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       # taz.de -- Radikalisierung einer Bewegung: Der Staat als Endgegner
       
       > Teile der sogenannten Corona-Protestbewegung sind längst gewaltbereit.
       > Hat ein Mann aus Franken einen Anschlag auf eine ICE-Strecke verübt?
       
   IMG Bild: Gefahr auf der Schiene: Ein Plakat mitten auf einer Trasse, die auch von ICEs genutzt wird
       
       Für Ronny Sauer beginnt der 6. Januar 2021 ganz normal. Es ist ein
       Mittwoch, der Dreikönigstag ist hier im bayerischen Unterfranken ein
       Feiertag. Sauer plant eine Radtour mit seiner Frau. Er weiß nicht, dass für
       über 10.000 Menschen in Deutschland dieser Tag der sogenannte „D-Day 2.0“
       ist: ein Aktionstag, dessen Name auf die Landung der Alliierten in der
       Normandie am 6. Juni 1944 anspielt, den Tag also, an dem aus militärischer
       Sicht der Anfang vom Ende des Zweiten Weltkriegs begann. Die „D-Day
       2.0“-Aktivist*innen glauben, sich 2021 ebenfalls befreien zu müssen – von
       einer vermeintlichen „Coronadiktatur“, einer angeblich von „der Elite“
       gesteuerten „Plandemie“. Ihre Protestmittel: Autokorsos, Plakate, mit
       „Wacht auf!“-Botschaften versehene Geldscheine.
       
       Ronny Sauer und seine Frau werden an diesem Tag Zeug*innen der vermutlich
       folgenreichsten Aktion des „D-Day 2.0“. Einer Aktion, die Menschenleben
       gefährdet. Auf dem letzten Kilometer ihrer Radtour, zwischen den Dörfern
       Waigolshausen und Gemünden, stoppen sie in der Dämmerung die Räder. Neben
       dem Radweg, mitten auf den Gleisen, einer zu der Zeit auch von ICEs
       genutzten Trasse, steht ein wackelig gezimmerter Rahmen aus Holzlatten,
       etwa ein Meter fünfzig hoch. Darauf ist ein weißes Tuch gespannt, in
       signalroter Farbe steht darauf geschrieben: „Diesesmal FAKE“. Eine
       Botschaft? Eine Drohung? Ein Verweis auf ein nächstes Mal?
       
       Ronny Sauer steigt in das Gleisbett und macht ein Foto. Er baut das
       Hindernis ab, fährt nach Hause und ruft bei der örtlichen Polizeiwache an.
       Zehn Minuten später bekommt er einen Anruf von der Bundespolizei, ob er
       noch mal zum Fundort kommen könne, erzählt er im März der taz. Die Polizei
       ist im Großeinsatz. Das Plakat, das Sauer gefunden hat, war nicht das
       einzige. Ein paar Kilometer weiter fährt ein ICE in ein ähnliches
       Hindernis. Der Zugführer leitet eine Notbremsung ein, der Triebwagen wird
       beschädigt, Bahnpersonal und Reisende bleiben unverletzt. Wegen der
       Botschaften auf den Plakaten, die zusammengenommen womöglich einen Satz
       ergeben, halten die Ermittler*innen die Tat für politisch motiviert.
       Eine Sonderkommission wird einberufen, der Tatbestand: „Gefährlicher
       Eingriff in den Schienenverkehr“.
       
       ## Länderübergreifend radikal
       
       Seit Wochen haben sich Angehörige der Corona-Protestbewegung auf Telegram
       auf ihren „D-Day 2.0“ vorbereitet, in lokalen Gruppen vernetzt, Aktionen
       geplant und Stimmung mit NS-Vergleichen und Verschwörungserzählungen
       gemacht. „Waltraud xxx“ schreibt: „Bedenkt immer wieder: Wir müssen
       aufpassen, dass wir, ja wie soll ich uns nennen, die ‚Erwachten‘ nicht in
       Krieg mit den ‚Noch-Nicht-Erwachten‘ treten, das ist ja genau, was die da
       oben wollen.“
       
       Diese Radikalisierung der Proteste gegen die Coronapolitik findet auch
       außerhalb Deutschlands statt: In Österreich nannte Gesundheitsminister
       Rudolf Anschober von den Grünen bei seinem Rücktritt am Dienstag vor einer
       Woche neben gesundheitlichen Problemen auch die Bedrohung durch
       Coronaleugner als einen Grund, weshalb er sich aus der Politik zurückziehe.
       Seit vergangenem November stand er wegen Morddrohungen unter Polizeischutz.
       Für ihn war seit dem Herbst „spürbar, dass die Aggressivität zugenommen hat
       von einem kleinen Bereich der Coronaleugner“, sagte Anschober bei seinem
       Rücktritt.
       
