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       # taz.de -- Opposition in Russland: Landesweite Proteste
       
       > In Moskau haben am Mittwoch 250.000 Menschen demonstriert, es blieb
       > überwiegend friedlich. In anderen Städten griff die Miliz härter durch.
       
   IMG Bild: Proteste gegen Putin an vielen Orten in Russland, hier im sibirischen Ulan-Ude am 21. April
       
       Moskau taz | [1][Der Stab des inhaftierten Politikers Alexei Nawalny] hatte
       für Mittwoch zu einer Großveranstaltung aufgerufen. Eigentlich wollten die
       Anhänger des Oppositionellen erst auf die Straße gehen, wenn sich 500.000
       Demonstranten registriert hätten. Doch in den letzten Wochen kamen die
       Zusagen nur noch spärlich. Staatlicher Druck und Festnahmen sollen laut
       Beobachtern die Protestbereitschaft verringert haben. 460.000
       Registrierungen kamen in den letzten Tagen landesweit dann doch noch
       zusammen. Die Koordinatoren der Demonstrationen fürchteten zuletzt, die
       Teilnahmebereitschaft würde eher noch weiter sinken.
       
       Um 19 Uhr sollte die Demo im Moskauer Zentrum losgehen. Kalt und windig war
       es, der Eisregen des Vortags hatte sich jedoch verzogen. Viele
       Demonstranten fanden sich nicht am Sammelpunkt, dem zentralen
       Puschkinplatz, ein. Polizei und Nationalgarde hatten den Ort abgesperrt.
       Erst nach einer Stunde trafen aus den Seitenstraßen der Twerskaja im
       Stadtzentrum unerwartet Hunderte Demonstranten ein. Aus allen Gassen
       drängten die meist jungen Menschen zusammen. In der Luxusmeile des
       Kamergerski Pereulok formierte sich unter den Leuchtgirlanden der
       Fußgängerzone ein fröhlicher Protestzug, der versuchte, bis zum Gebäude des
       Geheimdienstes vorzustoßen.
       
       Seltsame Dinge passierten an diesem Abend in der Hauptstadt. Etwa 25.000
       Menschen dürften es gewesen sein, die dort demonstrierten. Kaum behindert
       von den Sicherheitskräften, die unbeteiligt am Rand des Geschehens
       warteten. 29 Festnahmen soll es am Ende in Moskau gegeben haben. Die
       Zurückhaltung der Ordnungshüter erklären einige Beobachter mit der Rede zur
       Lage der Nation des Präsidenten am selben Tag.
       
       Angeblich hätten Festnahmen die Symbolik gestört. Selbst gelegentliche Rufe
       „Putin ist ein Dieb“ oder „Mörder“ wurden von den Aufsehern wohlwollend
       überhört. Diesmal hatte der Zug etwas von einem fröhlichen Happening.
       Autofahrer hupten im Konzert, aus Luxuslimousinen hielten Beifahrer selbst
       beschriftete Schilder heraus: „Das geht nun gar nicht mehr!“ Die Stimmung
       ließ sich niemand verderben. Viele Protestler sagten auch, [2][sie hätten
       endgültig ihre Angst vor der Staatsgewalt verloren]. Aber vielleicht war
       das auch nur eine Momentaufnahme.
       
       Der Menschenrechtsaktivist und frühere Leiter des Sacharow-Zentrums, Jurij
       Samodurow, hatte die kleine Stelle auf dem Majakowski-Platz schon vor 19
       Uhr bezogen – direkt gegenüber den neuen hellen Gefängnistransportern der
       Polizei. Wie viele Demonstranten gehört auch er nicht zu den unkritischen
       Anhängern Nawalnys. Doch diesmal, so sagte er, ginge es fast schon ums
       Ganze.
       
       Beobachter bestätigten den Ordnungskräften in Moskau, dass sie diesmal
       nicht versucht hätten, Leute festzunehmen und Gewalt gegen die
       Demonstranten einzusetzen.
       
       „Russland ohne Putin“, skandierten immer wieder kleine Gruppen. Der Ruf
       „Putin, hau ab!“ blieb allerdings ungehört.
       
       Ganz so friedlich ging es [3][in anderen Regionen des Landes] nicht zu. In
       Petersburg, wo es mehr als 800 Festnahmen gegeben haben soll, setzte die
       Polizei offenbar auch Elektroschocker ein. Auch in Ufa, der Hauptstadt
       Baschkiriens und im russischen Fernen Osten, griffen die Sicherheitskräfte
       zu. Landesweit kam es in in rund 80 Städten zu Protesten.
       
       Bereits vor Beginn der Demonstrationen waren Nawalnys Sprecherin, Kira
       Jarmysch und seine Mitstreiterin, Ljubow Sobol, festgesetzt worden. Die
       Menschenrechtsgruppe OWD-Info gab am Donnerstag an die 1.770 Festnahmen
       bekannt.
       
       22 Apr 2021
       
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