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       # taz.de -- Antisemitische RB Leipzig-Kritik: „Vieles liegt im Graubereich“
       
       > Ein Gespräch über antisemitische Stereotype in der Kritik an RB Leipzig.
       > Soziologe Brunssen und Fußballfan Pauly diskutieren, was geht und was
       > nicht.
       
   IMG Bild: Ritus der Schmähung: die übliche Begrüßung, wenn RasenBall Leipzig zu Gast ist
       
       taz: Herr Brunssen, wenn es um RB Leipzig geht, hört man oft Begriffe wie
       „Kunstprodukt“ oder „Retortenverein“. Sie haben ein Buch über
       „Antisemitismus in Fankulturen“ veröffentlicht, Untertitel: „Der Fall RB
       Leipzig“. Wo ist denn da Antisemitismus? 
       
       Pavel Brunssen: Das ist [1][die große Frage meines Buches]. Es liegt vieles
       im Graubereich: Juden werden nicht benannt, es ist also kein unmittelbar
       offensichtlicher Antisemitismus, und viele derer, die sich so äußern, sind
       auch keine überzeugten Antisemiten. Es sind vielmehr sehr oft Leute, die
       sich in Fankurven gegen Antisemitismus engagieren und die mit dieser Arbeit
       oft weiter sind als ihre Vereine.
       
       Was ist dann das Problem? 
       
       Brunssen: Was ich an dem „Fall Leipzig“ so interessant finde, ist, dass
       sich trotz dieser klaren Position vieler Ultras Bestandteile von
       antisemitischem Denken und Fühlen gegenüber RB Leipzig finden. Tradition
       gegen Moderne, das Lokale gegen das Globale, Bilder von Ratten oder
       Heuschrecken oder dass der Club und dessen Geldgeber verantwortlich gemacht
       werden für ein abstraktes System, den Kapitalismus. All das macht den Fall
       RB Leipzig so spannend. Es geht nicht um Ja-Nein-Denken: Dieses ist
       antisemitisch, jenes nicht, sondern es soll einladen, mehr in die Reflexion
       zu gehen.
       
       Bastian Pauly, [2][Sie haben sich als Blogger] immer kritisch mit RB
       Leipzig auseinandergesetzt. Sind Sie Teil dieser ressentimentgeladenen
       Kommunikation, über die Pavel spricht? 
       
       Bastian Pauly: Ich beschäftige mich von der ersten Sekunde an ernsthaft mit
       RB – sehr kritisch, auch weil es direkt vor meiner Haustür passiert ist.
       Ich bin Leipziger, und ich bin auch Anhänger von einem der sogenannten
       Traditionsvereine in Leipzig. Ich bin also jemand, der sofort zu spüren
       bekommen hat, was der Einstieg des Getränkeunternehmens in den Leipziger
       Fußball für Folgen hatte. Die Kritik, die Pavel äußert, ist schon
       rechtzeitig an mich herangetragen worden. Sie hat auch, denke ich, meine
       Sinne geschärft. Die Kritiker von RB stellten bereits früh eine seltsame
       Melange dar, eigentlich Kraut und Rüben. Da waren Ultras, da waren
       Linksliberale, und es ging bis ganz nach rechts außen. Als ich das erste
       Mal diese Rattenmetapher…
       
       [3][ „Rattenball Leipzig“ … ] 
       
       Pauly:… ja, als ich die erstmals vernommen hatte, da haben bei mir die
       Alarmglocken geschrillt. Das sind Metaphern, die ich nie verwendet habe.
       Ich habe vielmehr immer versucht, RB inhaltlich und sachlich zu stellen,
       weil ich glaube, dass dieses Projekt genügend Angriffsfläche bietet. Vieles
       von dem, was Pavel anführt und was er als antisemitisch überführt, beruht
       nun mal auf Tatsachen: etwa dass das ein nicht in Leipzig verwurzeltes
       Projekt ist, das von Österreich aus gesteuert wird. Die Frage ist, wie nah
       ist man da schon an der Rede von einer „jüdischen Weltverschwörung“ dran?
       Ich denke, all das zeigt, dass Kritik nicht dumpf sein darf, auch wenn sie
       das im Fußballstadion vielleicht manchmal ist.
       
       Sie haben die Melange der RB-Kritiker erwähnt. Gibt es intern Reflexionen
       darüber? 
       
       Pauly: Gerade die Fanszenen, die sich selbst als progressiv verstehen,
       stellen sich natürlich auf gar keinen Fall in eine Reihe mit denen, die von
       „Rattenball“ sprechen. [4][In meinem Umfeld, Chemie Leipzig, Viertligist,]
       hat es diese Metapher auch nicht gegeben.
       
       Brunssen: Ich stimme dir zu, dass diese „Rattenball“-Metapher nicht so
       häufig verwendet wird. Häufig geht es im Kontext von RB auch um andere
       Themen: um 50+1, um Montagsspiele. Und tatsächlich bietet RB Leipzig ja
       diese Angriffsfläche. Der Verein hat zugespitzt, was sich im Fußball
       entwickelt hat: ein immer weiter kommodifizierter Fußball, der RB Leipzig
       gewissermaßen zu sich eingeladen hat. Gleichzeitig ist die Metapher der
       Verwurzelung das Gegenbild zur Ratte, die mit Heimatlosigkeit, der
       Verbreitung von Krankheiten und Zersetzung assoziiert wird. Es ging mir
       auch darum, diese Zusammenhänge kritisch zu diskutieren.
       
