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       # taz.de -- Grüne über Gesundheit in Ballungsräumen: „Wir spielen auf Sieg“
       
       > Kirsten Kappert-Gonther ist grüne Direktkandidatin in Bremen Stadt: In
       > der taz erklärt sie, warum Gesundheitspolitik für urbane Räume wichtig
       > ist.
       
   IMG Bild: Kirsten Kappert-Gonther will 2021 erneut in den Bundestag
       
       taz: Frau Kappert-Gonther, Wahlkampf unter Corona-Bedingungen, haben Sie da
       überhaupt Freude dran? 
       
       Kirsten Kappert-Gonther: Aber ja! Corona wird uns einschränken, aber nicht
       bremsen. Die Inhalte werden darunter jedenfalls nicht leiden. Konsequenter
       Klimaschutz war noch nie so wichtig wie jetzt. Dass dafür eine echte
       Politikwende nötig ist, hat jetzt ja das Urteil von Karlsruhe noch mal
       deutlich gemacht. Das Bundesverfassungsgericht hat uns aufgegeben, die
       Freiheiten und die Lebensbedingungen für die künftigen Generationen zu
       sichern. Und noch nie waren die Chancen größer, durch eine Wahl diesen
       Wechsel herbeizuführen.
       
       Die Partei verbindet das mit dem Ehrgeiz, die Kanzlerin zu stellen. Setzt
       Sie das nicht unter Druck? 
       
       Nein, das motiviert mich eher. Ich brenne auf diesen Wahlkampf. Ich freue
       mich darauf, unsere grünen Vorschläge für ein besseres Leben auf die Straße
       zu bringen. Diesmal geht es um Platz eins. Wir wollen mit Annalena ins
       Kanzlerinnenamt.
       
       … und Sie das Direktmandat? 
       
       Wir können vielerorts Direktmandate gewinnen.
       
       Also gibt’ s mal kein informelles Bündnis zugunsten der SPD-Kandidatin? 
       
       Wir spielen auch in Bremen und Bremerhaven auf Sieg. Wir werben um beide
       Stimmen für Grün, für konsequenten Klimaschutz und eine gute
       Gesundheitspolitik.
       
       Das ist ja Ihr Thema. Werden Sie im Wahlkampf zur Pandemie-Profiteurin? 
       
       Corona sollte von niemandem instrumentalisiert werden. Die Pandemie zeigt
       aber deutlich, wie fragil unsere Gesundheit und wie grundlegend eine
       gerechte Gesundheitsversorgung ist. Und sie zeigt uns, wie stark unsere
       Gesundheit von den Umweltbedingungen abhängt, unter denen wir global leben.
       Konsequenter Klimaschutz und konsequenter Umweltschutz schützen auch die
       Gesundheit.
       
       Was bedeutet das? 
       
       Wir müssen weg von dem rein individualmedizinischen Ansatz, der in
       Deutschland noch verfolgt wird. Wir müssen hin zum Blick auf die gesamte
       Bevölkerung und Gesundheitschancen – also das, was man unter Public Health
       versteht. Durch die Erkenntnisse aus der Pandemie hat dieser Ansatz
       Rückenwind bekommen. Ich weiß aus meiner ärztlichen Tätigkeit, welche
       Bedingungen im Gesundheitssystem herrschen, die dringend zu verändern sind.
       Das werde ich auch im Wahlkampf einbringen.
       
       Public Health heißt: die soziale Frage zu berücksichtigen …? 
       
       Sie ist eine wichtige Komponente, dazu gehören auch die Fragen öffentlicher
       Infrastruktur und das Wissen über die Bevölkerungsstruktur. Wir sehen bei
       Corona, wie stark wir davon abhängig sind, dass die Gesundheitsämter
       funktionieren. Die Frage der Impfpriorisierung hat damit zu tun, dass wir
       erkennen müssen, welche Bevölkerungsgruppen besonders gefährdet sind und
       daher zuerst geimpft werden müssten.
       
       Und das hat auch eine geschlechterpolitische Komponente? 
       
       Absolut. Auch die Pandemie hat ein Geschlecht: Die Lasten der Krise wurden
       im Wesentlichen von Frauen getragen – im Einzelhandel, in der Pflege und im
       Gesundheitswesen arbeiten mehr Frauen als Männer. Und es erkranken mehr
       Frauen als Männer. Dass die zunächst unentdeckten, sehr seltenen
       Nebenwirkungen beim Astra-Zeneca-Impfstoff bei Frauen auftraten, ist auch
       kein Einzelfall.
       
       Sondern? 
       
       Wir wissen mittlerweile, dass bei der Forschung an Medikamenten Geschlecht
       als Kriterium zu wenig berücksichtigt wird. [1][Da wird vom weißen
       männlichen Normkörper ausgegangen.] Das schadet unterm Strich allen, auch
       Männern, die dieser Norm nicht entsprechen. Eine Ursache dafür liegt auf
       der Hand: Die Entscheidungen in Gesundheitswesen werden überwiegend von
       Männern getroffen. Das hat eine [2][Anfrage von mir im Bundestag] sehr
       deutlich gemacht.
       
       Wieso, die Frauen sind in der Branche doch in der Mehrheit? 
       
