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       # taz.de -- Virtuelles Jahrestreffen der WHO: Noch inmitten der Pandemie
       
       > Corona ist das bestimmende Thema auf dem virtuellen WHO-Jahrestreffen.
       > Dabei wird die Kluft zwischen armen und reichen Ländern deutlich.
       
   IMG Bild: Im Kampf gegen die Pandemie – hier ein Labor in Italien – sind die Möglichkeiten ungleich verteilt
       
       Genf taz | Für ihre Rede zum Auftakt der 74. Weltgesundheitsversammlung
       klaute Angela Merkel bei Fußballlegende Sepp Herberger. „Nach der Pandemie
       ist vor der Pandemie, und für die nächste sollten wir so gut vorbereitet
       sein wie möglich“, forderte sie am Montag beim virtuellen Jahrestreffen der
       Weltgesundheitsorganisation (WHO).
       
       Doch während die Bundeskanzlerin schon über die nächste Pandemie nachdenkt
       und Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez „Licht am Ende des Tunnels“
       sieht, [1][warten die meisten der 194 WHO-Mitgliedsstaaten noch darauf,
       dass der Kampf gegen die Pandemie auch bei ihnen beginnt].
       
       „Die unwürdige Impfstoff-Apartheid muss ein Ende haben“, sagte etwa der
       Ministerpräsident der Karibiknation Antigua und Barbuda, Gaston Browne. Und
       WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus warnte: “[2][Eine kleine Zahl von
       Ländern, die den meisten Impfstoff produziert und aufgekauft haben],
       kontrolliert das Schicksal der restlichen Welt.“
       
       Das Ausmaß macht die globale Gesundheitsstatistik deutlich, die die WHO am
       Freitag vorgelegt hatte. Demnach ist die Zahl der Toten im Zusammenhang mit
       der Pandemie zwei- bis dreimal höher als die bisher vermuteten 3,4
       Millionen. Vor allem in armen Ländern würden Todesursachen oft gar nicht
       erfasst, zudem seien dort viele Gesundheitssysteme überlastet. Dagegen soll
       eigentlich die von der WHO ins Leben gerufene Initiative namens
       ACT-Accelerator helfen, zu der auch das [3][Impfprogramm Covax] gehört.
       
       Doch zur Umsetzung fehlen 18,5 Milliarden US-Dollar, außerdem Covid-Tests,
       Sauerstoff und Beatmungsgeräte. Drei Viertel der Impfungen gegen Covid-19
       seien in gerade einmal zehn Ländern verabreicht worden, erklärte Tedros in
       Genf. „Die bisher verabreichten Impfungen hätten ausgereicht, um weltweit
       alles medizinische Personal und alle älteren Menschen impfen zu lassen,
       wenn sie gerecht verteilt gewesen wären.“
       
       Um die Zahl der Impfungen weltweit zu erhöhen, müssten Hersteller ihre
       Patente dringend mit anderen teilen. Als Ziel gab Tedros aus, zehn Prozent
       der Bevölkerung jedes Landes bis Ende September zu impfen. Für die 125
       ärmsten Länder der Welt würde das eine Verzehnfachung bedeuten.
       
       ## Deutschland gegen Freigabe
       
       Deutschland gehört zu den Ländern, die sich in der Welthandelsorganisation
       gegen eine vorübergehende Freigabe der Patente aussprechen. Stattdessen
       setzt die Bundesregierung sich für einen globalen “Pandemievertrag“ ein,
       der Staaten zur Zusammenarbeit und Transparenz im Pandemiefall verpflichten
       würde. Das Problem: die Ausarbeitung eines solchen Vertrags könnte Jahre
       dauern oder ganz scheitern. Schon jetzt sperren sich China, Russland und
       Brasilien gegen ein solches Vertragswerk, das es der WHO erlauben könnte,
       Informationen über Pandemieverläufe ohne Zustimmung betroffener Staaten zu
       veröffentlichen. Auch die USA zeigen an dem Vertrag wenig Interesse.
       
       Dabei ist allen Staaten klar, dass die WHO sich für künftige Pandemien
       besser aufstellen muss. Das bisherige System sei gescheitert, erklärte
       Liberias frühere Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf, Vorsitzende von einer
       der drei Kommissionen, die die Pandemiebekämpfung untersucht haben. Den von
       ihr geforderten Globalen Gesundheitsrat mit weitreichenden Befugnissen zur
       frühzeitigen Pandemiebekämpfung unterstützt auch Deutschland.
       
       Doch ob die Staaten der WHO mehr Macht zugestehen werden, ist ungewiss.
       Eine von der EU vorgelegte Resolution, die der WHO mehr Möglichkeiten für
       unabhängige Untersuchungen einräumen sollte, wurde noch vor Beginn der
       Versammlung verwässert. Und wenn es um mehr Geld geht, das die WHO mit
       ihrem Jahresbudget von knapp zwei Milliarden Euro dringend bräuchte, mauern
       auch die Europäer.
       
       Manche Länder wie Deutschland haben ihre Zuschüsse in der Pandemie bereits
       erhöht, andere Geber verweisen auf die Kosten der Coronapandemie im eigenen
       Land. Fast alle halten zudem an der Zweckbindung der meisten ihrer Gelder
       fest. Das aber beraubt die WHO genau dem, was die Reformer fordern: mehr
       Eigenständigkeit.
       
       Für WHO-Chef Tedros steht viel auf dem Spiel, nicht zuletzt seine eigene
       Zukunft. Im kommenden Jahr läuft die Amtszeit des Äthiopiers aus. Ob er ein
       weiteres Mal für fünf Jahre an der Spitze der WHO vorgeschlagen wird, wird
       vor allem davon abhängen, ob ihm die weltweite Bekämpfung der
       Covid-19-Pandemie gelingt.
       
       24 May 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Marc Engelhardt
       
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