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       # taz.de -- Nach Litauen per Bahn: Gegen die Flugscham
       
       > Per Zug lässt es sich bequem ins Baltikum reisen. Am Komfort der Züge
       > Litauens kann sich die Deutsche Bahn ein Vorbild nehmen.
       
   IMG Bild: Der Zug startet am Berliner Hauptbahnhof und fährt erstmal nach Warschau
       
       Ich flieg nicht mehr“, verkündete der jugendliche Klimaschützer, mein Sohn,
       im Frühjahr vor zwei Jahren in der Hochphase der „Fridays for
       Future“-Demos. „Und in den Sommerferien will ich wieder nach Litauen.“ In
       dem südlichsten der drei baltischen Staaten waren wir schon häufiger: mit
       dem Flugzeug, weil es mit der Bahn, nun ja, schwierig gewesen wäre. Ein
       Auto haben wir nicht.
       
       Für eine Familienreise ohne Auto ist Litauen eine gute Wahl. Das Land ist
       mit rund 65.000 Quadratkilometern etwas kleiner als Bayern. Dank eines
       modernen Bus- und Bahnnetzes kommt man schnell und vergleichsweise
       preiswert von Ort zu Ort. Und mit Sightseeing im barocken Vilnius, Kultur
       in den Museen von Kaunas und jeder Menge Natur auf der Kurischen Nehrung,
       an Haff und Ostsee ist für alle Altersgruppen was dabei. Der Teenager führt
       außerdem an: flächendeckend gutes WLAN, Basketball als Nationalsport und
       das weltbeste Brot. Was will man mehr?
       
       Als 2013 der alle zwei Tage verkehrende Nachtzug von Warschau nach Vilnius
       gestrichen wurde, war das Baltikum bahntechnisch im Prinzip von Westeuropa
       abgeschnitten. Die letzte Verbindung von Berlin nach Vilnius führte über
       Belarus, dafür benötigt man ein Transitvisum. Die Deutsche Bahn kennt bis
       heute nur diese Option: mit nächtlichem Umsteigen in Minsk insgesamt 24
       Stunden. Doch dann stieß ich bei meiner Reiseplanung auf den Zugreiseblog
       [1][www.zugreiseblog.de]. Website-Betreiber David Scheibler beschreibt
       detailliert eine bereits seit 2016 bestehende Verbindung vom ostpolnischen
       Bialystok ins litauische Kaunas.
       
       Bis zu Beginn der Coronapandemie fuhren die Züge immer freitags und
       samstags, jeweils morgens und mittags. Dafür muss man von Deutschland
       kommend in Polen übernachten. Für die DB anscheinend keine Option – für uns
       schon. Wir kaufen Tickets bis Bialystok, buchen online eine Unterkunft in
       Bahnhofsnähe – und los geht’s.
       
       ## Platz für Gepäck, Räder und Boote
       
       Der EC Berlin–Warschau braucht knapp sechs Stunden, funktionierende
       Klimaanlage, exzellenter Speisewagen und schnelles WLAN inklusive.
       Pünktlich erreichen wir die polnische Hauptstadt, das Umsteigen ist
       unkompliziert, und schon sitzen wir im hochmodernen InterCity nach
       Bialystok. Nach insgesamt achteinhalb Stunden erreichen wir unser erstes
       Etappenziel.
       
       Bialystok erwartet uns mit fast südländischem Flair, Gastwirte haben auf
       Straßen und Plätzen Stühle und Tische aufgebaut. Bei schönstem Wetter
       scheint die ganze Stadt unterwegs zu sein. Wir essen gut und preiswert zu
       Abend und gehen dann früh ins Bett, denn morgens geht es schon um halb neun
       weiter.
       
       Die Tickets nach Kaunas kaufen wir vor Ort. Sie kosten ein Viertel von dem,
       was wir in Deutschland bezahlt hätten. Der neue bequeme Regionalzug hat die
       bereits bekannten Vorzüge, nur keinen Speisewagen. Dafür ausreichend Platz
       für Gepäck, Fahrräder und Paddelboote. Die Strecke führt mitten durch die
       touristischen Zentren Masurens, einem Eldorado für Wassersportler und
       Biker, die diese Verbindung auch rege nutzen. Nach fünfeinhalb Stunden sind
       wir in Kaunas. Reine Fahrtzeit von Berlin: 14 Stunden. Plus entspannte
       Zwischenübernachtung.
       
       Im Laufe der nächsten Wochen erwarteten uns dann bahntechnisch noch einige
       Überraschungen. Zwischen Kaunas und Vilnius wurden auf einem Teilstück die
       Gleise erneuert, es gab Ersatzverkehr mit Bussen. Die Frau am Bahnschalter
       entschuldigte sich für die Komplikationen. Als Ausgleich für die
       Unannehmlichkeiten gewährte die litauische Bahn uns einen großzügigen
       Preisnachlass und wir zahlten so pro Person circa 4 Euro für anderthalb
       Stunden.
       
       ## Bequeme Plätze, schnelles Netz und kostenlose Snacks
       
       In Vilnius kümmerte ich mich gleich am ersten Abend um die Weiterreise,
       denn die – reservierungspflichtigen – Züge an die Ostsee sind beliebt. Und
       richtig: obwohl wir erst fünf Tage später nach Klaipeda wollten, gab es nur
       noch 1.-Klasse-Tickets für 25 Euro pro Person, für viereinhalb Stunden
       Fahrt einmal quer durchs Land. Dafür mit besonders bequemen Plätzen,
       schnellem Internet, Klimaanlage und kostenlosen Snacks und Getränken am
       Platz.
       
       Auf die Kurische Nehrung ging es dann mit Fähre und Bus. Und nach einer
       Woche Wasser, Strand und Dünen geht es mit der Fähre zurück nach
       Deutschland: in einer bequemen Familienkabine und auf dem Sonnendeck,
       insgesamt knapp 20 Stunden bis Kiel.
       
       Corona macht das Reisen schwierig: aktuell sind die Bahnverbindungen
       zwischen Bialystok und Kaunas ausgesetzt, ebenso die zwischen Berlin und
       Minsk. [2][www.wirsindanderswo.de/anreise/detail/beitrag/litauen/]. Weder
       die litauische noch die polnische Bahn haben über den 12. Mai hinausgehende
       Bahnverbindungen online.
       
       Auf der polnischen Website www.[3][portalpasazera.pl], findet sich
       allerdings der Hinweis, dass es ab 1. Juni eine tägliche Verbindung
       zwischen Polen und Litauen geben soll; Abfahrt in Bialystok um 16 Uhr,
       Ankunft in Kaunas um 22.30 Uhr. [4][Mit dem Eisenbahngroßprojekt Rail
       Baltica] sollen das Baltikum und Finnland bis 2026 mit dem europäischen
       Bahnetz verbunden werden.
       
       18 May 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.zugreiseblog.de
   DIR [2] http://www.wirsindanderswo.de/anreise/detail/beitrag/litauen/
   DIR [3] https://portalpasazera.pl
   DIR [4] http://www.railbaltica.org
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gaby Coldewey
       
       ## TAGS
       
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