       Die zunehmende Aggressivität der Coronaleugner zeigt sich in der
       österreichischen Bundeshauptstadt Wien auch im öffentlichen Raum. Das
       Wien-Museum zeigte auf Bauzäunen am Karlsplatz im Zentrum der Stadt eine
       Ausstellung mit Porträts von 18 Personen mit Maske, die in kurzen Texten zu
       den Bildern beschreiben, wie sie die Zeit des ersten Lockdowns im Frühjahr
       2020 erlebt hatten. „Wir haben schon damit gerechnet, dass es hie und da
       Beschmierungen geben wird, aber das ist völlig eskaliert“, sagt
       Ausstellungskurator Peter Stuiber. „Die Anti-Corona-Demonstranten, die sich
       regelmäßig am Karlsplatz trafen, fühlten sich davon total provoziert.“ Nach
       jeder Demo war die Ausstellung völlig zerstört. „Plandemic“ war auf die
       Bilder geschmiert, „und dazu Hakenkreuze, George-Soros-Beschimpfung und was
       es sonst noch alles an Antisemitismus und Weltverschwörung gibt“.
       
       In der Schweiz kündigten Angehörige der Protestbewegung im Dezember an,
       nach einer Demonstration in die Notfallstation des Universitätsspitals
       Zürich (USP) einzudringen. Sie wollten dort „nachsehen“, wie viele
       Covid-19-Patient*innen dort „tatsächlich“ liegen. Zuvor hatten
       Chefärzt*innen des USP vor einer Überlastung der Krankenhäuser durch
       Covid-Patient*innen gewarnt. Das Krankenhaus musste seine
       Sicherheitsmaßnahmen verstärken, die Aktion fand letztlich nicht statt.
       
       ## Die Spur führt in die Protestbewegung
       
       In Unterfranken bestärkt schließlich ein Hinweis aus der Bevölkerung die
       Soko „Werntal“ in ihrem Verdacht: Die Spur führt in die
       Corona-Protestbewegung und zu einem 36-Jährigen, der sich im Mai 2020 auf
       einer Demonstration dem Publikum noch als besorgter Familienvater
       vorstellte, als jemand, der „nur aufklären“ wolle, wie ein Youtube-Video
       von der Demo zeigt. Der Mann, den die Soko „Werntal“ ins Visier nimmt,
       heißt in diesem Text Johann Fischer. Seine Identität soll wegen der
       laufenden Ermittlungen hier geheim bleiben.
       
       An einem Mittwoch Ende März unterhält sich Fischer mit einem Kumpel an
       einer Straßenecke, wenige Meter von seinem Wohnhaus in Unterfranken
       entfernt. In dem Ort, in dem Fischer mit seiner Frau und den drei Kindern
       lebt, hängen an den gelb blühenden Forsythien zwei Wochen vor Ostern bunte
       Plastikeier in aufgeräumten Vorgärten. Im Dorf hat sich herumgesprochen,
       dass eine Reporterin ihn sucht. Als Fischer sie sieht, richtet er sich
       abrupt auf, Brust raus, Beine breit, stemmt die Arme in die Hüften und
       poltert: „Was wollen Sie von mir?“ Fischer ist ein unauffälliger Mann, der
       gern Minigolf und Fußball spielt, wie das Internet verrät. Er bestreitet
       gegenüber der taz, etwas mit dem Plakat auf den Gleisen zu tun zu haben.
       