       Das ist so. Sie machen die Arbeit. Aber es gibt ganze Bereiche, in den
       Chefetagen der Kassenärztlichen Vereinigungen, Ärztekammern, Krankenkassen,
       wo teilweise keine einzige Frau in den Entscheidungsgremien sitzt. Die
       gläserne Decke im Gesundheitswesen ist in Deutschland ebenso dick, wie in
       den Vorständen der Dax-Konzerne. Das hat Folgen: Sie können sehr gut an den
       Bereichen beobachtet werden, die für Frauen besonders relevant sind, wie
       die Geburtshilfe und der Zugang zu einem medizinisch sicheren
       Schwangerschaftsabbruch. Da muss sich dringend etwas ändern. Wir brauchen
       eine Frauenquote in den Entscheidungsgremien des Gesundheitswesens.
       
       Sogar [3][Ihre bisherige Konkurrentin von der CDU] unterstützt Sie da im
       Vorwahlkampfvideo … 
       
       Ich habe mich sehr gefreut, dass Elisabeth Motschmann daran teilgenommen
       hat.
       
       Aber jetzt im Wahlkampf werden Sie nicht so kooperativ vorgehen und mit den
       Fehlern der Coronapolitik der CDU-SPD-Regierung abrechnen? 
       
       Nein, das plane ich nicht.
       
       Weil’ s keine gab? 
       
       Nein, weil es mir nicht liegt, anderen ihre Fehler vorzuhalten. Ich möchte,
       dass wir gemeinsam aus ihnen lernen. [4][Fehler gab es], gravierende sogar,
       mindestens seit Herbst. Es ist notwendig, diese auch zu adressieren. Es ist
       schlimm, dass es bis heute von der Bundeszentrale für gesundheitliche
       Aufklärung kein Konzept gibt, wie Menschen zu erreichen sind, die nicht gut
       Deutsch sprechen: Das wird engagierten Youtubern überlassen, statt
       systematisch von der zuständigen Behörde übernommen. Auch haben
       Bundesregierung und MPK Maßnahmen für den Infektionsschutz im Herbst zu
       spät und zu zögerlich beschlossen. Das schreibt sich fort bis heute.
       
       Wäre es besser gewesen, wie Portugal dicht zu machen? 
       
       Portugal hat das im Januar sehr konsequent gemacht, wie auch Taiwan und
       andere asiatische Länder vorher. Hier fehlen der nötige Mut und die
       Weitsicht, um konsequent mit einem nachvollziehbaren Stufenplan zu agieren.
       Mindestens hätte man sehr viel früher, spätestens jetzt, den Arbeitsbereich
       in die Verantwortung nehmen müssen. Das hieße eben auch: nicht
       systemrelevante Bereiche für eine bestimmte Zeit runterfahren.
       
       Wollen Sie die Wirtschaft auslöschen? 
       
       Nein. Die Wirtschaft würde davon profitieren. Nur wenn wir die
       Infektionszahlen schneller runterbringen und das Risiko weiterer Mutationen
       minimieren, gibt es eine sichere Perspektive. Die Bundesregierung muss sich
       trauen, sich auch gegen Widerstände durchzusetzen im Sinne der Gesundheit
       der Bevölkerung.
       
       Wird Corona den Wahlkampf beherrschen wie unser Gespräch – und andere
       Themen verkümmern lassen? 
       
       Für mich wird es in dem Wahlkampf um den Zusammenhang zwischen Klimaschutz,
       Umweltbedingungen und Gesundheit gehen. Der ist wie auch soziale
       Schieflagen durch Corona in den Fokus gerückt. Wenn wir jetzt zu
       konsequentem Umweltschutz und konsequentem Klimaschutz übergehen,
       verringern wir die Gefahr neuer Pandemien und sorgen für mehr soziale und
       globale Gerechtigkeit.
       
       Gegen diesen globalen Ansatz [5][wird Thomas Röwekamp Ihnen] das Leben
       schwer machen, der sich mit dem Verweis auf seine sehr große Lokalkompetenz
       für Berlin empfiehlt. 
       
       Dem sehe ich sehr gelassen entgegen. [6][Meine Themen sind gerade auch für
       Bremen wichtig] und darüber hinaus. In Ballungsräumen fordern Folgen der
       Klimakrise wie die langen Hitzeperioden auch hier schon jetzt jedes Jahr
       Tote. Und gerade in unserer Stadt sehen wir sehr genau, wie stark die
       Gesundheits-Chancen von der sozialen Lage abhängen. Die Lebenserwartung ist
       in Gröpelingen niedriger als in Schwachhausen. Es ist ein globales und
       regionales Thema. Wer das versteht, der weiß: Wir müssen auch unsere Städte
       für Menschen bauen, statt für Autos. Das ist mir ein Herzensanliegen.
       
       10 May 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://kappertgonther.de/2021/04/gerechte-gesundheitsversorgung-erfordert-gendersensibilitaet-frauengesundheit-staerken/
   DIR [2] https://www.bundestag.de/dokumente
   DIR [3] https://www.facebook.com/234233933684975/videos/492015475312118
   DIR [4] https://www.faz.net/podcasts/f-a-z-podcast-fuer-deutschland/impfchaos-oder-stotterstart-gesundheitspolitikerin-versagen-von-jens-spahn-17170101.html
   DIR [5] /!5746577
   DIR [6] https://www.rnd.de/politik/ubergewicht-grune-fordern-werbeverbot-fur-junkfood-im-tv-GARLLQ2BGZHFZJRAKC23SH7VXE.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Schirrmeister
       
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