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       # taz.de -- Branche in Schweden klimafreundlicher: Blau-gelber Stahl wird bald grün
       
       > Wasserstoff statt Koks: Schweden will Vorreiter bei der Transformation zu
       > einer fossilfreien Stahlproduktion werden.
       
   IMG Bild: Hier soll bald „grüner Stahl“ hergestellt werden. Pilotanlage des SSAB-Konzerns in Lulea, Schweden
       
       Stockholm taz | „Wir wollen ein Auto bauen, das keinen CO2-Rucksack mehr
       hat, sagte Thomas Ingenlath, Chef des schwedischen Elektroautoherstellers
       Polestar, kürzlich in einem Interview. Wobei zu einem „grünen“ Auto
       natürlich auch gehöre, dass es aus fossilfreiem [1][Stahl] gebaut sei. Und
       der ebenfalls schwedische Lastwagenproduzent Volvo-Group meldete Mitte
       April, man wolle fossilfreien Stahl schon in diesem Jahr beim Bau neuer
       Prototypen erproben. Bereits im kommenden Jahr solle dann die
       Serienproduktion erster einzelner Komponenten aus diesem Material beginnen.
       
       Dieses Interesse an „grünem“ Stahl hat man im nordschwedischen Luleå sicher
       erfreut zur Kenntnis genommen. Dort will der Stahlkonzern Svenskt Stål AB
       (SSAB) noch in diesem Monat eine erste Pilotanlage zur Produktion von
       fossilfreiem Eisenschwamm in Betrieb nehmen, aus dem dann Stahl gewonnen
       wird. Statt wie beim aktuell vorherrschenden Verfahren zur Stahlerzeugung,
       bei dem ein Hochofen mit Eisenerz, Koks als Reduktionsmittel und weiteren
       Zuschlägen beschickt und das bei hohen Temperaturen gewonnene Roheisen dann
       weiterverarbeitet wird, kommt in dieser Anlage nicht mehr Koks zum Einsatz,
       sondern im Direktreduktionsverfahren Wasserstoff.
       
       Vergangenheit sind bei so einer Stahlproduktion dann die großen Mengen an
       Kohlendioxid, die jetzt noch freigesetzt werden und global für 7 Prozent,
       in Deutschland für 6 Prozent und in Schweden sogar für 11 Prozent des
       gesamten Kohlendioxidausstoßes stehen. Dass ohne „grünen“ Stahl das Ziel
       einer „klimaneutralen“ Europäischen Union bis 2050 verfehlt wird, ist keine
       Frage.
       
       Bei einem Treffen von Stahlunternehmen und der IG Metall mit
       Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier am vergangenen Montag ging es vor
       allem um die Frage, wer das nun alles bezahlen soll. Nach Meinung des
       Präsidenten der Wirtschaftsvereinigung Stahl, Hans Jürgen Kerkhoff, sei die
       Umstellung „nicht ohne öffentliche Unterstützung möglich“. In Schweden
       dagegen ist man schon einen Schritt weiter und auf dem besten Weg,
       weltweiter Vorreiter bei der Produktion von „grünem“ Stahl zu werden.
       
       ## Ohne den Staat geht es nicht
       
       Das Carbon Disclosure Project in London, das Umweltdatenbanken führt, in
       denen die Reduktionsziele und -strategien von Unternehmen analysiert
       werden, führt in seiner Rangliste der Stahlunternehmen, die bei der
       Low-Carbon-Umstellung weltweit am weitesten gekommen sind, [2][SSAB]
       folgerichtig auch an erster Stelle. Ohne den Staat ging es auch in Schweden
       nicht.
       
       Der hatte sich schon mehrere Jahre lang mit öffentlichen Fördermitteln für
       die erforderlichen Forschungsprojekte engagiert und Stockholm trug auch zur
       Hälfte zu den Kosten für den Bau der rund 150 Millionen Euro teuren
       Pilotanlage in Luleå bei, die jetzt in Betrieb geht. Die eigentliche
       Umstellung auf fossilfreie Stahlproduktion, bei der unter dem Namen
       „Hybrit“ (Hydrogen Breakthrough Ironmaking Technology) der Stahlkonzern
       SSAB mit dem staatlichen Energieunternehmen Vattenfall und dem ebenfalls
       staatlichen Bergbauunternehmen LKAB zusammenarbeiten wird, sollen diese
       Firmen dann aber ohne staatliche Subventionen stemmen.
       
       Klingt das allzu optimistisch, weil fossilfreier Stahl voraussichtlich 20
       bis 25 Prozent teurer zu werden verspricht und sich also erst einmal einen
       Markt suchen muss? Das meinen jedenfalls die Investoren nicht, die vor zwei
       Monaten überraschend Pläne für ein weiteres, durchweg privat finanziertes
       „grünes“ Stahlwerk vorgestellt haben, mit dem sie SSAB zeitlich sogar noch
       überholen und Konkurrenz machen wollen.
       
