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       # taz.de -- Strafverteidigerin über Bamf-Verfahren: „Ein Justiz- und Medienskandal“
       
       > Nach dem Ende des Prozesses gegen Bremens Ex-Bamf-Leiterin Ulrike B.
       > fordert Anwältin Christine Vollmer Reformen bei Bremens
       > Staatsanwaltschaft.
       
   IMG Bild: Ermittlungen zwecks Stimmungsmache: Demo zum Auftakt des Bamf-Pozesses
       
       taz: Frau Vollmer, was hat das Bamf-Verfahren zu einem besonderen Verfahren
       gemacht? 
       
       Christine Vollmer: Es war herausragend in der Vorverurteilung. Die war
       durch die Medien, durch die Politik, aber auch durch die Justiz sehr massiv
       befeuert worden. Das fand ich schon bemerkenswert.
       
       War es weniger ein Justiz- als ein Medienskandal? 
       
       Nein, für mich ist es ganz klar beides. Innenminister Seehofer hatte damals
       gut erkennbar versucht, am rechten Rand zu fischen – und alle haben
       mitgemacht: Die Staatsanwaltschaft hat sich da einspannen lassen in diese
       Richtung. Und die Medien haben völlig unkritisch übernommen, ohne aus
       anderen Quellen zu recherchieren.
       
       Weil die Staatsanwaltschaft als privilegierte Quelle gilt, der wir
       vertrauen dürfen. Ist das eine veraltete Vorstellung? 
       
       Auf jeden Fall. Wir Verteidiger*innen fragen uns ja öfter: Warum
       werden wir nicht gefragt. Warum wird nicht die Sichtweise der Beschuldigten
       eruiert. Dass die Staatsanwaltschaft die neutralste Behörde der Welt ist,
       kann man jedenfalls wirklich nicht mehr sagen. Das Bild müssten auch die
       Medien endlich ad acta legen.
       
       Bei den Bamf-Ermittlungen hat die Staatsanwaltschaft die Medien gefüttert
       bis hin zu diesem ominösen Hintergrundgespräch, bei dem Ulrike B. eine
       Lovestory angedichtet wurde, als Motiv für Taten, die es nicht gab. Ist das
       nur ein zufälliger Ausbruch von Sexismus? 
       
       Im Grunde müsste man mal eine Erhebung von Daten machen. Ich kann nur aus
       meiner Erfahrung berichten und dem, was ich durch die Tätigkeit in der
       Vereinigung niedersächsischer und bremischer Strafverteidiger*innen
       weiß. Aber sagen lässt sich: Das Rollenbild in der Staatsanwaltschaft ist
       zum Teil recht veraltet. Das lässt sich als Grundsatz sagen. Im Grunde ist
       Sexismus eine ähnliche Denkweise wie Rassismus: Dass es da in der Polizei
       ein strukturelles Problem gibt, zeigen alle Auswertungen, und die
       Generalstaatsanwältin von Berlin wenigstens hat das auch offen
       angesprochen.
       
       …und was heißt das in Bezug auf die Staatsanwaltschaft? 
       
       Die deckt dieses Verhalten. Die Polizeibeamt*innen kommen ja in der
       Regel damit durch. Das spricht doch dafür, dass ein ähnliches Problem auch
       in der Staatsanwaltschaft herrscht. Aber um darüber seriöse Aussagen zu
       treffen, müsste das mal untersucht werden.
       
       Beeinträchtigen Vorkommnisse wie die organisierte Indiskretion im Zuge der
       Bamf-Ermittlungen die Basis, auf der Verteidiger*innen und
       Staatsanwaltschaft zusammenarbeiten? 
       
       Schwierig. Wir Verteidiger*innen sind ja grundsätzlich dafür da, die
       Arbeit der Staatsanwaltschaft in Frage zu stellen. Deswegen ist das mit der
       Zusammenarbeit so eine Sache. Aber natürlich erschüttern solche Ereignisse
       das Vertrauen in die Vorgehensweise. Und natürlich schürt das nicht die
       Hoffnung auf ein faires Miteinander: Das war schon mal besser in Bremen.
       Solche Vorfälle lassen uns Verteidiger*innen immer misstrauischer
       werden, ob da wirklich auf das eigentliche Geschäft geguckt wird – nämlich
       Be- und eben auch Entlastendes zu ermitteln. Das ist die ureigenste Aufgabe
       der Staatsanwaltschaft. Es muss sichergestellt werden, dass sie die
       erfüllt.
       
       Wenn der Chef der Behörde und drei seiner Untergebenen sich mit einem
       Journalisten zusammensetzen und Geschichtchen über eine Beschuldigte
       erzählen – lässt sich dann noch daran glauben, das sie ergebnisoffen
       ermitteln? 
       
       Nein, das ist in diesem Fall ganz offensichtlich überhaupt nicht mehr
       geschehen. Und das ist offenbar auch nicht die einzige Schwachstelle, die
       in diesem Verfahren wenigstens als Verdacht aufgetaucht ist. Es gibt auch
       den Verdacht, dass entlastende Urkunden dort nicht zur Akte genommen worden
       sind.
       
       Auch deswegen wird ja ermittelt… 
       
       Das hat ganz klar mit einem fairen Verfahren nichts mehr zu tun – und auch
       bei anderen Ermittlungen bemängeln wir das manchmal. Deshalb müsste seriös
       untersucht werden, wie tief das Problem sitzt.
       
       Kann Janhenning Kuhn unter solchen Bedingungen weiter die
       Staatsanwaltschaft Bremen leiten? 
       
       Ich bin immer eine Freundin davon, das Ergebnis der Ermittlungen abzuwarten
       und eben nicht den Fehler zu wiederholen, den man bei der
       Bamf-Außenstellenleiterin gemacht hat: Es müssen erst die Tatsachen
       ermittelt und rechtlich bewertet werden. Generalstaatsanwältin Kirsten
       Graalman-Scheerer ist eine unerschrockene und unabhängige Person. Die
       dortigen Ermittlungen können gespannt abgewartet werden
       
       Und wenn es straflos ausgehen sollte? Denn dass es das Gespräch gab und
       dass es illegal war, ist ja festgestellt: Kann denn Politik ein Interesse
       haben an einer Staatsanwaltschaft, die sich so verhält? 
       
       Nein, das kann und darf sie nicht. Das ist ja klar. Die Politik muss ein
       Interesse daran haben, dass die seriös und nach Recht und Gesetz handeln.
       Aber auch die Politik soll nicht vorverurteilen. Ich werde es jedenfalls
       nicht tun.
       
       Dann bliebe die Sache möglicherweise folgenlos? 
       
       Wenn sich diese Vorwürfe erhärten und sich das Gespräch auch als strafbares
       Handeln herausstellt, muss es personelle Konsequenzen haben. Aber wichtiger
       sind andere Schritte: Offensichtlich muss der Umgang mit den Medien viel
       stärker geregelt werden. Es muss sichergestellt werden, dass da nicht
       solche Grenzüberschreitungen stattfinden. Die Behörde muss strukturell
       verändert werden, um zu gewährleisten, dass dort fairer und offener und
       neutraler ermittelt wird. Und nicht, dass das Ergebnis vorweg klar ist –
       und dann wird so ermittelt, dass es passt.
       
       21 May 2021
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Schirrmeister
       
       ## TAGS
       
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