       Sein Alibi aber möchte er nicht offenlegen, auf Anraten seiner Anwältin.
       Die sei eine „Anwältin für Aufklärung“. Dabei handelt es sich um einen
       Zusammenschluss von Jurist*innen, die vermeintlich vom „System“ verfolgten
       Aktivist*innen der Coronaleugner-Bewegung mit Rat oder Rechtsbeistand
       zur Seite zu stehen. Fischer sagt: „Es ist immer gut, gut vernetzt zu sein.
       Wir haben für jedes Problem jemanden, der sich auskennt, und alle helfen
       einander.“ Mit „wir“ meint Fischer die Bewegung. Jedem „wir“ verleiht er
       Nachdruck. Auch als er sagt: „Wir lehnen Gewalt grundsätzlich ab.“ Und
       tatsächlich wirkt er zunächst wie ein harmloser Familienvater, vielleicht
       einer, der glaubt, Teil eines politischen Frühlings zu sein. Fischer hat
       einen Mittelschulabschluss gemacht, dann folgte ein Job in der
       Beschwerdeabteilung der Telekom, danach ein Job als Kundenbetreuer im
       Sanitätshaus. 2012 nimmt er eine Anstellung an, die seinem Leben eine neue
       Wendung zu geben scheint.
       
       ## Ein stolzer Reichsbürger?
       
       Fischer wird Teil des Vertriebsteams eines international operierenden
       Coaching-Unternehmens, das nun in Deutschland den Markt erobern will. In
       Motivationsseminaren mit Namen wie „National Achievers Congress“ oder
       „Millionaire Mind Intensive“ predigen Geschäftsmänner aus den USA ihre
       Lehren vom Erfolgreichsein und Reichwerden. Fischer erzählt, er habe diese
       Männer bewundert. Und auch im Team habe man sich viel über „die großen
       Fragen des Lebens“ ausgetauscht.
       
       Dort lernt Fischer auch die Weltanschauung jener kennen, die glauben,
       Deutschland sei kein souveräner Staat, erinnert er sich. Personen also, die
       der Verfassungsschutz der [1][rechtsextremistischen Gruppe sogenannter
       Reichsbürger] und Selbstverwalter zuordnet. Stolz zeigt Fischer auf sein
       „Sankt-Georgs-Band“, das er an seine Jacke geheftet hat. Eine
       schwarz-orange gestreifte Stoffschleife, mit der in Russland an den Sieg im
       Zweiten Weltkrieg erinnert wird. In Deutschland wiederum bringen
       Reichsbürger mit dem Symbol ihre Verehrung Russlands als einziger Retter
       des vermeintlich nicht legitimen deutschen Staats zum Ausdruck.
       
       Der Politologe Jan Rathje schreibt in einem Buch über das
       Reichsbürger-Milieu im Jahr 2017, dass „sich über die Jahre auch außerhalb
       des organisierten extrem rechten Teils des Milieus die Bereitschaft
       entwickelt hat, [2][auf terroristische Gewalt zurückzugreifen]“. Lange sei
       die Szene wegen ihrer skurrilen Aktionen wie zum Beispiel der Abschottung
       in eigene „Königreiche“ in der öffentlichen Wahrnehmung als eine Art
       Realsatire verkannt worden. Dabei wohne dem „Wahn des bedrohten Deutschen“,
       dem die Anhänger*innen der Reichsbürger-Verschwörungsideologie
       verfielen, ein antisemitischer Mythos der „jüdischen Weltverschwörung“
       inne. Auf die Frage, ob sich Fischer als Reichsbürger sehe, sagt er: „Wenn
       die Definition eines Reichsbürgers ist, dass er die Souveränität des
       deutschen Staats nicht anerkennt, dann ja.“
       
       ## Längst keine Einzelfälle mehr
       
       Als die Pandemie kommt, wird Fischer zunächst in die Kurzarbeit gezwungen.
       Er war von der Coaching-Branche in die Telekommunikation gewechselt, hatte
       ein paar Jahre eine kleine Filiale eines Franchise-Mobilfunkfachgeschäfts
       betrieben. Ende 2020 wird Fischer dann – aus betrieblichen Gründen, wie er
       sagt – gekündigt. Der Protestbewegung schließt er sich bereits im April
       2020 an, organisiert fortan kleine Demos in seinem Wohnort oder in der
       nächstgrößeren Kreisstadt, spricht auf Kundgebungen, mal vor fünf, mal vor
       50 Leuten. Dort sagt Fischer: „Ich bin ein normaler Bürger, so wie ihr
       auch.“
       
       Dass die aus der Pandemie geborene Protestbewegung immer radikaler wird,
       macht nicht nur der Vorfall mit dem ICE deutlich. [3][Eine taz-Recherche
       vom März] zeigt, dass bei der wachsenden Zahl der Delikte, die die
       Sicherheitsbehörden zählen, nicht mehr von Einzelfällen gesprochen werden
       kann. Kaum hatte die Bewegung nach dem Winter die Demo-Saison
       wiedereröffnet, kam es im März in Dresden und Kassel zu gewaltsamen
       Zusammenstößen mit der Polizei, die allein in Dresden 915 Platzverweise
       verhängt und 47 Straftaten sowie zwölf verletzte Polizist*innen zählt.
       Seit Kurzem werden in Hamburg und Berlin einzelne Gruppen der Bewegung vom
       jeweiligen Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuft.
       