       „Natürlich ist das ein hohes Risiko, aber wenn es klappt, wirft das eine
       gute Rendite ab“, sagt Petter Odhnoff, Chef der zur Ikea-Gruppe gehörenden
       Stiftung IMAS. „Wir wollen eben in Projekte investieren, die verändern“,
       begründet er das Interesse von Ikea an fossilfreiem Stahl. An „[3][H2 Green
       Steel]“ (H2GS), wie dieses Projekt heißt, ist über den zur VW-Tochter
       Traton gehörenden schwedischen Lkw-Hersteller Scania auch Volkswagen
       beteiligt und als weiteres deutsches Unternehmen die im Bereich
       Walzwerktechnik tätige SMS-Group.
       
       ## „Tesla der Stahlindustrie“
       
       Ansonsten könne die „Zusammensetzung der Finanziers auf den ersten Blick
       seltsam anmuten“, kommentiert die Tageszeitung Svenska Dagbladet: Kapital
       kommt nämlich beispielsweise von Daniel Ek, dem Gründer des
       Audiostreamingdiensts Spotify, und von Christina Stenbeck
       (Online-Versandhändler Zalando). Ziemlich branchenfremde InvestorInnen
       also, die jetzt auf fossilfreien Stahl setzen.
       
       „Wir wollen die Transformation der europäischen Stahlindustrie
       beschleunigen“, sagt der interimistische H2GS-Firmenchef Carl-Erik
       Lagercrantz, „so etwas wie der Tesla der Stahlindustrie werden“: „Die
       Dekarbonisierung ist ein Muss für die Industrie, und disruptive
       Technologien werden eine Schlüsselrolle spielen.“ Man rechne mit einer
       schnell steigenden Nachfrage nach fossilfrei produziertem Stahl, sagt auch
       Odhnoff und auch der designierte H2GS-Chef Henrik Henriksson ist überzeugt,
       dass dieser gerade für die Auto- und Hausgeräteindustrie sehr bald ein
       zusätzliches Verkaufsargument werden wird.
       
       „Ein Scania-Truck wiegt sechs Tonnen und fünf davon sind Stahl“, rechnet er
       vor: Der werde jetzt mit einer Produktionsmethode hergestellt, die einen
       sehr großen CO2-Fußabdruck hinterlässt. Scania habe aber die Ambition eines
       „emissionsfreien Produkts entlang der gesamten Wertschöpfungskette“: „Die
       Klimakrise ist ja unsere größte Herausforderung, weshalb die Umstellung der
       Produktion in vielen industriellen Bereichen, in denen Stahl eine zentrale
       Rolle spielt, unerhört wichtig ist.“
       
       ## Noch lange ein Nischenprodukt
       
       Das neue Stahlwerk, laut Eigendarstellung „vollständig integriert,
       digitalisiert und automatisiert“, in dem „praktisch alle CO2-Emissionen aus
       dem Stahlproduktionsprozess eliminiert werden“, soll schon 2024 die
       Produktion aufnehmen. Das Bauantragsverfahren im nordschwedischen Boden, 35
       Kilometer von der SSAB-Konkurrenz in Luleå entfernt, läuft.
       
       Und diese Standortwahl ist kein Zufall. Die Voraussetzungen seien dort
       „einmalig“, schwärmt das neue Unternehmen. Hier liegen Europas größte
       Eisenerzminen mit einer schon geplanten Umstellung der
       Eisenerzpellets-Herstellung auf CO2-freie Produktion. Den Strom für all
       diese Prozesse und die Wasserstoffproduktion selbst sollen die
       Wasserkraftwerke zusammen mit den stetig weiter ausgebauten
       Windkraftanlagen – darunter Markbygden, Europas größter
       Onshore-Windkraftpark – liefern.
       
       „Grüner“ Stahl wird allerdings noch lange ein Nischenprodukt sein. Die
       globale Stahlproduktion belief sich im vergangenen Jahr auf etwa 1,9
       Milliarden Tonnen. Auf jeweils gerade einmal 5 Millionen Tonnen soll sich
       die für H2GS und SSAB geplante fossilfreie Produktion zunächst belaufen.
       Henrik Henriksson ist davon überzeugt, dass die Spanne zwischen den
       Herstellungskosten für die fossilfreie und die klimaschädliche
       Produktionsmethode angesichts wachsender CO2-Abgaben schnell schrumpfen
       wird. Und wer als Erster mit „grünem“ Stahl auf den Markt komme, für den
       winke ein Wettbewerbsvorteil: „Der Begriff Schwedenstahl wird als der
       weltweit grünste Stahl dann eine ganz neue Bedeutung bekommen.“
       
       Mit H2GS, Hybrit, einer neuen Wasserstoffproduktionsanlage und der im Bau
       befindlichen Northvolt-Batteriefabrik im 130 Kilometer von Luleå entfernten
       Skellefteå, wo ab 2023 die Batterien für die E-Autos von Volkswagen
       herkommen sollen, entstehe in Lappland ein „Cluster für Zukunftstechnik“
       mit 10.000 neuen Arbeitsplätzen, schwärmt Schwedens Wirtschaftsminister
       Ibrahim Baylan schon mal: „Eine Erfolgsgeschichte für die grüne
       Transformation.“
       
       6 May 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Stahlindustrie/!t5215403
   DIR [2] https://www.cdp.net/en/investor/sector-research/melting-point
   DIR [3] https://www.h2greensteel.com/,
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reinhard Wolff
       
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