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       # taz.de -- Lockerungen für Geimpfte in Bayern: Heim ohne Hoffnung
       
       > Geimpfte und Genesene sind laut Ministerpräsident Markus Söder keine
       > Gefahr mehr. Es soll wieder mehr Freiheiten geben – aber nicht für
       > Heimbewohner.
       
   IMG Bild: Kontaktbeschränkungen für BewohnerInnen von Alten- und Pflegeheimen in Bayern gelten weiterhin
       
       München taz | Während die Politik sich mittlerweile festgelegt hat, dass
       Geimpfte und -Genesene künftig [1][teils von den Coronaregeln ausgenommen
       sind], steht für die Bewohnerinnen und Bewohner von Alten- und Pflegeheimen
       eine Verbesserung ihrer Situation offensichtlich in weiter Ferne.
       Ausgerechnet für jene Bevölkerungsgruppe also, die von der Pandemie mit am
       heftigsten getroffen wurde, in der aber auch der allergrößte Teil der
       Menschen voll immunisiert sein sollte. Zumindest in Bayern sind keine
       Verbesserungen ihrer Situation geplant.
       
       Vergangenen Dienstag twitterte Markus Söder stolz: „Bayern geht voran: Für
       vollständig Geimpfte und Genesene gibt es keine Kontaktbeschränkungen und
       Ausgangssperren mehr. Das gilt ab 6. Mai noch vor dem Bund.“ Und er fügte
       hinzu: „Grundrechte sind äußerst wichtig. Geimpfte sind keine Gefahr mehr
       für sich und andere. Deshalb ist Impfen so wichtig.“
       
       Doch wenn Bayern und sein Ministerpräsident voranschreiten, bleibt so
       mancher zurück. In diesem Fall gehören die Alten und Pflegebedürftigen zu
       dieser Gruppe. Vielfach wurde bereits auf die [2][besonders schwierige
       Situation der Menschen in den Heimen] hingewiesen. So vereinsamen die
       Menschen zunehmend angesichts der Unmöglichkeit, mit ihren Mitbewohnern in
       Kontakt zu treten.
       
       Gerade für demente und schwerhörige Heimbewohner ist es über eine Distanz
       von anderthalb Metern kaum möglich Kontakt untereinander aufzunehmen.
       Heimpersonal berichtet, wie sich diese Menschen immer mehr zurückzögen, wie
       sie vereinsamten, verwahrlosten und selbst bei Gruppenaktivitäten nur noch
       teilnahmslos herumsäßen.
       
       ## CSU zweifelt an Schutzwirkung der Impfung
       
       Hätte Söder mit der Behauptung recht, dass Geimpfte keine Gefahr mehr für
       sich und andere seien, wäre die Sache klar: Es gäbe keinen Grund,
       vollständig geimpften, gemeinsam in der Wohngruppe eines Heims lebenden
       Menschen den Umgang miteinander zu verbieten – auch nicht Berührungen, die
       für Demenzkranke die wichtigste Form der Kommunikation sind.
       
       Aber der Logik scheint die bayerische Staatsregierung zumindest in dieser
       Sache keinen allzu großen Stellenwert einzuräumen. Das durfte vor zwei
       Wochen auch die Landtags-SPD erfahren, als sie einen Dringlichkeitsantrag
       in das Parlament einbrachte. Darin forderte sie, „dass in Wohn-und
       Pflegeeinrichtungen für Seniorinnen und Senioren sowie Menschen mit
       Behinderung wieder mehr Nähe und soziales Miteinander ermöglicht wird“.
       Insbesondere das Abstandsgebot müsse für diese Menschen fallen.
       
       Doch der Antrag wurde im Gesundheitsausschuss abgeschmettert. Nicht nur die
       CSU, sondern auch ihr sonst so lockerungswütiger Koalitionspartner, die
       Freien Wähler, stimmten dagegen. Es war derselbe Tag, an dem die Regierung
       die Auflagen für zweifach Geimpfte beim Einkauf, beim Friseur- oder
       Tierparkbesuch lockerte.
       
       Besonders bemerkenswert die Begründung: Man wisse ja nicht, ob die Menschen
       durch die zweifache Impfung tatsächlich geschützt seien, hätten ihre
       Kollegen der Regierungsparteien argumentiert, berichtet die SPD-Abgeordnete
       Ruth Waldmann aus der Ausschusssitzung und schimpft: „Schon wieder werden
       die Älteren und Menschen mit Behinderung im Stich gelassen.“
       
       An der Haltung der Koalitionspartner scheint auch Söders Erklärung, dass
       Geimpfte weder für sich noch für andere eine Gefahr seien, nichts zu
       ändern. Auf taz-Anfrage teilt das bayerische Gesundheitsministerium mit:
       „Das allgemeine Abstandsgebot welches in § 1 Abs. 1 der 12. BayIfSMV sowie
       in weiteren Allgemeinverfügungen betreffend die stationären Pflege- und
       Behinderteneinrichtungen geregelt ist, bleibt trotz der Erleichterungen für
       Geimpfte und Genesene, die sich u.a. auf die Zahl der zulässigen Kontakte
       beziehen, zunächst weiter bestehen.“
       
       Heimleitungen geben vorsorglich Anweisungen an ihre Mitarbeiterinnen und
       Mitarbeiter heraus, in denen es dann etwa heißt: „Die in Bayern diese Woche
       beschlossenen Erleichterungen für vollständig Geimpfte und Genesene gelten
       ausdrücklich nicht in Bereichen mit besonders Schutzbedürftigen.
       Insbesondere Pflegeeinrichtungen sind ausgenommen.“
       
       10 May 2021
       
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