       Seit März führt das bayerische Landesamt die Beobachtung unter der
       Kategorie „Sicherheitsgefährdende demokratiefeindliche Bestrebungen“.
       Baden-Württemberg stufte „Querdenken -711“ bereits im Dezember als
       Beobachtungsobjekt ein. Der Initiative „D-Day 2.0“ sagt die Behörde auf
       seiner Webseite mit seinen „neuen Protestformen“ eine „extremistische
       Einflussnahme auf das Corona-Protestgeschehen“ nach. Am 15. April sagte
       Bundesinnenminister Horst Seehofer in Berlin, er rechne damit, dass die
       Bewegung zukünftig bundesweit [4][zum Beobachtungsobjekt erklärt werde]. Es
       ergebe keinen Sinn, „wenn wir nach jeder Entgleisung feststellen, es darf
       sich nicht wiederholen, und es wiederholt sich dann doch“, sagte Seehofer
       über die jüngsten Protestkundgebungen.
       
       ## In Chatgruppen wird der Holocaust geleugnet
       
       In Fischers Wohnort erzähle man sich derweil auf dem Fußballplatz und im
       Gemeinderat Dinge, die ein anderes Bild zeichneten als das des friedlichen
       Familienvaters Johann Fischer, sagt Peter Hoffmann. Auch er heißt
       eigentlich anders. Weil Hoffmann Sorge hat, aufgehetzte Anhänger*innen
       der Coronabewegung könnten ihn bedrohen, möchte er anonym bleiben.
       
       Hoffmann, 51 Jahre alt, ist Pfleger und beobachtet die Szene in seiner
       Stadt seit der Kundgebung, auf der Fischer sprach. Er erinnere sich an den
       heute 36-Jährigen aus ihrer gemeinsamen Zeit im Fußballverein. Da sei
       Fischer vor ein paar Jahren aufgefallen, weil er auf Facebook immer wieder
       Spieler aus einem anderen Verein verunglimpft habe, erzählt Hoffmann der
       taz. Sie seien von „der Antifa verseucht“, habe Fischer behauptet. Für
       Hoffmann ist Fischer jemand, der „beim kleinsten Funken Feuer fängt“.
       
       Hoffmann und zwei Lokaljournalist*innen, die die Corona-Protestszene in
       Unterfranken beobachten, gehen davon aus, dass Fischer 2020 eine
       Telegramgruppe mit dem Namen „Corona Rebellen“ eröffnet hat. Dafür spricht,
       dass die Posts des Gruppeninhabers teils identisch mit den Posts von
       Fischer auf seinem Facebook-Profil sind, das er mit Klarnamen führt. Auch
       dass der Gruppeninhaber in Sprachnachrichten von seinem Job in einem
       Handyladen spricht, macht Fischer verdächtig. Es ist eine Filiale des
       Unternehmens, bei dem auch er angestellt war, bis er seinen Job verlor.
       
       200 Mitglieder zählt die Telegramgruppe Anfang Januar 2021, als eine Userin
       darin offen den Holocaust leugnet und von „erstunkenen und erlogenen
       Geschichtsbüchern“ schreibt, wie Screenshots belegen. Der Inhaber der
       Gruppe reagiert weder mit Widerspruch noch mit einem Rauswurf der Userin.
       Bis zum 12. Februar bleibt die Gruppe bestehen, kurz vor der Löschung hat
       sie noch 180 Mitglieder.
       
       ## „Widerstand“ und „Endgame“
       
       Schon vor der Pandemie wähnte sich Fischer „im Widerstand“ gegen „das
       System“, wie sein Post von 2016 auf einer Facebook-Seite der Bundeswehr
       zeigt. Dort schreibt er, es werde Zeit, dass auch deutsche Soldaten
       Widerstand leisteten – „und zwar öffentlich! Wir brauchen EUCH! Steht auf
       der richtigen Seite!!!“.
       
