URI: 
       # taz.de -- US-Comedian Notaro über Cancel Culture: „Twitter interessiert mich nicht“
       
       > Im Netflix-Actionfilm „Army of the Dead“ ersetzt Tig Notaro einen anderen
       > Schauspieler. Ein Gespräch über Cancel Culture und Greenscreen.
       
   IMG Bild: Digital hineingeschnitten: Tig Notaro als Marianne Peters in „Army of the Dead“
       
       taz am wochenende: Frau Notaro, die Umstände Ihres Mitwirkens im Film „Army
       of the Dead“ sind ziemlich außergewöhnlich. Er war eigentlich schon
       abgedreht, die Rolle des Hubschrauberpiloten spielte der Komiker Chris
       D’Elia. Als dem dann sexuelle Belästigung junger Mädchen vorgeworfen wurde,
       beschloss der Regisseur Zack Snyder, ihn digital durch jemand anderen zu
       ersetzen – und klopfte bei Ihnen an … 
       
       Tig Notaro: Korrekt. Anfangs dachte ich noch, ich sei eine von mehreren
       Personen, die er ins Auge fasst. Doch es stellte sich heraus, dass es ihm
       tatsächlich konkret um mich ging. Was mich dann doch etwas verblüfft hat.
       
       Weil er D’Elia nicht durch einen anderen Mann ersetzte? 
       
       Das gar nicht mal so sehr. Sondern weil ich doch einen sehr anderen Humor
       und ganz andere Energie habe als Chris. Von der Körpergröße ganz zu
       schweigen. Abgesehen davon bin ich sicherlich nicht die Erste, an die man
       denkt, wenn es um einen Actionfilm geht. Jenseits einer kleinen,
       wiederkehrenden Rolle [1][in der Serie „Star Trek: Discovery“] habe ich ja
       in diesem Genre wirklich kaum Erfahrung.
       
       Technisch war die Sache ziemlich aufwändig. Sie haben fast alle Szenen vor
       einem grünen Hintergrund nachgedreht, meist vollkommen allein, und wurden
       nachträglich in den fertigen Film integriert. Mal blöd gefragt: War Ihnen
       klar, wie das alles funktioniert? 
       
       Sagen wir mal so: Auf einer Basisebene habe ich verstanden, was wir da
       machen. Und es ist nicht so, dass ich nicht schon mal mit Green Screen
       gearbeitet hätte. Es fühlte sich nur ein bisschen schräg an, dass außer mir
       eigentlich nur Zack und die Crew da waren. Daran musste ich mich erst
       einmal gewöhnen. Aber vor allem fand ich es dann doch sehr erstaunlich, wie
       vergleichsweise mühelos man jemanden aus einem Film ausradieren und
       ersetzen kann. Die Details, wie Zack das gemacht hat, sind mir immer noch
       nicht ganz klar. Aber ich habe das Ergebnis gesehen und kann sagen: Es hat
       funktioniert.
       
       Sie haben gerade „ausradieren“ gesagt – und Diskussionen rund ums Thema
       Cancel Culture schlagen ja dieser Tage überall hohe Wellen. Wie wohl
       fühlten Sie sich denn damit, einen Kollegen zu ersetzen? 
       
       Ich konnte durchaus nachvollziehen, warum Zack sich zu diesem Schritt
       entschloss. Aber ich will an dieser Stelle die Vorwürfe gegen Chris nicht
       kommentieren. Insgesamt ist die Stimmung überall sehr aufgeladen dieser
       Tage. Und ich persönlich mag den Begriff Cancel Culture überhaupt nicht. Es
       geht einfach darum, dass Menschen für ihr unangebrachtes Verhalten und
       Fehltritte Verantwortung übernehmen und die Konsequenzen tragen. Aber in
       der Diskussion darüber braucht es Nuanciertheit, und die fehlt mir häufig.
       Man muss meiner Meinung nach jeden Fall für sich betrachten. Mit
       Verallgemeinerungen ist bei diesem Thema niemandem gedient.
       
