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       # taz.de -- Volksbegehren Deutsche Wohnen enteignen: Enteignung wird günstiger
       
       > Vergesellschaftungen müssen wohl nicht zum Marktwert erfolgen: Ein
       > wissenschaftliches Thesenpapier widerspricht der Kostenschätzung des
       > Senats.
       
   IMG Bild: Könnte ein Schnäppchen sein: Die Vergesellschaftung nach Artikel 15 Grundgesetz
       
       Berlin taz | Die Enteignung großer Wohnungsunternehmen dürfte günstiger
       sein als gedacht: Entschädigungen für Vergesellschaftung nach [1][Artikel
       15 Grundgesetz] müssen offenbar nicht nach dem Verkehrswert stattfinden.
       Das geht aus einem der taz vorliegenden [2][Thesenpapier] zu einer am
       Freitag stattfindenden nichtöffentlichen Fachdiskussion an der University
       of Applied Science in Frankfurt am Main hervor. Das dreistündige
       [3][„Werkstattgespräch“] widmet sich mit Blick auf das Volksbegehren
       „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ der Frage nach der Höhe einer möglichen
       Entschädigung. Dies geht nach Auffassung von Verfassungsrechtlerin
       Franziska Drohsel und dem Professor für Immobilenbewertung, Fabian Thiel,
       deutlich günstiger als zum Verkehrswert.
       
       „Das Spezifikum an Artikel 15 Grundgesetz ist gerade, dass ein
       Wirtschaftsbereich dem Markt entzogen wird. Es ist nur folgerichtig, dass
       die Entschädigung dann nicht nach Marktprinzipien erfolgt und der
       Verkehrswert nicht als die relevante Bezugsgröße fungiert“, sagt Drohsel.
       Nötig sei eine breite Diskussion über Entschädigungsmaßstäbe für das
       juristische Neuland, auch gebe es großen politischen Spielraum.
       
       Die Besetzung der digitalen Diskussion ist aus fachlicher Sicht durchaus
       prominent: Berlins Finanzsenator [4][Matthias Kollatz] (SPD) ist
       angekündigt, ebenso der FU-Rechtsprofessor Florian Rödl, der vor dem
       Bundesverfassungsgericht den [5][Berliner Mietendeckel verteidigen
       soll]. Auch Brun-Otto Bryde, ehemals Richter am
       Bundesverfassungsgericht, nimmt teil. Die derzeit
       [6][Unterschriften sammelnde Initiative] will aufgrund der anhaltenden
       Berliner Wohnungsnot große Immokonzerne mit mehr als 3.000 Wohnungen
       vergesellschaften, um sozialen Wohnraum zu schaffen.
       
       Mit ihren Thesen erteilen die Forscher:innen der amtlichen
       Kostenschätzung des Senats eine Absage, wonach für Entschädigungen grob
       zwischen 28 und 36 Milliarden Euro angesetzt werden – also in etwa der
       jährliche Landeshaushalt Berlins. Nach Auffassung der Volksini hingegen
       müsse man [7][eben nicht zum Verkehrswert entschädigen], weil man damit
       Immobilienspekulationen belohnen würde. Das Volksbegehren rechnet mit 8
       Milliarden Euro. Diese seien über Kredite zu stemmen und sollen sich über
       Mieteinnahmen refinanzieren.
       
       ## Je größer das öffentliche Interesse, desto weniger Kosten
       
       Die Thesen der Wissenschaftler:innen bestätigen die Volksinitiative:
       „Ein pauschaler Verweis auf eine ‚Verkehrswertentschädigung‘ ist eine
       unzulässige, systemwidrige Vereinfachung, die weder in der Sache
       gerechtfertigt noch verfassungsrechtlich gefordert ist“, heißt es in dem
       Papier. Auch aus dem Europarecht ergebe sich keine Entschädigung in Höhe
       des Verkehrswerts bei gemeinnützigen Enteignungen.
       
       In der Rechtsprechung habe sich vielmehr die Faustformel etabliert: „Je
       geringer die Entschädigung, desto höher das öffentliche Interesse.“
       Gleichzeitig gelte es, eine „fair balance“ zu wahren und eine
       unverhältnismäßige Last der Betroffenen zu vermeiden. Man müsse
       Vergesellschaftung nach Artikel 15 von herkömmlichen
       Enteignungsentschädigungen unterscheiden und neue Bewertungsmaßstäbe
       entwickeln. Diese erforderten eine Abwägung zwischen Allgemeinheit und
       Betroffenen.
       
       Die Autor:innen des Thesenpapiers halten entsprechend eine Bewertung
       nach dem Pfandbriefgesetz (Paragraf [8][16 Absatz 2 PfandBG]) für
       angemessener – hier werden bewusst spekulative Elemente nicht
       berücksichtigt. Eine genaue Summe nennt das Papier jedoch nicht.
       
       9 Apr 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_15.html
   DIR [2] https://www.frankfurt-university.de/fileadmin/standard/Hochschule/Fachbereich_1/FFin/Thesenpapier_zum_Werkstattgespraech_Entschaedigung_Art._15_GG.pdf
   DIR [3] https://idw-online.de/de/event68388
   DIR [4] /Finanzsenator-Matthias-Kollatz/!t5577644
   DIR [5] /Rechtsstreit-um-Mietendeckel/!5747900
   DIR [6] /Deutsche-Wohnen-und-Co-enteignen/!t5562213
   DIR [7] /Deutsche-Wohnen-und-Co-enteignen/!5728757
   DIR [8] https://www.gesetze-im-internet.de/pfandbg/__16.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gareth Joswig
       
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