       Kurz vor Weihnachten 2020 postet Fischer auf seinem Profil einen
       dramaturgisch durchdachten Abschiedsbrief: Erst bleibt er vage, schreibt
       von „nicht widerlegbaren Zeichen“. Dann holt er aus: „Es ist so weit, davon
       bin ich 100% überzeugt“, „Der DS {‚Deep State‘} wird fallen, oder aber wir
       werden fallen! It is the ENDGAME!“. Was im „Untergrund“ geplant werde,
       stehe unmittelbar bevor, es werde „Verluste“ geben, „ABER: Wir werden
       Siegen!“, „Ich sage nur: Tick, Tack … Tick, Tack“, „Frohe Weihnachten, Euer
       Johann“.
       
       Es ist die Zeit, in der User*innen mit Namen wie „Widerstand
       #MörderMerkel“ in der bayerischen „D-Day 2.0“-Gruppe die Corona-Impfung mit
       Josef Mengeles NS-Euthanasieverbrechen vergleichen. Auch Fischer ist Teil
       der „D-Day 2.0“-Initiative, wie er der taz erzählt. Täglich telefoniere er
       mit deren Kopf Markus Lowien. Ein Mann, der fast täglich in selbst
       gedrehten Handyvideos Verschwörungserzählungen in die unzähligen
       Telegramgruppen der Bewegung spült und dabei vom „Fall dieses kranken
       Systems“ träumt. Stets mit dem Hinweis: Wer seinen Aktivismus unterstützen
       will, [5][möge via Paypal spenden]. Auch Lowien trägt wie stets die
       schwarz-orange Reichsbürger-Schleife.
       
       Knapp zwei Wochen nach Fischers Facebook-Statement ist der große Tag
       gekommen, der „D-Day 2.0“ am Dreikönigstag. Die größte geplante Aktion in
       Fischers Nähe ist ein Autokorso in Würzburg. Der Aufruf wird in der „Corona
       Rebellen“-Gruppe geteilt. Aber der Inhaber, mutmaßlich Fischer selbst, sagt
       seine Teilnahme an der Aktion ab. Auf Facebook postet Fischer wiederum auf
       seinem Profil: „Heute ab 16 Uhr – Wir werden zeigen, was ziviler Ungehorsam
       ist“ mit einem Link zum Musikvideo von „The final Countdown“, wie ein
       Screenshot zeigt, der der taz vorliegt. Heute ist dieser Facebook-Post vom
       6. Januar nicht mehr auffindbar. Nur noch ein Tweet von Trump und zwei
       Videos vom Sturm auf das US-Kapitol, die Fischer mit Party-Emojis postet,
       sind geblieben.
       
       Erst am Morgen des 10. Februar wird es ernst für Fischer. Die Soko
       „Werntal“ hat einen Hinweis aus der Bevölkerung bekommen. Fischers Auto sei
       am 6. Januar in der Nähe des Tatorts gesichtet worden, sagt Fischer selbst
       der taz und behauptet, er wisse nicht mal, wo die Zugstrecke verlaufe. Den
       Ermittler*innen aber reichen die Indizien. In den frühen Morgenstunden
       durchsuchen mehrere Einheiten das Haus der Familie und beschlagnahmen
       Handys, Laptops, Tablets. Fischer muss eine DNA- und eine Schriftprobe
       abgeben. Der Polizei gegenüber macht er keine Aussage. Der taz sagt er:
       „Sollen die mal ihren Job machen.“
       
       ## Wenn Zusammenhalt wichtiger wird als Fakten
       
       Die Psychologin Michaela Pfundmair forscht zu Radikalisierungsprozessen.
       Sie sagt, die Entstehung kleinerer Zellen könnte die Corona-Protestszene
       zunehmend radikalisieren. Es bestehe die Gefahr, dass solche Zellen
       Prozessen von Gruppendenken unterliegen. Da würden die Aufrechterhaltung
       der Solidarität und der Zusammenhalt wichtiger als eine kritische
       Betrachtung von Fakten. Dass Menschen das Bedürfnis haben, sich mit anderen
       zusammenzutun, hänge mit der sozialen Identität zusammen, die alle Menschen
       in Gruppen entwickelten – an sich ganz normales menschliches Verhalten.
       Doch dort, wo radikale Ideen ausgetauscht würden, steige so das Risiko
       einer Verfestigung dieser Ideen durch gruppendynamische Prozesse.
       Gegenreden würden nicht mehr geduldet und ihre Urheber ausgeschlossen, zum
       Schutz der Gruppe. „Der Zwang zu Konformismus kann wie ein Treiber der
       Radikalisierung wirken“, sagt Pfundmair.
       