       Dann sprechen wir also lieber über Sie als über andere. Früher haben Sie
       stets betont, dass Sie keine Schauspielerin, sondern Komikerin seien. Dafür
       übernehmen Sie mittlerweile aber doch recht viele Rollen. Fühlen Sie sich
       inzwischen wohler damit? 
       
       Als man vor 15 Jahren oder so anfing, mir Rollen in Film- oder
       Fernsehproduktionen anzubieten, fühlte ich mich wirklich nie als
       Schauspielerin. Das waren immer Freund*innen, die mir kleine Auftritte in
       ihren Serien oder Filmen zuschusterten, und die Sache war immer eher ein
       großer Spaß als echte Arbeit. Eine nette Ablenkung von meinem eigentlichen
       Job als Stand-up-Komikerin. Erst als ich dann irgendwann auch von Leuten
       engagiert wurde, mit denen ich nicht privat befreundet bin, realisierte
       ich, dass ich mich vielleicht mal ein bisschen mehr anstrengen und mit der
       Sache befassen müsse. Das kann, wie im Fall von „Army of the Dead“, schon
       auch eine echte Herausforderung sein. Aber genau das macht mir dann auch
       besonders viel Spaß.
       
       Wonach entscheiden Sie denn, für welche Projekte Sie sich vor die Kamera
       stellen? 
       
       Ich bin ganz gut ausgelastet mit meiner Comedy und natürlich Frau und
       Kindern, deswegen erlaube ich mir den Luxus, wählerisch zu sein. Ein
       Drehbuch muss mich ansprechen, der Humor muss mir liegen und das Herz am
       rechten Fleck sein. Außerdem arbeite ich gerne mit anständigen Leuten (im
       Original „decent people“, A.d.R.) zusammen, deswegen versuche ich die
       Verantwortlichen vorab immer ein bisschen kennenzulernen. Und sei es auch
       nur via Zoom, [2][so wie im Fall von Zack Snyder].
       
       In Sachen Stand-up war in den vergangenen 14 Monaten selbstverständlich
       nicht viel zu holen. Haben Sie die Bühne vermisst? 
       
       Tatsächlich bin ich kein einziges Mal aufgetreten, seit es mit Corona
       losging. Natürlich habe ich es vermisst, aber es war auch okay, mal eine
       Pause zu machen. Hat sogar gutgetan, schließlich habe ich in den Jahren
       vorher doch ziemlich viel gearbeitet. Ich habe zwei Podcasts, die waren im
       letzten Jahr ein guter Ausgleich und immerhin ein Weg, weiterhin humorvoll
       mit anderen Menschen zu interagieren. Trotzdem freue ich mich schon drauf,
       dass ich bald eine große neue Tour ankündigen kann.
       
       Der ganz große Durchbruch gelang Ihnen ausgerechnet, als Sie Ihre
       Krebsdiagnose auf der Comedy-Bühne thematisierten. Später haben Sie den
       Kampf gegen die Krankheit in dem Film „Tig“ verarbeitet, genauso wie die
       Versuche, mit Ihrer Partnerin ein Kind zu bekommen. Wurde Ihnen das nie zu
       intim? 
       
       Nein, da war ich nie empfindlich. Und empfand das gerade im Kontext der
       Krankheit eher als hilfreich. Schwierigkeiten, eine Grenze zwischen meiner
       Comedy und meinem Privatleben zu ziehen, habe ich erst jetzt manchmal, wo
       ich eine Familie habe. Plötzlich merke ich, dass ich hin und wieder besser
       zweimal überlege, bevor ich alle persönlichen Erfahrungen für einen Lacher
       ausschlachte. Nicht mehr alles zu teilen, ist für mich ungewohnt. Aber es
       fühlt sich gut an.
       
       Wo Sie überhaupt nichts Persönliches teilen, ist Twitter. Auf Ihrem Account
       tweeten Sie nie selbst, sondern stellen ihn Bekannten oder wohltätigen
       Organisationen zur Verfügung. Warum das? 
       
