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       # taz.de -- Sehnsucht nach Live-Kontakten: Der Corona-Agent
       
       > Die Coronagesetze meiner Frau sind unerbittlich. Also wollte ich heimlich
       > einen anderen Menschen treffen und machte eine überraschende Erfahrung.
       
   IMG Bild: Begegnung in Sicht? Die Corona-Isolation treibt seltsame Blüten
       
       Auf der menschenleeren, regennassen Straße sehe ich meinen Kumpel Hasan,
       der genau wie ich wegen der Maskenpflicht total vermummt und schwer am
       Atmen ist. Um sich von zehn Kilo Tomaten zu erholen, die er in zwei große
       Tüten verteilt hat, bleibt er kurz unter einem Baum stehen.
       
       Ich freue mich riesig, meinen Kumpel in diesen schweren Coronazeiten
       endlich wiederzusehen. Aber just in diesem Moment sehe ich zwei vermummte
       Gestalten sich nähern – sage deshalb unauffällig: „Wir treffen uns in fünf
       Stunden bei Einbruch der Dunkelheit wieder hier. Gleiche Straße, gleicher
       Baum, um exakt 21.42 Uhr.“ Hasan bestätigt mit einem kurzen Kopfnicken.
       
       Blitzschnell entferne ich mich vom Ort des Geschehens, ohne mich noch
       einmal umzudrehen, wie in den früheren US-Agentenfilmen, während des kalten
       Kriegs.
       
       Meine Frau erlaubt es mir nie, zu uns nach Hause auch nur einen einzigen
       Freund einzuladen. Sie macht ihre eigenen Coronagesetze, und bei ihr gilt
       die Regel, dass Zusammenkünfte nur mit Null Haushalten und insgesamt Null
       Personen erlaubt sind. Nicht nur zu Hause, sondern auch draußen auf der
       Straße. Das Politbüro der Kommunistischen Partei Chinas ist im Vergleich zu
       meiner Frau ein Musterbeispiel an blühender Demokratie.
       
       Dass die Zusammenkunft mit meinem Kumpel Hasan bei Einbruch der Dunkelheit,
       auf einer leeren Straße ohne Wohnhäuser, unter einem Baum mit vielen Ästen
       und Blättern, stattfinden wird, ermutigt mich in meinem Anliegen, Eminanims
       Coronagesetze einmal zu umgehen.
       
       ## Mein Herz schlägt Purzelbäume
       
       Ich kann die fünf Stunden kaum abwarten, und unter dem Vorwand meine neue
       Maske bei den aktuellen schwierigen Wetterbedingungen testen zu wollen,
       gehe ich aus dem Haus.
       
       „Osman, pass auf deine Mütze auf! Bei dem starken Wind ist deine Mütze viel
       gefährdeter als deine Maske“, ruft mir das Politbüro hinterher.
       
       Als ich mich mit einer dicken Mütze auf dem Kopf und einer fetten Maske im
       Gesicht dem Treffpunkt nähere, schlägt mein Herz Purzelbäume. Nicht nur aus
       Freude. Mein lieber Freund Hasan ist bereits da und wartet sehnsüchtig auf
       mich. Und kein Mensch weit und breit.
       
       „Hasan, nimm bitte kurz deine Maske ab und lass mich dein hübsches Gesicht
       erblicken, mein tapferer Freund“, brülle ich meine Freude in die Dunkelheit
       hinaus. Hasan nimmt seine Maske ab, aber was ich zu sehen bekomme, ist kein
       Hasan – bestenfalls ein Hans!
       
       „Du bist doch nicht Hasan!“, stammele ich total enttäuscht.
       
       „Das habe ich auch nie behauptet“, sagt er.
       
       „Warum bist du dann hier? Hat dich das Politbüro geschickt?“, frage ich
       aufgeregt.
       
       „In diesen harten Coronazeiten habe ich auch das Bedürfnis einen Menschen
       zu treffen. Selbst so einen Idioten wie dich.“
       
       2 May 2021
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Osman Engin
       
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