       Nicht selten würden in diesen Gruppen immer extremere Äußerungen
       hochgeschaukelt, was sich zum einen aus der Präsentation neuer Argumente,
       zum anderen aus dem Bedürfnis nach sozialer Anerkennung speise. In dieser
       Dynamik würden „Feinde“ oft dehumanisiert, was die Hemmschwelle für
       Übergriffe sinken lasse.
       
       Auch in Johann Fischers Reden und Tun findet sich ein starkes Bedürfnis
       nach sozialer Anerkennung oder „Signifikanz“, wie es in der Psychologie
       heißt. So sagt er der taz, Demonstrationen reichten ihm nicht mehr aus.
       Leipzig sei ja noch „geil“ gewesen, denn da habe die eigentliche Demo „erst
       nach der Demo angefangen“. Am 7. November 2020 war es in Leipzig zu
       heftigen Zusammenstößen mit der Polizei gekommen, etwa 200 Hooligans,
       darunter viele Rechtsradikale, führten den eigentlich bereits aufgelösten
       Demozug Tausender Corona-Protestierender an, während die sichtlich
       überforderten Sicherheitskräfte mehr zusahen als eingriffen. Fischer
       findet, auf den meisten Demos werde „nur viel geredet“. Und wenn schon eine
       Demo, dann müsse sie groß sein. So plante er im Februar eine
       Großdemonstration in einem unterfränkischen 4.000-Einwohner-Ort, zu der er
       15.000 Teilnehmende erwartete, wie er auf Facebook schrieb. Die Demo fand
       nie statt.
       
       Laut Pfundmair sind es normale psychologische Prozesse, die Menschen in
       radikale Gedanken treiben können. Die Annahme einer „terrorist
       personality“, wie sie in der Forschung lange vorherrschte, sei überholt.
       Heute gehe man davon aus, dass es eher „ein explosiver Cocktail“
       gleichzeitig auftretender Umstände sei, der zu Radikalisierung führe. Dazu
       können auch gewisse Persönlichkeitsmerkmale gehören, wie die sogenannte
       „dunkle Triade“: Narzissmus, also die Neigung, sich anderen überlegen zu
       fühlen; Machiavellismus, die Neigung. andere zu manipulieren und
       auszunutzen, und Psychopathie im Sinne von Empathielosigkeit.
       
       ## Keine roten Linien
       
       In der Telegramgruppe „Corona Rebellen“ postet jemand einen Tag nach der
       Hausdurchsuchung bei Fischer und zwei mutmaßlichen Kompliz*innen einen
       Artikel aus der Lokalpresse über den vereitelten Anschlag und Ermittlungen
       im Umfeld der Coronabewegung. Der Inhaber der Gruppe, mutmaßlich Fischer,
       bezichtigt wieder die Antifa.
       
       Wiederum einen Tag später, am 12. Februar, kündigt der Inhaber die Löschung
       der Gruppe an. Der Grund sei eine vermeintliche „Durchseuchung“ mit
       „Antifa, Polizei (Söldner), Verfassungsschutz und Spitzeln“. Danach wird es
       auch in den anderen lokalen Telegramgruppen der Bewegung ruhiger. Ist der
       Bewegung in Unterfranken ein Anführer abhandengekommen?
       
       Fischer sagt, dieser Eindruck sei trügerisch, denn in Wahrheit vernetzten
       sie sich seit dem „D-Day 2.0“ nun auch „offline“ oder in geschlossenen
       Gruppen, um weitere Aktionen für den „Systemwechsel“ vorzubereiten.
       Tatsächlich schreibt der Corona-Rebellen-Inhaber in seine Lösch-Ankündigung
       den Zusatz: „Wer Näheres wissen möchte, weiß wie/wo/wann man mich erreicht
       OFFLINE“. Etwa 14 Tage nach der Löschung der Gruppe verkündet ein User mit
       einem ähnlichen Profilnamen in einer anderen Lokalgruppe die Neueröffnung
       einer nun geschlossenen „Corona Rebellen“-Gruppe. Wer Infos dazu wolle,
       möge sich per Direktnachricht an ihn wenden.
       
