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       # taz.de -- Benin-Kunstwerke in Berlin: Bronzen für Preußen
       
       > Wie die geraubten Kunstwerke aus Benin, die im wieder errichteten
       > Berliner Stadtschloss präsentiert werden sollen, nach Deutschland kamen.
       
   IMG Bild: Das Humboldt Forum in Berlins Mitte
       
       Als Felix von Luschan im Sommer 1897 die ersten Elfenbeinschnitzereien und
       Bronzen aus Benin zu Gesicht bekam, fiel er in eine Art Sammelrausch. Der
       Direktorialassistent des Königlichen Museums für Völkerkunde in Berlin
       hatte schnell den besonderen Wert dieser Kunst erkannt, wie der Historiker
       Glenn Penny in seiner Geschichte der deutschen Ethnologie „Die Erben
       Humboldts“ schreibt. Die Objekte, so Luschan, zeugten von höchster
       technischer Kunstfertigkeit und wären zudem von ganz eigener „Benin-Art“,
       wie er in seinem 1918 veröffentlichten Buch „Die Altertümer von Benin“
       festhielt – was die meisten seiner Zeitgenossen in ihrer
       kolonialistisch-rassistischen Hybris den „primitiven“ Afrikanern gar nicht
       zugetraut hätten.
       
       Wenige Monate nach der Zerstörung und Plünderung der alten Königsstadt
       Benin durch britische Soldaten „überschwemmte“ diese Kunst den
       europäischen Kunstmarkt. Luschan kaufte, was das Zeug hielt. Er schickte
       Unterhändler zu Auktionen nach London, bat Sammler wie den deutschen Konsul
       in Lagos, Eduard Schmidt, für ihn zu kaufen, verhandelte mit
       Antiquitätenhändlern. Wohl ein paar Dutzend Bronzen kaufte er beim
       Hamburger Handelshaus Bey & Co, das eine Dependance in Lagos hatte. Bis
       1919 hatte er so rund 580 Objekte für Berlin erstanden, damals die größte
       Sammlung weltweit.
       
       Mit dem Glanz dieser Stücke will sich auch das Humboldt Forum im
       rekonstruierten Preußenschloss in Berlin schmücken. Bei der digitalen
       Eröffnung des Forums vergangenen Dezember prahlte Intendant Hartmut
       Dorgerloh auf die Frage nach den Bronzen, dass „uns die Leute die Bude
       einrennen werden“. Ab Frühjahr nächsten Jahres sollen sie live zu sehen
       sein.
       
       Dass die Kunstwerke eine Sensation sind, fand schon Luschan. 20 Jahre nach
       ihrer „Entdeckung“ resümierte er 1918: „Ganz vereinzelte Stücke hatten sich
       zwar schon vorher zu uns verirrt, aber die bei der Eroberung von Benin (18.
       Februar 1897) gemachte Kriegsbeute bildete doch die größte Überraschung,
       die bis dahin der Völkerkunde zuteil wurde.“
       
       Der Ausdruck „Kriegsbeute“, der damals, so Penny, auch in Zeitungsberichten
       über die Benin-Bronzen verwendet worden sei, zeigt: Den Akteuren war
       durchaus bewusst, dass Blut an den begehrten Stücken klebte. Das war für
       die damals in den Anfängen steckende Ethnologie auch nichts Besonderes:
       „Überhaupt ist es sehr schwer, einen Gegenstand zu erhalten, ohne zum
       mindesten etwas Gewalt anzuwenden. Ich glaube, daß die Hälfte Ihres Museums
       gestohlen ist“, schrieb der Arzt und Forschungsreisende Richard Kandt 1897
       aus Ruanda an Luschan.
       
       Unrechtsbewusstsein rief das bei Luschan und seinen Nachfolgern nicht
       hervor: Sie wollten möglichst große Sammlungen haben – aus
       wissenschaftlichem Interesse, aber auch für das eigene und nationale
       Prestige. „Der Stolz der Museen hing davon ab, die größte, beste,
       umfangreichste Sammlung zu haben – ‚Männer und ihre Spielzeuge‘ eben“, sagt
       Jonathan Fine, Kunsthistoriker am Ethnologischen Museum Berlin und Kurator
       der Benin-Ausstellung im Humboldt Forum.
       
       Als 1972 Nigeria – als Nachfolgestaat des Königreichs Benin – erstmals
       Deutschland und andere Länder mit Benin-Bronzen um einzelne Dauerleihgaben
       für seine eigenen Museen bat, schrillten hierzulande die Alarmglocken. Mit
       geschickter politischer Intrige wehrte der damalige Präsident der Stiftung
       Preußischer Kulturbesitz, Hans-Georg Wormit, den bescheidenen Wunsch der
       Nigerianer erfolgreich ab, wie die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy in
       ihrem Buch „Afrikas Kampf um seine Kunst“ detailliert nachzeichnet. Wormit
       warnte vor einem Präzedenzfall, der Anfragen anderer ehemaliger Kolonien
       nach sich zöge, was langfristig den gesamten Bestand hiesiger Museen
       gefährden würde. Zudem seien die Objekte rechtmäßiges Eigentum der
       Stiftung, da „in England angekauft“.
       
