URI: 
       # taz.de -- Pressefreiheit in China: Wer nicht spurt, wird diffamiert
       
       > Chinas Propaganda-Apparat bedient sich immer dreisterer Methoden.
       > Kritische Korrespondenten werden gezielt aus dem Land geekelt.
       
   IMG Bild: Hält die Presse nicht nur in der Pandemie auf Distanz – die Chinesische Regierung
       
       Peking taz | John Sudworth, preisgekrönter Korrespondent der BBC, hat es
       nicht mehr ausgehalten: die ständige Verfolgung der Sicherheitsbehörden,
       die orchestrierten Hetzkampagnen der Staatsmedien, zuletzt gar ein
       angedrohter Rechtsstreit. Neun Jahre lang berichtete Sudworth aus China –
       und enthüllte dabei Wahrheiten, „von denen die chinesischen Behörden nicht
       wollten, dass die Welt sie erfährt“, heißt es in einer Stellungnahme seines
       Arbeitgebers. Nun ist er nach Taiwan gezogen.
       
       Sein Abgang offenbart die absurde Gängelung, die mittlerweile auch
       ausländische Korrespondenten in China erfahren, wenn sie zu sensible Themen
       wie den Menschenrechtsverbrechen in Xinjiang recherchieren. Sudworth, seine
       Frau Yvonne Murray, die für den irischen Sender RTÉ News berichtet und ihre
       drei Kinder wurden bis zum Flughafen-Gate von Sicherheitskräften in Zivil
       verfolgt.
       
       „Dies ist der jüngste Fall eines ausländischen Korrespondenten, der als
       Ergebnis anhaltender Schikanen und Behinderung seiner Arbeit aus China
       vertrieben wurde“, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell in klaren
       Worten am Freitag. Tatsächlich setzen sich die meisten europäischen
       Regierungen und insbesondere ihre diplomatischen Vertretungen in Peking für
       die [1][Situation von Korrespondenten] ein, doch Änderungen können sie
       keine herbeiführen.
       
       Mit immer fanatischerer Sturheit wettert Chinas Regierung gegen sämtliche
       Berichterstattung, die nicht auf Linie ist. Am Donnerstag hat
       Außenministeriumssprecherin Hua Chunying den Pekinger Korrespondentenclub
       FCCC als „illegale Organisation“ diffamiert, der nicht zwischen „richtig
       und falsch“ unterscheiden könne. „Weniger als die Hälfte der
       Auslandskorrespondenten in China sind Mitglied des FCCC, und die meisten
       sind westliche Journalisten aus den USA und Europa“, sagte Hua – und fügte
       ominös an: „Ausländische Journalisten in China sollten sich glücklich
       schätzen“.
       
       ## Das Narrativ der potenziellen Spione
       
       Ihre Anschuldigungen wirken umso verlogener, als dass Pekings Staatsmedien
       derzeit mit immer dreisteren Methoden ihre Lügen in die Öffentlichkeit
       schleudern. Noch im letzten Frühjahr schickte der Staat seine
       Propaganda-Journalisten nach Wuhan, um positive Nachrichten aus dem
       damaligen Corona-Epizentrum mitzubringen. Dieser Tage hingegen sind die
       PR-Leute der Regierung in der Provinz Xinjiang unterwegs, um das [2][Bild
       von glücklichen Uiguren zu zeichnen – und Völkermord-Vorwürfe zu
       entkräften]. „Sehen Sie irgendwelche Anzeichen von Genozid? ICH NICHT!“,
       postet etwa Fernsehjournalistin Liu Xin auf ihrem Twitter-Account – unter
       einem beliebigen Handy-Schnappschusses eines uigurischen Restaurants in der
       Provinzhauptstadt Urumuqi.
       
       Im Land hat die autoritäre Regierung ihren Propagandasieg bereits längst
       gewonnen. Die meisten Chinesen haben keine Ahnung darüber, dass
       Hunderttausende Uiguren in Internierungslagern weggesperrt und einer
       ideologischen Gehirnwäsche unterzogen werden. Diejenigen hingegen, die mit
       einer illegalen VPN-Software die Internetzensur umgehen und freie
       Informationen beziehen können, schweigen zu dem Thema – aus Angst vor
       Repressionen, schlichter Ignoranz oder weil sie die
       Menschenrechtsverbrechen für eine rein ausländische Verschwörung halten.
       
       Mit der neuen Jugend wächst zudem eine chinesische Generation heran, die
       unter der Herrschaft Xi Jinpings sozialisiert wurde und mit einem Narrativ
       großgeworden ist, in dem ausländische Journalisten potenzielle Spione sind
       und Chinesen, die mit ihnen reden, Volksverräter.
       
       Wenn Korrespondenten über die dunklen Seiten der Regierung berichten, dann
       streitet sie sämtliche Berichte mit dem immer selben Verweis ab: Man
       verbitte sich eine „Einmischung in innere Angelegenheiten“. Doch Ausländer,
       die sich dem Propaganda-Narrativ beugen, werden regelrecht hofiert: Als die
       französischsprachige Kollegin Laurène Beaumond ihren leidenschaftlichen
       Leitartikel „Mein Xinjiang“ verfasste, wurde dieser letzten Sonntag mit
       Handkuss vom staatlichen Propagandasender „CGTN“ publiziert. Darin
       beschreibt Beaumond ihre Erfahrungen in der muslimisch geprägten Provinz,
       wo sie „ein Gefühl der völligen Harmonie, des Respekts voreinander und vor
       allem der Verbundenheit mit der Natur“ erfährt.
       