       Fragt man Fischer, wo für ihn bei Protest und Radikalität die rote Linie
       verlaufe, sagt er wieder, jegliche Form der Gewalt lehnten seine
       Mitstreiter und er ab. Er sagt aber auch: „Die ICE-Aktion ist für mich
       keine Gewalt.“ Gegen Fischer wird wegen gefährlichen Eingriffs in den
       Schienenverkehr ermittelt, die Soko „Werntal“ sucht laut Angaben des
       Polizeisprechers neben Beweisen auch nach mutmaßlichen Verbündeten. Fischer
       scheint das nicht zu verunsichern. Die Aktivist*innen, die er „D-Days“
       nennt, planten schon weitere Aktionen, auch langfristiger, auch für die
       Bundestagswahlen. Aber eigentlich, sagt Fischer, setze er darauf, dass
       „vorher schon alles beendet“ ist.
       
       Mitarbeit: Robert Andreasch , Sebastian Erb 
       
       Die Recherche entstand im [6][Rechercheverbund Europe’s Far Right] und
       wurde mit Mitteln des [7][„Investigative Journalism for Europe“]-Programms
       gefördert.
       
       25 Apr 2021
       
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       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Corona-Leugnung auf Telegram: Der digitale Strippenzieher
       
       Frank Schreibmüller hat den Online-Kaninchenbau einer
       verschwörungsideologischen Bewegung gegraben, die immer mehr nach rechts
       driftet. Ein analoger Ortsbesuch.
       
   DIR Geschichte eines russischen Symbols: Der Kult ums Bändchen
       
       Auf der linken Brust soll es getragen werden, nahe beim Herzen: das
       Georgsband. Nicht nur russische Patrioten schmücken sich mit der Schleife.
       
   DIR Verein „Polizisten für Aufklärung“: Schwurbelnde Beamte
       
       Im Verein „Polizisten für Aufklärung“ organisieren sich Beamte, die der
       Querdenker-Szene angehören. Das Ziel ist, neue Mitglieder zu rekrutieren.
       
   DIR Vier Tote in Potsdamer Wohnstätte: Haftbefehl wegen Totschlags
       
       Nach dem gewaltsamen Tod vierer Personen mit Behinderung in Potsdam wurde
       eine Tatverdächtige festgenommen.
       
   DIR Thüringer Minister über Coronaprotest: „Anschläge sind nicht auszuschließen“
       
       Der Verfassungsschutz überwacht die „Querdenken“-Bewegung. Sie sei eine
       Gefahr für die Demokratie, sagt Thüringens Innenminister Georg Maier.
       
   DIR Verfassungsschutz und „Querdenker“: Jetzt kann abgehört werden
       
       Nach der Einstufung des Coronaprotests gibt es Lob und Kritik aus der
       Politik. Die „Querdenker“ flüchten sich in Zynismus – und mobilisieren
       weiter.
       
   DIR Verfassungsschutz und Coronaprotest: „Querdenker“ bundesweit beobachtet
       
       Immer wieder kommt es bei Corona-Demos zu Übergriffen. Nun nimmt der
       Verfassungsschutz die „Querdenker“ bundesweit unter Beobachtung.
       
   DIR Prozess gegen „Gruppe S.“: Ein unwissender Mittelalterfan?
       
       Im Prozess gegen die mutmaßlich rechtsterroristische „Gruppe S.“ gibt sich
       ein Angeklagter naiv. Er will vom Ziel der Bande nichts gewusst haben.
       
   DIR Geschäfte machen mit der Pandemie: Die Verschwörungsindustrie
       
       Für manche ist Corona ein Geschäft: Crash-Propheten bieten Münzen an,
       Anwälte locken mit Klagen gegen Virologen. Reise zu den Heilsbringern der
       Krise.
       
   DIR Straftaten auf Coronaprotesten: Schluss mit friedlich
       
       Der Coronaprotest wird gewalttätiger. Die Länder zählen zahlreiche
       Straftaten. Der bayrische Verfassungsschutz nimmt die Bewegung ins Visier.
       
   DIR Impfgegner und die Coronapandemie: Gegen den Stich
       
       Europaweit setzen Regierungen auf die neuen Impfstoffe, um Corona zu
       stoppen. Impfgegner und Rechtsextreme mobilisieren dagegen.