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       # taz.de -- Nach Giffeys Rücktritt als Ministerin: Doktortitel ade, Wahlkampf olé
       
       > Trotz Rückzug als Ministerin will Giffey Regierungschefin in Berlin
       > werden. In ihrem SPD-Landesverband könnte es schon bald unruhig werden.
       
   IMG Bild: Franziska Giffey auf dem Landesparteitag der SPD Berlin, der sie zur Spitzenkandidatin wählte
       
       Berlin taz | Dass es brenzlig für Franziska Giffey werden würde, hatte sich
       schon in der vergangenen Woche angedeutet. Bei der „Berlin Hyp“ sollte die
       SPD-Familienministerin über den aktuellen Wohnmarktbericht 2021 sprechen –
       und nebenbei ein bisschen Wahlkampf in Berlin treiben dürfen, wo sie am 26.
       September Regierende Bürgermeisterin werden will. [1][Doch Giffey ließ sich
       entschuldigen.] Zuvor war durchgesickert, dass ihr die Freie Universität
       (FU) wohl endgültig den Doktortitel aberkennen würde. Am Mittwoch nun ist
       die 43-Jährige von ihrem Amt als Bundesfamilienministerin zurückgetreten.
       
       „In den letzten Tagen sind erneut Diskussionen um meine Dissertation
       aufgekommen“, schrieb Giffey in einer persönlichen Erklärung. „Daher habe
       ich mich entschieden, die Bundeskanzlerin um Entlassung durch den
       Bundespräsidenten aus meinem Amt als Bundesministerin für Familie,
       Senioren, Frauen und Jugend zu bitten.“
       
       In ihrer Erklärung stellt Giffey aber auch klar, dass sie an ihrer
       Kandidatur für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin festhalten wolle.
       „Die Berliner SPD und die Berlinerinnen und Berliner können sich auf mich
       verlassen. Dazu stehe ich. Mein Wort gilt.“
       
       Viele, nicht nur in der Berliner SPD, stellen sich nun die Frage, wie
       glaubwürdig das ist, als Ministerin im Bund zurücktreten und gleichzeitig
       Ministerpräsidentin werden wollen. [2][Berlins Fraktionschef Raed Saleh],
       der mit Giffey zusammen im November den bisherigen Landesvorsitzenden
       Michael Müller an der Spitze der Berliner SPD abgelöst hatte, stellt sich
       dagegen demonstrativ hinter die Spitzenkandidatin: „Nach überaus
       erfolgreichen drei Jahren als Bundesministerin für Familie, Senioren,
       Frauen und Jugend hat Franziska Giffey gezeigt, wie man Wort hält, und
       damit höchste Ansprüche an politische Integrität definiert“, so Raed Saleh.
       Er war im linken Landesverband dafür zuständig, die Mehrheiten für die als
       Parteirechte geltende Giffey zu organisieren.
       
       Das bisherige Wahlkampfkonzept ist freilich obsolet. Wie beim Termin mit
       dem Wohnmarktreport hatte Giffey bisher versucht, ihre Bekanntheit als
       Bundesministerin in den Berliner Wahlkampf einzubringen. Durchaus mit
       Erfolg, wie die Umfragen zuletzt zeigten. Sie sehen die SPD zwischen 17 und
       20 Prozent. Zwar liegen die Grünen mit 25 bis 27 Prozent weit vorne, doch
       ihre Spitzenkandidatin Bettina Jarasch ist im Vergleich zu Giffey eher
       unbekannt.
       
       ## Ein symbolisches Geschenk
       
       Volle Kanne Giffey, lautete deshalb das Wahlkampfkonzept in Berlin. Zuletzt
       traten die Spitzenkandidatin und Saleh bei einem virtuellen Parteitag im
       April vor der Kulisse einer Gartenlaube in Erscheinung. [3][Saleh schenkte
       Giffey eine rote Gießkanne.] Symbolischer hätte der Rechtsschwenk der
       Berliner SPD nicht inszeniert werden können. Denn Giffey und Saleh wollen
       die „kleinen Leute“ für die SPD zurückgewinnen – und konzentrieren sich vor
       allem auf den Stadtrand außerhalb des S-Bahn-Rings.
       
       Dort, wo 2,6 der 3,7 Millionen Berlinerinnen und Berliner leben, wollen sie
       mit ihrer Rhetorik gegen die grüne Verkehrswende und für mehr Sicherheit
       punkten. Dazu kommt der betont betuliche Habitus von Giffey, deren
       Ansprache manchmal eher an eine Kindergärtnerin als eine Politikerin
       erinnert. Die Debatte um einen aberkannten Doktortitel, so die Hoffnung,
       wird da ohnehin keine Rolle spielen.
       
       Aber funktioniert das? Für den Berliner SPD-Landesverband kam der Rücktritt
       überraschend. Offenbar war der Druck auf der Bundesebene ausschlaggebend,
       heißt es. Nun müssen die GenossInnen mit einer angeschlagenen Kandidatin in
       den Wahlkampf ziehen. Und erklären, warum jemand als Ministerin
       zurücktreten muss, aber als Regierende Bürgermeisterin ins Rote Rathaus
       einziehen will. „Das ist doch hier nicht das Amt eines Dorfschulzen“, sagt
       ein Sozialdemokrat, der seinen Namen nicht nennen will.
       
       Um bloß keine unnötigen Diskussionen aufkommen zu lassen, hatte sich
       Berlins SPD-Innensenator Andreas Geisel kurz nach dem Rücktritt auf
       Facebook zu Wort gemeldet. Giffey, ist sich Geisel sicher, „wird die
       nächste Regierende Bürgermeisterin unserer Stadt. Jetzt erst recht.“
       
       Wenn jemand aber „Jetzt erst recht“ schreibt, könnte es bald unruhig
       werden. Zumal in einer Berliner SPD, die auf ihren Parteitagen gerne auch
       Pilotprojekte für die Freigabe von Cannabis oder die Förderung
       feministischer Pornos mehrheitsfähig macht. Die Kümmerin Giffey dagegen
       greift auf Veranstaltungen gerne auf ihre Erfahrungen als
       Bezirksbürgermeisterin von Neukölln zurück. Law and Order, das hatte auch
       schon ihren Vorgänger Heinz Buschkowsky bekannt gemacht.
       
       Dass [4][Giffey bei ihrer Nominierung im April 85,7 Prozent] der
       Delegiertenstimmen bekam, liegt auch daran, dass sie die Einzige ist, der
       die Parteibasis im September einen Wahlsieg zutraut. Schon im Januar 2020
       hatte eine Kungelrunde deshalb beschlossen, dass Giffey den bisherigen
       Regierenden Bürgermeister Michael Müller ablösen soll. Beim Parteitag im
       April wurde Müller dann auf Platz eins der Landesliste für den Bundestag
       gewählt.
       
       Die drohende Aberkennung des Doktortitels und der Rücktritt als
       Bundesministerin kommen da natürlich zur Unzeit. Wenn überhaupt, heißt es,
       könnten noch einige linke Kreisverbände versuchen, den Hebel herumzureißen,
       falls die Umfragen in den nächsten Wochen wieder in den Keller gehen. Doch
       der Einzige, der in der Partei überhaupt infrage käme, wäre Innensenator
       Geisel. Und der hat Giffey mit seiner Ergebenheitsgeste demonstrativ den
       Rücken gestärkt.
       
       19 May 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Uwe Rada
       
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