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       # taz.de -- 40-Tore-Schütze Lewandowski: Der Selbstoptimierer
       
       > Robert Lewandowski stellt den Bundesligarekord von Gerd Müller ein.
       > Letzterer bleibt aber wohl der wichtigste Spieler in der Geschichte des
       > FC Bayern.
       
   IMG Bild: Dann macht es bumm, ja und dann kracht's: Robert Lewandowski feiert seinen 40. Treffer
       
       Wer oder was Robert Lewandowski am Samstag um kurz nach fünf daran
       hinderte, den Ball zum 41. Mal in dieser Saison über die Linie zu
       bugsieren? Werden wir nie erfahren. Romantiker sprechen in solchen Fällen
       gern von diesem höheren Wesen aus der Ballsportabteilung, aber im modernen
       Fußballbusiness ist Melancholie wirklich kein Faktor. Insofern ist es
       folgerichtig, dass nun ein unermüdlicher Selbstoptimierer und High
       Performer wie Lewandowski Gerd Müllers sogenannten Rekord für die Ewigkeit
       eingestellt hat.
       
       40 beide also, fourty all. Zwei Stürmer, ein Rekord. „So könnte es doch
       bleiben“, meldet sich der Romantiker wieder. Es wird eher nicht so bleiben.
       So wie in Freiburg nach Treffer Nummer 40 das komplette Bayern-Team
       Jubelspalier stand, so werden sich am Samstag gegen Augsburg alle
       Rekordmeister bis zum Platzwart ins Zeug legen, dass es für den Polen auch
       noch für 41 oder mehr reicht. Ehrlich, wie er nun mal ist, wollte der
       Torjäger sein Vorhaben gar nicht verheimlichen: „Ich hätte heute mindestens
       noch ein Tor mehr schießen können, aber vielleicht kann man so einen Rekord
       nicht direkt brechen. Wir haben noch ein Spiel. Ich versuche, noch
       mindestens ein Tor zu schießen.“
       
       Bilanz bislang: 5 Treffer mit dem Kopf, 4 mit links, 31 mit rechts,
       darunter 8 Elfer. Strafstöße ließ [1][sein Vorgänger] auch nicht aus: 51
       Mal traf Müller vom Punkt, verschoss aber auch 12 – so viele wie kein
       anderer in der Bundesliga. Ein Makel, der angesichts der zig Rekorde
       untergeht. In der A-Jugend des TSV 1861 Nördlingen soll er mal 180 der
       insgesamt 204 Treffer erzielt haben. Der TSV 1860 hatte schon einen Vertrag
       mit ihm ausgehandelt, doch dann erschien ein Vertreter des FC Bayern eine
       Stunde vor dem Löwen-Termin, legte 4.400 Mark Ablöse und einen zusätzlichen
       Halbtagsjob bei einem Möbelhändler auf den Tisch, und Müller wurde ein
       Roter.
       
       Wie zuvor sein späterer Doppelpass-Partner Franz Beckenbauer. Der räumte in
       der Folge zwar sämtliche Ehrungen ab, sagt heute aber: „Gerd Müller ist der
       Ursprung. In meinen Augen der wichtigste Spieler in der Geschichte des FC
       Bayern.“ Niemand auf der Welt hatte den Lehrsatz „Das Runde muss ins
       Eckige“ so verinnerlicht. Sein erster Coach bei Bayern, „Tschik“ Čajkovski,
       konnte mit „kleines, dickes Müller“ zunächst nichts anfangen: „Was soll ich
       mit einem Gewichtheber?“ 1964 kam der Mann mit den 78 Zentimeter kurzen
       Beinen zum FC Bayern, 1965/66 holte der damals kleinere Klub als Sechzig
       mit dem DFB-Pokal den ersten Titel nach neun Jahren – der Beginn einer
       never ending story. Noch mal Beckenbauer: „Früher haben wir uns in einer
       Holzhütte umgezogen – ohne den Gerd wäre der FC Bayern immer noch in der
       Hütte.“
       
       Seit 2010 spielt Robert Lewandowski (32) in der Bundesliga und weiß somit,
       was er mit seinem 40. angerichtet hat: Den [2][„Bomber der Nation“], den
       beliebtesten, weil bescheidensten Neuner der Republik hat er zwar nicht vom
       Sockel geholt, aber sich schon mal neben ihm platziert. Kaum war Nummer 40
       verstaut, zog er sein Trikot hoch und hielt das Hemdchen darunter in die
       Kamera: „4everGerd“ stand da auf Neudeutsch – eine Aktion, von der selbst
       die Mitspieler nichts wussten, wie Thomas Müller erzählte.
       
       Mit diesem anderen Müller schließt sich ein Kreis. Als Thomas Müller von
       Jürgen Klinsmann aus dem Drittliga-Team zu den Profis hochgezogen und
       später von Louis van Gaal in den Himmel gelobt wurde („Müller spielt
       immer“), hatte auch Gerd Müller seinen Anteil daran. Von 1992 bis 2014 war
       der nach der Karriere dem Alkohol verfallene Ex-Bomber von Uli Hoeneß
       zunächst auf Entzug und dann wieder auf den Trainingsplatz geschickt
       worden, als Co-Trainer der Bayern-Amateure. Und so spielte der Müller
       Thomas 2008/09 unter seinem Vorbild, dem Müller-Gerd. Mit Letzterem konnte
       man an der Säbener Straße über die Qualitäten dieses scheinbar so
       ungelenken Raumdeuters plaudern. Erklären konnte der eine Müller den
       anderen auch nicht, aber dass sie dieses Gespür für den unkonventionellen,
       überraschenden Zugang zum Tor teilen, ist evident.
       
       Die sagenhafte Karriere des Namensvetters bekam Gerd Müller nur noch zur
       Hälfte mit, die nicht minder sensationelle Ausbeute Lewandowskis fast gar
       nicht mehr, denn der Pole stieß erst 2014 zu den Bayern. Seit November 2015
       wird der mittlerweile 75-jährige Müller in einem Heim für schwer
       Demenzkranke südlich von München gepflegt. Seine Frau Uschi, die er in den
       60ern bei Tchibo am Münchner Ostbahnhof kennengelernt hatte, erzählte
       unlängst dem Reporter-Haudegen Raimund Hinko, wie es um den an Alzheimer
       Erkrankten bestellt ist: „Er ist ruhig und friedlich, schläft fast den
       ganzen Tag. Er sieht nicht gestresst aus. Es geht ihm gerade gut.“
       
       Ihr Mann würde Lewandowski den Rekord gönnen, sagte sie: „Der Gerd kennt
       keine Neidgefühle. Er würde nicht jammern, wenn er den Rekord verliert,
       wäre im Gegenteil der Erste, der gratulieren würde. Aber selbst wenn
       Lewandowski jetzt einen neuen Rekord aufstellt: Der Gerd wird immer der
       Gerd bleiben. Immer in Erinnerung.“ Kein Widerspruch, nirgends.
       
       16 May 2021
       
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