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       # taz.de -- Trauer um die Opfer der Pandemie: Gedenken und Gegen-Gedenken
       
       > Erstmals gedenkt Deutschland der Toten des Coronajahres. Doch der
       > Staatsakt stößt auch auf Kritik. Verantwortliche würden zu wenig benannt.
       
   IMG Bild: Ambivalentes Gedenken – der Staatsakt zog als solcher auch Kritik auf sich
       
       Berlin taz | Nicht für die Toten, sondern für die Hinterbliebenen
       komponierte Johannes Brahms sein „Deutsches Requiem“, das 1869 uraufgeführt
       wurde. Die schwebenden Klänge begleiteten am Sonntag die Gedenkfeier des
       Bundespräsidenten für die Toten des Coronajahres, eine Gedenkfeier, in dem
       die Angehörigen im Mittelpunkt stehen sollten.
       
       „Ich werde jetzt ins künstliche Koma versetzt und beatmet, mach Dir keine
       Sorgen.“ Das seien die letzten Worte gewesen, die sie mit ihrem Mann
       gewechselt habe, erzählt Anita Schedel auf der Veranstaltung im Berliner
       Konzerthaus. Ihr Mann, ein Arzt, starb im April 2020 im Alter von 59 Jahren
       an Covid. Die schwarzgekleidete Frau war eine von fünf Angehörigen, die
       Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zur Gedenkfeier ins Konzerthaus
       eingeladen hatte.
       
       Esrin Korff-Avunc hat ihren Vater verloren, der bis zuletzt Heimweh nach
       der Türkei hatte. Finja Winkels berichtete von ihrem krebskranken Vater,
       dessen Todeskampf die Familie zwei Monate nur über Anrufe des
       Klinikpersonals begleiten konnte. Detlev Jacobs Mutter starb isoliert im
       Altenheim an Covid-19.
       
       ## Fast 80.000 Tote
       
       Fast 80.000 Menschen sind seit Ausbruch der Pandemie in Deutschland mit
       oder an dem Virus gestorben. Es war die erste staatlich organisierte
       Gedenkveranstaltung, die an sie, aber auch an alle anderen Toten im
       Pandemiejahr erinnerte. Viele starben einsam, „ohne Beistand und Abschied“,
       wie Steinmeier in seiner Rede sagte. Das Virus habe unsere Gesellschaft
       tiefer erschüttert und verwundet, als wir uns das im Alltag eingestehen
       würden, so der Bundespräsident. „Wir sind ermüdet von der Last der
       Pandemie, und wundgerieben im Streit um den richtigen Weg.“
       
       Verständnis äußerte Steinmeier dafür, dass es neben der Trauer bei manchen
       auch Verbitterung und Wut gebe. Und rief gleichzeitig dazu auf, sich nicht
       in Schuldzuweisungen zu verlieren. „Wo es Fehler oder Versäumnisse gab, da
       müssen und werden wir das aufarbeiten. Aber nicht an diesem Tag. Nicht
       heute.“ In vielen weiteren Städten, etwa in Leipzig, Münster und Hannover,
       fanden ebenfalls Gedenkveranstaltungen statt.
       
       Doch nicht überall verfing Steinmeiers Appell zur Geschlossenheit. Im
       Vorfeld des Gedenktages stieß vor allem die Umsetzung der Veranstaltung als
       Staatsakt auf Unmut. Der Mitinitiator von [1][„Coronatote sichtbar machen“,
       Christian Y. Schmidt], plädierte für Aktionen „von unten“ und nicht auf
       staatlicher Ebene – für Ideen, die von den Menschen selbst kommen und nicht
       von staatlichen Repräsentanten.
       
       ## Mitverantwortlich für die Toten
       
       Am offiziellen Gedenktag seien ausgerechnet die Personen dabei, die auch
       für die Toten mitverantwortlich seien, sagte Schmidt der taz. „Wenn es
       schon eine Trauerfeier geben soll, dann muss sich die Regierung, der
       Bundespräsident, die Kanzlerin, zu ihrer Verantwortung bekennen und sich
       bei den Angehörigen, die Menschen durch Corona verloren haben,
       entschuldigen.“ Es gehe nicht darum, Politiker zu demütigen. Sondern darum,
       endlich zu analysieren, was in den vergangenen Monaten eigentlich
       schiefgelaufen sei.
       
       Gemeinsam mit der Künstlerin Veronika Radulovic hatte Schmidt im Dezember
       2020 die Gedenkinitiative „Coronatote sichtbar machen“ in Berlin gegründet.
       Die Idee: Der Trauer Ausdruck verleihen und Druck machen. „Wenn man die
       Toten nicht sieht, wenn sie nur als abstrakte Zahlen vorkommen, dann ist es
       deutlich leichter, sie zu ignorieren und zu leugnen“, sagte Schmidt. Jeden
       Sonntag zündeten Vertreter:innen der Initiative Kerzen im Stadtviertel
       an.
       
       Dazu wurde ein Schild mit der aktuellen Zahl der Coronatoten angebracht.
       Inzwischen gibt es ähnliche Aktionen bundesweit. Die letzte Veranstaltung
       der Berliner Initiatoren fand Anfang März statt. Immer wieder wurde die
       Gedenkveranstaltung Opfer von Attacken durch Coronaleugner:innen. „Die
       Querdenker haben unsere Aktion offenbar als Provokation empfunden“, sagte
       Schmidt.
       
       ## Aktion „Lichtfenster“
       
       Seit Freitagabend lief zudem die Aktion „Lichtfenster“, zu der ebenfalls
       Steinmeier gemeinsam mit den Ministerpräsident:innen aufgerufen
       hatte. Mit Kerzen im Fenster sollte bundesweit an die Coronatoten erinnert
       werden. Mitten in der 3. Welle, steigenden Zahlen zu Neuinfektionen sowie
       dramatischen Hilferufen aus den Intensivstationen sorgte die Aktion für
       scharfe Kritik im Netz. Unter dem #einkerzen riefen Aktivist:innen dazu
       auf, aus Protest Kerzen vor Regierungs- und Verwaltungsgebäuden abzulegen.
       
       Parallel zu den Gedenk- und Gegengedenkveranstaltungen [2][demonstrierten
       am Wochenende auch wieder tausende Querdenker] gegen die Coronamaßnahmen.
       Zudem geht die Diskussion um die richtigen Maßnahmen zur Bekämpfung der
       steigenden Infektionszahlen weiter, insbesondere um die Ausgangssperren.
       
       Während Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) der Frankfurter
       Allgemeinen Sonntagszeitung sagte, man wolle sich das Vorhaben nicht wieder
       „zerreden“ lassen, wiederholte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich in der Bild
       am Sonntag die Forderung seiner Fraktion, Abendspaziergänge grundsätzlich
       zu erlauben. Der Präsident des Landkreistages, Reinhard Sager, sieht in den
       Ausgangsbeschränkungen einen unverhältnismäßigen Eingriff in die
       Freiheitsrechte der Menschen. Die sogenannte Bundesnotbremse soll am
       Mittwoch im Bundestag verabschiedet werden.
       
       18 Apr 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Gedenken-an-Covid-19-Tote-in-Berlin/!5736910
   DIR [2] /Querdenker-ignorieren-Verbote/!5766932
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anna Lehmann
   DIR Tanja Tricarico
       
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