jahren taz, Freitag, Zeit und Emma mit
       Buchrezensionen und Meinungsstücken voll, Schwerpunkte Feminismus,
       Männlichkeit, Popkultur. Und Anke Stelling ist seit ihren Romanen
       „Bodentiefe Fenster“ und „Schäfchen im Trockenen“ ja sowieso der strahlende
       Stern der Dekonstruktion von Familienleben im neobourgeoisen, grünliberalen
       urbanen Milieu.
       
       Das Programm des Abends laut Moderation: sich das Fundament der
       Gesellschaft anschauen – nämlich die unbezahlte Sorgearbeit, ohne die gar
       nichts liefe und die deswegen nicht als privates, sondern als strukturelles
       Problem zu erzählen sei. So weit, so logo. Nandi stürzte sich mit einer
       dicken Portion Wut und Simplifizierung ins Thema, war aber mit ihrem
       Männer- und grundsätzlichen Sozialstaatsbashing offenbar nicht so recht
       anschlussfähig. Anke Stelling fiel zu ihren Salven nur lapidar ein: „Tja,
       Kapitalismus und Patriarchat machen Partnerschaft und Familie eben kaputt.
       Wir leben in einer feindlichen Umgebung und dürfen nicht nachlassen,
       dagegen zu kämpfen.“ Dröscher wollte herausfinden, wie dieser Kampf
       aussehen könnte. Streik sei ja nicht drin, Kinder müssten schließlich
       versorgt werden.
       
       Jacinta Nandi forderte Töpfe jenseits von Hartz 4 die auf Frauen mit wenig
       oder keinem Geld zugeschnitten seien. Marlen Hobrack machte sich stark für
       die zwar anstrengende, aber bewältigbare Aufgabe, auf die 50:50-Verteilung
       von Care-Arbeit streng zu achten. Stelling versuchte noch den Bogen zum
       übergeordneten Thema: Die Aufwertung von Hausarbeit, die im Lockdown
       stattgefunden habe, sei ein reines Klassenphänomen. Mit Hingabe Brot zu
       backen, das könnten sich nur wenige leisten. Klar sei die neue
       Achtsamkeitsbewegung toll, auch sie würde der Hausarbeit gern mehr Liebe
       entgegenbringen, „aber nur, wenn ich dafür bezahlt würde“. Hobrack wandte
       ein, die Verquickung von Care Work und Entlohnung sei schon durch das
       Konzept der Liebe unmöglich: Wer sich aus Liebe um Kinder kümmern soll,
       darf diese nicht mit Geld aufwiegen wollen.
       
       Aber da versiegte die Diskussion schon wieder. Der Abend hatte viele kleine
       Funken, wollte aber nicht zu einem Feuer werden. Kein Schlachtplan für den
       Kampf gegen starre Rollen und die ätzende Ungerechtigkeit unbezahlter
       Arbeit wurde entwickelt. Wäre auch zu schön gewesen.
       
       17 Apr 2021
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kirsten Riesselmann
       
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