       Twitter interessiert mich einfach nicht. Genauso wenig übrigens, wie ich
       nicht gerne Kurznachrichten auf dem Telefon schreibe. Kleine Gedankenfetzen
       sind einfach nicht mein Ding. Als 2015 mein Stand-up-Special auf HBO zu
       sehen war, legte mein Produzent mir nahe, dass ich einen Twitter-Account
       haben sollte, aber der Kompromiss war dann eben, dass ich dort abwechselnd
       unterschiedliche Leute etwas schreiben lasse. Bis heute habe ich selbst
       das Passwort gar nicht. Um all meine Social-Media-Belange kümmert sich
       meine Assistentin. Wenn man mich da mir selbst überlassen würde, würde ich
       alle paar Wochen ein Foto meiner Katze posten und das wär’s.
       
       Eine letzte Frage noch zu Ihrer grandiosen eigenen Serie „One Mississippi“,
       die von 2015 an zwei Jahre lang bei Prime Video zu sehen war und dann
       abgesetzt wurde. Waren Sie da mit Ihrem semi-autobiografischen Konzept
       Ihrer Zeit voraus? 
       
       Den Eindruck habe ich tatsächlich ein wenig. Dass die Leute anfingen, die
       Show wahrzunehmen und darüber zu sprechen, ging irgendwie erst los, nachdem
       schon entschieden war, dass es nicht weitergeht. Aber das ist okay, damit
       kann ich leben. Sie ist ja nach wie vor verfügbar und ich freue mich immer,
       wenn jemand sie jetzt erst für sich entdeckt.
       
       Würden Sie etwas Vergleichbares gerne einmal wieder drehen? 
       
       Die längste Zeit dachte ich, dass ich keine Lust habe auf eine weitere
       Serie, doch seit einigen Monaten kann ich es mir plötzlich wieder
       vorstellen. Und ich habe sogar ein paar Ideen, die sich weiterzuverfolgen
       lohnen, also mal sehen, was daraus wird. In jedem Fall vermisse ich „One
       Mississippi“. Sollte irgendwann jemand anklopfen und sagen: wir machen doch
       noch eine Staffel – ich wäre bereit dazu, keine Frage!
       
       22 May 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Kolumne-Die-Couchreporter/!5452068
   DIR [2] /US-Superhelden-Epos-in-Ueberlaenge/!5754929
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Patrick Heidmann
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt #metoo
   DIR Interview
   DIR Film
   DIR Netflix
   DIR Comedian
   DIR Zombies
   DIR Actionfilm
   DIR IG
   DIR Journalismus
   DIR Schwerpunkt LGBTQIA
   DIR Film noir
   DIR Spielfilm
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Johanna Adorján über Roman „Ciao“: „Die größte Umwälzung seit 1968“
       
       In Johanna Adorjáns neuem Roman „Ciao“ geht es auch um den Niedergang des
       Journalismus. Der Berufsstand habe viel an Attraktivität verloren, sagt die
       Autorin.
       
   DIR Ulrike Folkerts zu #allesdichtmachen: „Die andere Ulrike“
       
       Die „Tatort“-Schauspielerin Ulrike Folkerts wurde gerade 60. Ein Gespräch
       über Festlegungen, Ausbrüche und den Fehler, bei #allesdichtmachen
       mitgemacht zu haben.
       
   DIR Schwarze Filmgeschichte in den USA: Jagd auf Zombies, Jagd auf Schwarze
       
       Der Dokumentarfilm „Horror Noire: A History of Black Horror“ von Xavier
       Burgin zeichnet Veränderungen in der US-Gesellschaft nach.
       
   DIR Film übers Übersinnliche: Mit Voodoo unterwandern
       
       Ungewöhnliche Geschichtsstunde am Mädcheninternat: Der Spielfilm „Zombi
       Child“ von Betrand Bonello verbindet Französische Revolution und Haiti.