       ## Erfundene Korrespondentin?
       
       Viele Leser dürften bei dem Text ins Stocken geraten. Schließlich ereignet
       sich im westchinesischen Xinjiang eines der schlimmsten
       Menschenrechtsverbrechen der Gegenwart. Doch Beaumond hingegen will davon
       keinerlei Anzeichen bemerkt haben: Alle Straßenschilder in Xinjiang seien
       schließlich zweisprachig verfasst, die öffentlichen Kantinen bieten
       halal-Gerichte an und jeden morgens wird sie vom Muezzin von der
       naheliegenden Moschee geweckt.
       
       So steht es in ihrem Text geschrieben, und tatsächlich muss es Laurène
       Beaumond wohl am besten wissen: Sie hat laut der Autoren-Biografie auf der
       Homepage von CGTN Familienangehörige in Xinjiang und sieben Jahre lang in
       Peking gelebt. Zuvor arbeitete sie in mehreren Pariser Redaktionen und
       studierte Kunstgeschichte an der renommierten Sorbonne. Eine ganz schön
       kredible Journalistin also.
       
       Doch wie sich nun herausstellt, existiert Laurène Beaumond gar nicht. Die
       französische Tageszeitung „le monde“ versuchte ihren Namen vergeblich in
       der Datenbank des Journalistenverbandes zu finden. Und auch in Peking hat
       unter den Kollegen noch niemand von der mysteriösen Reporterin gehört. Ihr
       Twitter-Account, der Ende 2020 wie aus dem Nichts auftaucht, strotzt nur so
       vor Pekinger Regierungspropaganda – von den Themen Taiwan bis Hongkong.
       
       Bedient sich etwa Pekings Staatsfernsehen eines fiktiven Charakters, um ihr
       Narrativ scheinbar glaubwürdig unter die Leute zu bringen? Pekings
       Außenministerium behauptet felsenfest, die Journalistin würde existieren –
       und deutet an, dass sie unter einem Pseudonym schreiben würde. Doch selbst
       Mitarbeiter des Propagandasenders CGTN haben noch nie von ihr gehört und
       gehen – off the record – von einem Fake-Profil aus. Möglicherweise hat die
       Lügerei ein bitterböses Nachspiel, denn ausgerechnet in Frankreich hat
       „CGTN“ seine Ausstrahlungslizenz für Europa erhalten, die dem Sender zuvor
       in Großbritannien entzogen wurde.
       
       3 Apr 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Pressefreiheit-in-China/!5751227
   DIR [2] /US-Kongress-verabschiedet-Gesetz/!5647182
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Fabian Kretschmer
       
       ## TAGS
       
   DIR China
   DIR Schwerpunkt Pressefreiheit
   DIR Feinde der Pressefreiheit
   DIR Zensur
   DIR Propaganda
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR China
   DIR KP China
   DIR China
   DIR China
   DIR zeitgenössische Kunst
   DIR China
   DIR China
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Aktivisten übersetzen chinesische Medien: Die Propaganda entlarven
       
       Chinas Kommunikation nach außen entspricht nicht der im Inneren des Landes.
       Aktivisten machen das mit „The Great Translation Movement“ sichtbar.
       
   DIR Internetzensur in Russland und China: Die listige Räuberin
       
       Putin schottet das Internet ab, um den Krieg so zu erzählen, wie er will.
       In China kann man derweil sehen, dass man sich an Zensur auch gewöhnen
       kann.
       
   DIR Uigurische Ethnologin Rahile Dawut: Seit vier Jahren verschwunden
       
       Heute ist Tag des inhaftierten Schriftstellers. Unter anderem erinnert das
       Pen-Zentrum an Rahile Dawut, Expertin uigurischer Musik.
       
   DIR Chinas KP hat Geburtstag: Feiern wie die Kommunisten
       
       Wenn die Partei 100 Jahre alt wird, steht Peking still. Xi Jinping feiert
       den Sozialismus und droht dem Ausland. Dennoch ist Verunsicherung zu
       spüren.
       
   DIR Regierungsgespräche mit China: Handel statt Wandel
       
       Politisch wendet sich die Stimmung hierzulande zunehmend gegen China. Doch
       wirtschaftlich ist Deutschland von der Volksrepublik abhängiger denn je.
       
   DIR Gespräche zwischen Deutschland und China: Angespannt wie lange nicht
       
       Am Mittwoch kommen Berlin und Peking virtuell zu Regierungskonsultationen
       zusammen. Die lange Liste an Streitthemen erschwert das bislang gute
       Verhältnis.
       
   DIR Digitalkunst in China: Verpixelte Ästhetik
       
       In Peking stellt eine Galerie erstmals „Crypto Art“ aus. Ist die
       Digitalkunst bloßer Hype oder gar „demokratische Revolution“ der Branche?
       
   DIR Spannungen zwischen China und der EU: Pekings asymmetrische Antwort
       
       Die nun verhängten gegenseitigen Sanktionen sind ein Wendepunkt. Doch
       Peking dürfte sich bei seiner Vergeltung verkalkuliert haben.
       
   DIR Einschüchterung von Ausländern: Geiselhaft à la China
       
       Retourkutsche für die Festnahme einer Chinesin in Kanada: In China haben
       die Prozesse gegen zwei Kanadier wegen angeblicher Spionage begonnen.