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       # taz.de -- Wohnungsmarkt in Hamburg: Förderung für Gutverdienende
       
       > Der Senat erlaubt Vermieter*innen, Sozialwohnungen auch an
       > Nicht-Berechtigte zu vergeben. Die Regel gehöre auf den Müll, kritisieren
       > Mietervereine.
       
   IMG Bild: Wer darf hier wohnen? Auch Besserverdienende haben es auf geförderte Wohnungen abgesehen
       
       Hamburg taz | Bei vielen Stadtbewohner*innen dürfte allein der
       Gedanke, ihm ausgeliefert zu sein, Beklemmungen auslösen: dem Hamburger
       Wohnungsmarkt. Zu kleine Wohnungen für viel zu viel Geld und eine
       Konkurrenzsituation wie unter hungrigen Wölfen – der Horror für alle, die
       nicht sehr gut verdienen. Auch ein Berechtigungsschein für eine
       Sozialwohnung bringt wenig, wenn 40 Prozent der Hamburger*innen einen
       solchen besitzen und der Neubau nicht mit bezahlbaren Angeboten
       hinterherkommt.
       
       Aber statt alles daran zu setzen, die Situation für die Mieter*innen zu
       entschärfen, ermöglicht der Senat Vermieter*innen seit Jahrzehnten über
       eine Ausnahmeregelung, [1][geförderte Sozialwohnungen an Besserverdienende
       zu vergeben]. Diese „Freistellungen“ gelten derzeit für knapp 7.000
       Wohnungen in Mümmelmannsberg, Wilhelmsburg, Steilshoop und Neu-Allermöhe –
       allerdings nur temporär. Aber seit 1977 werden die „Freistellungen“ immer
       wieder verlängert.
       
       Am 30. Juni endet die Ausnahmeregelung erneut. [2][Die Volksinitiative
       „Keine Profite für Wohnen und Miete“] und das „Bündnis für eine neue
       soziale Wohnungspolitik“ fordern die Stadtentwicklungsbehörde auf, die
       „Freistellungen“ ein für alle Mal zu begraben.
       
       „Der Bestand an günstigen geförderten Wohnungen ist ohnehin schon
       vollkommen unzureichend“, kritisiert Marc Meyer von „Mieter helfen
       Mietern“. Es sei nicht hinnehmbar, dass fast zehn Prozent dieser Wohnungen
       nicht denjenigen zur Verfügung stünden, für die sie gebaut – und finanziert
       – wurden.
       
       ## 13.00 Haushalte in akuter Wohnungsnot
       
       Das „Bündnis für eine neue soziale Wohnungspolitik“, in dem sich Caritas,
       Diakonie, „Mieter helfen Mietern“ und Stattbau engagieren, weist zudem auf
       die besonders schlechte Situation von Menschen in akuter Wohnungsnot hin.
       Wer etwa aus einer öffentlichen Unterkunft hinauswill, den Knast oder das
       Frauenhaus verlässt oder zwangsgeräumt wurde, gilt als vordringlich
       wohnungssuchend.
       
       Für diese derzeit 13.000 Haushalte sind rund zehn Prozent der
       Sozialwohnungen reserviert. Würde die Behörde sich von den Freistellungen
       verabschieden, kämen, ohne dass dafür gebaut werden müsste, rund 2.140
       Wohnungen für diese Gruppe dazu. Nicht auf einen Schlag, schließlich würde
       man keine Bestandsmieter*innen rausschmeißen. Aber der Senat räumt in
       der Antwort auf eine [3][Kleine Anfrage der Linksfraktion] ein, dass
       ausgehend von einer normalen Fluktuation rund 300 Sozialwohnungen pro Jahr
       wieder gemäß ihrer eigentlichen Bestimmung belegt werden könnten.
       
       Aber wie kam es überhaupt zu der vermieterfreundlichen Ausnahmeregelung?
       Dahinter steht die Idee [4][einer sozial-finanziellen Durchmischung der
       Quartiere]. „Die soziale Durchmischung zur Förderung stabiler
       Nachbarschaften ist maßgeblich für die Freistellungsgebiete“, sagt die
       Sprecherin der Stadtentwicklungsbehörde, Susanne Enz.
       
       Zu der Frage, ob die Regel weiter aufrechterhalten werden soll, könne sie
       noch keine Prognose abgeben. In den betroffenen Gebieten sei damals ein
       sehr hoher Anteil Sozialwohnungen errichtet worden, unter denen wiederum
       ein hoher Anteil für vordringlich Wohnungssuchende bestimmt gewesen sei.
       „Eine solche Verteilung würde man mit Blick auf die Quartiersstabilität
       heute nicht mehr planen, um eine Häufung sozialer Problemlagen zu
       vermeiden“, sagt Enz. Bei der Frage nach der Verlängerung der
       „Freistellungen“ werde daher die Sozialstruktur der Gebiete betrachtet –
       „mitsamt den Folgen, die eine Rückkehr zur bindungskonformen Belegung haben
       könnte“.
       
       ## Stigmatisierung von Menschen in Wohnungsnot
       
       „Das ist ein sehr schwaches Argument“, sagt die Geschäftsführerin von
       Stattbau, Katrin Brandt. Erstens könnten die Wohnungsbauunternehmen eine
       Belegung auch tauschen, falls sie Angst hätten, dass ein Quartier plötzlich
       zum Brennpunkt mutiere. Zweitens sei es eine unhinterfragte
       Stigmatisierung, vordringlich Wohnungssuchende und Bewohner*innen von
       Sozialwohnungen automatisch zu „schwieriger Klientel“ zu erklären.
       
       Hinzu komme, ergänzt Marc Meyer, dass ja auch andere Maßnahmen denkbar
       seien, um die soziale Durchmischung der Quartiere zu fördern. „Gute Schulen
       und Kitas, sowie eine Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr wären schon
       mal ein Anfang“, sagt Meyer.
       
       26 May 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Soziale-Mischung-in-Hamburg/!5047227
   DIR [2] /Mietenpolitik-in-Hamburg/!5734204
   DIR [3] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/72663/auslaufen_der_freistellungsgebiete.pdf
   DIR [4] /Wohnungsmarkt-in-Hamburg/!5649846
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katharina Schipkowski
       
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