       Dass Begriffe wie „Rattenball“ oder bestimmte „Führer“-Metaphern in
       Richtung des RedBull-Chefs Mateschitz zu verurteilen sind, darüber sind wir
       uns ja einig. Spannender dürften die nicht ganz so klaren Begriffe sein.
       Was etwa ist mit „Projekt, das aus Österreich gesteuert ist“? Was ist das:
       Ressentiment? Empirisch korrekte Beschreibung? Beides? 
       
       Pauly: Ich nehme das eher als eine empirische Beschreibung wahr, aber ich
       verstehe auch die Kritik, die dort schon strukturellen Antisemitismus
       sieht.
       
       Ist das kein Widerspruch? 
       
       Pauly: Nein, man verweist vor allem auf den Ausgangspunkt der
       RB-Fußballgeschichte, als Mateschitz quasi eine feindliche Übernahme des
       Vereins Austria Salzburg vollzogen hat, alles anders gemacht und sehr viele
       Leute vor den Kopf gestoßen hat. Für mich ist also die Rede, dass es aus
       Österreich gesteuert ist, immer auch ein Verweis darauf, dass RB Leipzig
       nach wie vor sehr enge wirtschaftliche Beziehungen zu Salzburg unterhält.
       Vieles, was die dort machen, hat eine völlig neue Qualität. Red Bull hat
       die Kapitalisierung des Fußballs auf eine neue Stufe gehoben: ein Verein
       als pures Marketinginstrument.
       
       Brunssen: Das Beispiel „aus Österreich gesteuert“ zeigt, dass nicht alles
       immer als bloß antisemitisch oder überhaupt nicht antisemitisch beurteilt
       werden kann. Die Transfers zwischen RB Leipzig und RB Salzburg sehe ich zum
       Beispiel sehr kritisch. Aber zugleich ist auch dies anschlussfähig an die
       Rattenmetapher: Die steht ja für eine globale Zersetzung, hier kommt jemand
       von außen und macht alles kaputt: Eine globale Übermacht, die die Fäden in
       der Hand hält. Das wird schon lange den Juden zugeschrieben.
       
       Ist es denn grundsätzlich legitim, RB Leipzig als Symbol zu betrachten für
       das, was derzeit im Fußball stattfindet? 
       
       Pauly: Ich spreche mal aus einer eher fannahen Perspektive, weniger
       wissenschaftlich. Für mich ist RB Symptom, Akteur und auch Symbol für
       Kommerzialisierung im Fußball – alles zusammen. Damit ist RB natürlich eine
       Projektionsfläche und ist aus meiner Sicht völlig zu Recht einer teils sehr
       harsch formulierten Kritik ausgesetzt. Die ist manchmal weit hergeholt, die
       kann schräg oder niveaulos sein, aber [5][letztendlich ist es bei RB
       ähnlich wie bei der Causa Hopp eine Verselbstständigung der Debatte].
       Wichtig ist, dass die Mittel der Zuspitzung und Überzeichnung dazugehören.
       Fantransparente sind ein eigenes Genre. Das ist Fankultur.
       
       Jede Zuspitzung? 
       
       Pauly: Nein, nicht jede. Aber man kann manches Transparent einerseits so
       lesen wie Pavel, und andererseits ist auch ein ganz anderes Verständnis
       möglich. Ein Beispiel: Ein Transparent, das gezeigt wurde, nachdem es in
       Dortmund einen Überfall auf RB-Fans gegeben hatte: „Glückwunsch Grindel und
       ihr Medientrolle – euer liebstes Kind nun in der Opferrolle.“ Da kann man
       etwas Verschwörerisches hineinlesen. Aber ich finde, es ist witzig
       getextet. Und ich kann mich da auch wiederfinden – auch wenn ich weiß, dass
       man es sehr kritisch sehen kann.
       
       Brunssen: Ich wurde einmal gefragt, ob ich der Meinung sei, dass solche
       Transparente verboten gehören. Nein. Das ist Teil von Fankommunikation.
       Aber RB Leipzig ist zum Symbol geworden, in dem man alles wiederzuerkennen
       glaubt. Union-Berlin-Fans sind mal im Schweigemarsch zum Leipziger Stadion
       gegangen, dabei ein Sarg und Plakate, auf denen stand, was alles mit RB
       Leipzig stirbt – unter anderem Stehplätze. RB hatte da längst angekündigt,
       die Fankurve mit Stehplätzen auszustatten. Ein Beispiel, wie RB Leipzig zu
       einem subkulturellen Code wurde, auf den alle vermeintlich negativen
       Entwicklungen des Fußballs projiziert werden.
       
       Besteht nicht die Gefahr, dass hier naive Kapitalismuskritik zu schnell mit
       dem Antisemitismusvorwurf bedacht wird? 
       
       Brunssen: Ich wünsche mir, dass wir von diesem Vorwurf wegkommen. Das ist
       auch die Hoffnung, die ich mit meinem Buch verbinde: wie ein Archäologe
       immer mehr Schichten abzutragen, um herauszufinden, wie tief antisemitische
       Bilder reichen.
       
       Wie kann man denn RB besser kritisieren? 
       
       Pauly: Ich möchte, dass es weiterhin pointierte und laute
       Meinungsäußerungen aus der Fanszene gibt.
       
       Das Gespräch moderierten Alina Schwermer und Martin Krauss
       
       18 Apr 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.beltz.de/fachmedien/soziologie/produkte/produkt_produktdetails/46219-antisemitismus_in_fussball_fankulturen.html
   DIR [2] https://www.chemieblogger.de/
   DIR [3] https://rblive.de/ueber-rb-leipzig/rattenball-logo-in-offiziellem-stadionheft-union-wollte-keine-zensur-9151
   DIR [4] /Lok-Leipzig-gegen-BSG-Chemie-Leipzig/!5353330
   DIR [5] /Grassierender-Anti-Hoppismus/!5664737
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alina Schwermer
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