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       # taz.de -- Die Wahrheit: Bis hinter den roten Mond
       
       > Schurken, die die Welt beherrschen wollen. Heute: Sahra „Skurril“
       > Wagenknecht, die bekannteste Langstreckenradlerin des Ostens.
       
   IMG Bild: Will Licht ins Dunkel der Linken bringen: Sahra Wagenknecht
       
       Gewöhnlichen Menschen leiern die Beine bereits aus, wenn sie an eine lang
       gedehnte Fahrradtour bloß denken, wo es sich auf dem Sofa doch viel
       gemütlicher leben lässt. Anders Sahra Wagenknecht! Sie kennt nichts
       Schöneres, als einfach den Helm aufzusetzen, sich locker aufs Rennrad zu
       propfen und pfeilschnell 100 Kilometer runterzuschnurren, während Oskar
       Lafontaine auf dem Sofa lümmelt.
       
       Anders gesagt, die Arbeitsteilung zwischen der allezeit ehrgeizigen
       Wagenknecht (51) und dem Jahr für Jahr alternden Lafontaine (77), mit dem
       sie seit 2011 liiert ist und 2014 den finalen Bund der Ehe und Politik
       eingegangen war, funktioniert prächtig. Als Menschen wie als Mitglieder der
       Partei Die Linke sind sie die geborenen Außenseiter in Gesellschaft und
       Staat; auch stammen beide aus abgelegenen Randgebieten Deutschlands, er dem
       Saarland, sie der DDR. Wohnen können sie nach dem Verschwinden der
       Letzteren aber nur in Ersterem, in Merzig-Silwingen, wo ihr Haus steht und
       auch erbaut wurde.
       
       Während der 1943 geborene Lafontaine schon als Zweijähriger die Luft der
       Freiheit einsaugte und das über die Grenze hereinstrahlende Savoir-vivre
       ausüben und nachahmen konnte, musste die 1969 in Jena zur Welt gestoßene
       Wagenknecht sich zwanzig Sommer lang von krumpeligen Kartoffeln und
       schwimmender Kohlsuppe ernähren. Dann wurde die Welt von der zweiten
       deutschen Einigung erwischt. Sahra wusste aber als gelernte Kommunistin die
       Sache dialektisch abzuschmecken und die Vorzüge des historisch überlebten
       und blühenden Kapitalismus im Rahmen seiner Vorteile zu schätzen!
       
       ## Einzelkind auf Scherben
       
       Im realen Sozialismus hatte man ihr, dem real existierenden Einzelkind, von
       klein auf Scherben in den Weg gelegt. Als einzige Schülerin in vierzig
       Jahren DDR hatte sie der beliebten vormilitärischen Ausbildung durch
       individualistisch verhexte Nahrungsverweigerung bis auf die Knochen
       getrotzt; und während ihre Altersgenossen sich in der kollektiv
       vorgenommenen Freizeit ums Lagerfeuer gruppierten und zur Gitarre Lieder in
       die unschuldige Luft stießen, lag sie allein im Zelt und las.
       
       Zur Strafe wurde ihr nach dem Abitur 1988 von Stalin oder Honecker
       persönlich ein Studienplatz verweigert. Ein Vierteljahr lang kostete sie
       das ihr zugewiesene Dasein als kleine Sekretärin, dann wachte sie auf,
       kündigte und schlug sich, als erste Frau in vierzig Jahren DDR,
       selbstständig mit Nachhilfestunden in Russisch durch. Mit unerwartetem
       Erfolg: Nach wenigen Monaten ging die DDR in die Knie. Russisch war damals
       die Sprache Gorbatschows.
       
       So konnte sie jetzt studieren, schloss 1996 eine philosophisch durchtränkte
       Arbeit über Karl Hegel und G.W.F. Marx ab und promovierte 2012 in
       Wirtschaftswissenschaften. Was die von letzterer Wendung überraschte
       Weltöffentlichkeit übersehen hatte: Wagenknecht war längst erwachsen
       geworden und hatte zur sozialen Marktwirtschaft Ludwig Erhard’scher Prägung
       gefunden inklusive Leistung, Wettbewerb und gutem, schaffendem, nimmer
       raffendem Kapital.
       
       In ihrer Blütezeit aber war sie die leibhaftige kommunistische Plattform
       gewesen. Sie kämpfte im Vorstand der PDS und der Linkspartei
       unerschütterlich gegen die ebendort wühlenden
       reformistisch-sozialdemokratisierenden Kräfte, verteidigte als Abgeordnete
       im trägen Sumpf des Europaparlaments standhaft die Interessen des
       revolutionären Proletariats und der fortschrittlichen Bauernschaft und
       agitierte im bürgerlich dahindämmernden Bundestag als letzte Kommunistin
       Deutschlands gegen die Speichellecker der sozialen Marktwirtschaft Ludwig
       Erhard’scher Prägung.
       
       ## Heilung durch Oskar
       
       Von alledem hatte sie der um 25 ausgelebte Jahre reichere und endlich
       altersreif gewordene Oskar Lafontaine geheilt. Die nächste Stufe zündete
       2015: Ein Orkan unbehauster Menschen überflutete und überschwemmte, Welle
       um Welle aus weiter Ferne heranrollend, wild über alle Zäune schwappend das
       zarte Deutschland. Kaum waren diese ungeordnet hereingebrausten, wie von
       Sinnen hineingeschaufelten Fremden halbwegs verdaut, legte sich der
       Zeitgeist quer.
       
       Statt um die schöne soziale Gerechtigkeit und die angeborene Klassenfrage
       ging es nun mit einem Mal um die Rassenfrage und die bunte sexuelle
       Gerechtigkeit, wo jeder Topf seinen täglichen Deckel braucht: um die nackte
       Verteilung von Hautfarben, um vegan getöpfertes ja gedrechseltes
       Genderdeutsch und skurril gekleidete Minderheiten, deren jede weniger als
       50 Prozent der Bevölkerung ausmacht.
       
       Nichts gegen ethnische Einsprengsel im deutschen Volke, wie sie, kraft
       ihres verschollenen iranischen Vaters, selbst eines ist! Aber alles
       zusammen geht dann doch über sämtliche Hutschnüre Sahra Wagenknechts, wenn
       nicht unter die Gürtellinie, die aber ist und bleibt grundgesetzlich
       unantastbar, dem aufgeweckten Zeitgeist sei Dank.
       
       Aufpassen muss Sahra Wagenknecht nur, dass ihr Traum vom sozial und
       ethnisch, sexuell wie kulturell sauberen deutschen Nationalstaat sie nicht
       zur Marine Le Pen von Deutschland macht. Anders gesagt, dass sie auf ihrem
       Drahtesel nicht bis hinter den Mond radelt!
       
       21 May 2021
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Peter Köhler
       
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