       Die Behauptung, die Benin-Bronzen seien „rechtmäßig“ in Berlin, da „legal“
       erworben, zog sich durch die Argumentation der Stiftung Preußischer
       Kulturbesitz fast bis heute und wurde von der Politik lange Zeit fraglos
       übernommen. Im Jahr 2013 – Kritiker hatten da schon länger die Pläne
       moniert, im Humboldt Forum koloniale Raubkunst auszustellen – erklärte die
       Berliner Senatskanzlei auf eine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Clara
       Herrmann zu den Benin-Bronzen: „Der Senat und die Stiftung Preußischer
       Kulturbesitz sind der Auffassung, dass die Objekte rechtmäßig erworben
       wurden und es für eine Restitution dieser Sammlung keine völkerrechtliche
       Grundlage gibt.“
       
       ## Die Mär vom „legalen Besitz“
       
       Auch die Bundesregierung hielt noch Ende 2018 an der Mär vom „legalen“
       Besitz fest, woran Savoy in ihrem Buch erinnert. Auf eine Anfrage der
       AfD-Fraktion, ob sie Erkenntnisse darüber habe, „wie viele Artefakte des
       Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst in Berlin als
       mögliche Restitutionsgüter einzustufen sind“, antwortete sie: [1][„Hierzu
       liegen den beiden Museen und daher auch der Bundesregierung keine
       belastbaren Erkenntnisse vor.“]
       
       Das war offenkundig gelogen: Zumindest die Museumsmacher wussten sehr wohl
       um die teilweise problematische Geschichte ihrer Sammlungen aus früheren
       Kolonialgebieten. Dennoch wurde den Forderungen nach Restitution, wie sie
       etwa die Gruppe Berlin Postkolonial seit Jahren erhebt, stets
       entgegengehalten, es müsse immer im Einzelfall geprüft werden, ob
       tatsächlich ein „Unrechtskontext“ vorliege. Sprich: Vor jeder Rückgabe
       seien aufwendige Provenienzrecherchen zu jedem Stück notwendig. Bei über
       500.000 Objekten allein im Ethnologischen Museum ist es daher kein Wunder,
       das bislang nur wenige Restitutionen erfolgt sind.
       
       Im Fall der Benin-Bronzen zog das Argument der notwendigen
       Einzelfallrecherche allerdings besonders schlecht. Denn für alle Objekte,
       die Luschan ab 1897 gekauft hat, gleich ob von Konsul Schmidt oder von
       anderen Zwischenhändlern, gilt: „Sie wären höchstwahrscheinlich nie auf den
       Kunstmarkt gekommen, wären Luschan nie angeboten worden, wenn sie nicht aus
       den Schreinen, aus den königlichen Palästen, aus den Palästen der Adeligen
       in Benin geraubt worden wären.“ So erklärt es Jonathan Fine.
       
       Es war ein geschickter Schachzug des nigerianischen Botschafters in Berlin,
       Yusuf Tuggar, wenige Tage vor der digitalen Eröffnung des Humboldt Forums
       im Dezember öffentlich ([2][auf Twitter]) darauf hinzuweisen, dass sein
       Land seine Kulturschätze zurückfordere. Auch wenn die Stiftung Preußischer
       Kulturbesitz und das Auswärtige Amt dies zunächst abwehrten, indem sie
       behaupteten, es gebe gar kein „offizielles“ Rückgabeersuchen der
       nigerianischen Regierung: Die Diskussion über die Bronzen war wieder in den
       Schlagzeilen, die reale Eröffnung des Humboldt Forums ab September – die
       der „Ost-Spange“ mit der Benin-Ausstellung ist für Frühjahr 2022 vorgesehen
       – drohte international zur Peinlichkeit zu werden.
       
       Die [3][Erklärung der deutschen Museen vom 29. April], mit der sie nun
       „substanzielle Rückgaben“ an Nigeria anbieten, die ersten für 2022, war
       daher überfällig. Noch allerdings ist unklar, wer darüber entscheidet,
       welche Objekte wann zurückgehen. Die Nigerianer? Die deutschen Museen? Der
       Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, sagt,
       all dies müsse nun „im Dialog“ mit Nigeria geklärt werden. Auch
       Lars-Christian Koch, der Direktor des Ethnologischen Museums Berlin,
       spricht von den „Interessen der nigerianischen Seite, die im Vordergrund
       stehen“. Implizit heißt dies freilich, dass Berlin und die anderen
       deutschen Museen ihre Interessen durchaus in die Verhandlungen mit den
       Nigerianern einbringen werden. Eine demütige Geste, die koloniales Unrecht
       wiedergutmachen will, ist das wohl kaum.
       
       Fest steht immerhin: Unter den ersten Objekten, die 2022 zurückgehen,
       werden „mit Sicherheit“ (Parzinger) Stücke aus Berlin sein. An einer
       Benin-Schau im Humboldt Forum halten die Macher dennoch fest – auch wenn
       sie nun wohl ein paar Leerstellen haben wird beziehungsweise Gipsabdrücke
       anstelle von Originalen. Ursprünglich war geplant, rund die Hälfte der 506
       Berliner Benin-Objekte zu zeigen. Wie viele es nun sein werden, werden die
       Verhandlungen mit Nigeria ergeben.
       
       Dass die Ausstellung stattfinden soll, ist für Kurator Fine trotz der
       jüngsten Entwicklungen eine Selbstverständlichkeit: „Ich glaube, es ist oft
       hilfreich, dass, wenn man Objekte restituiert, man sie zuerst ausstellt. Es
       ist wichtig für die Öffentlichkeit zu sehen, was zurückgeht, warum es
       zurückgeht, und sich selber dazu eine Meinung zu bilden.“
       
       Ohnehin sei geplant gewesen, dass einer der beiden Räume der
       Benin-Ausstellung die Plünderung von 1897 thematisiert. „Hierfür fragen wir
       Vertreter aus Nigeria und Europa ganz direkt: Was bedeuten Ihnen die
       Benin-Bronzen, was soll mit ihnen in Zukunft passieren? Das Thema war schon
       lange Mittelpunkt der Ausstellung.“
       
       23 May 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/065/1906539.pdf
   DIR [2] https://twitter.com/YusufTuggar/status/1336764262912569344
   DIR [3] https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/benin-bronze/2456786
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Memarnia
       
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