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       # taz.de -- Proteste gegen Kolumbiens Regierung: Mutmaßlich 39 Tote durch Polizei
       
       > Die Demonstrationen gegen die Regierung gehen weiter – wie auch die
       > Gewalt der Sicherheitskräfte. Vor allem in Cali gab es viele Opfer.
       
   IMG Bild: Trauer in Kolumbien, Kerzen für die Todesopfer
       
       Bogotá taz | Seit [1][Beginn der Proteste] gegen die Regierung in Kolumbien
       sind nach den aktuellsten [2][Zahlen der Nichtregierungsorganisation
       Temblores] 39 Menschen mutmaßlich durch Polizeigewalt gestorben. Landesweit
       hat die Organisation bisher 1.814 Fälle von Polizeigewalt registriert.
       
       Ein Ende der Proteste ist nicht in Sicht. Zwar hat die Regierung die
       Steuerreform zurückgenommen, die der Auslöser war. Aber von Anfang an
       steckte mehr hinter den Demonstrationen. Die [3][Liste der Forderungen des
       Nationalen Streikkomitees ist lang]. Darauf stehen unter anderem die
       Rücknahme der geplanten Gesundheitsreform, massive Covid-Impfungen,
       Abschaffung der Studiengebühren und ein Grundeinkommen.
       
       Die Mehrheit der Demonstrationen verläuft friedlich und trotz des ernsten
       Hintergrunds geradezu in Festivalstimmung. So fanden am Samstag in der
       Hauptstadt Bogotá an mehreren Orten der Stadt Menschen zusammen. An der
       Plaza de la Hoja versammelten sich feminististische Protestierende,
       darunter viele Mütter, die gegen die tödliche Gewalt während der Demos
       protestieren.
       
       Mit dabei ist Paula Muñoz,23, Sozialarbeiterin, die im Gedränge unter einer
       Brücke steht, unter die sich die Demonstrierenden vor einem Regenguss
       geflüchtet haben. Es herrscht eine ohrenbetäubende Kulisse aus Gesängen,
       Tröten, Trommeln, Topfschlagen. Muñoz häkelt in aller Ruhe an einem gelben
       Läppchen.
       
       ## „Jede Gruppe hat eigene Interessen hier bei den Protesten“
       
       Sie ist Teil eines Kollektivs namens „Tejiendo Tierra“ (Erde weben), das
       Wolle in den Farben der kolumbianischen Flagge verteilt hat. Eigentlich
       wollten sie aus den gehäkelten Einzelteilen später eine Fahne
       zusammenlegen. Dann kam der Regen. „Ich glaube, jede Gruppe hat eigene
       Interessen hier bei den Protesten. Aber alle haben gemeinsam, dass wir ein
       Kolumbien ohne Krieg wollen, wo wir uns keine Sorgen machen müssen, weil
       wir kein Essen haben, und ein Recht auf Gesundheit“, sagt Muñoz. „Wir
       werden so lange weiterstreiken, bis unsere Forderungen erfüllt sind. Denn
       wir halten es nicht mehr aus.“
       
       Am Montag soll der Dialog zwischen Streikkomitee und Regierung fortgeführt
       werden. Aber das Komitee vertritt längst nicht alle gesellschaftlichen
       Strömungen. Eine weit verbreitete Forderung, ist die nach einer
       Polizeireform. „Es ist typisch für Kolumbien, dass erst eine Agenda für
       einen Streik ausgerufen wird und diese sich sehr schnell ändert, wenn die
       Leute auf die Straßen gehen – und zwar, weil der Staat gewohnt ist, mit
       Gewalt auf die Ansprache der Bürger*innen zu antworten“, sagt Sebastián
       Lanz, Co-Direktor der NGO Temblores. „Auf dem Höhepunkt der dritten
       Pandemiewelle hat die Zivilbevölkerung die Risiken abgewägt und
       festgestellt, dass sie deutlich mehr Angst vor der Politik dieser Regierung
       hat als vor dem Virus.“
       
       Aus seiner Sicht begann die Vorgeschichte der Proteste im November 2019,
       als bei Protesten gegen Polizeigewalt und die Bildungspolitik der aktuellen
       Regierung [4][der Schüler Dilan Cruz durch ein Gummigeschoss der Polizei
       getötet wurde]. Weiter ging es im September 2020, als neun Jugendliche
       unter ungeklärten Umständen in der Polizeistation San Mateo in Soacha bei
       Bogotá starben. Hinzukomme [5][der Fall von Javier Ordóñez, der von
       Polizisten im selben Monat ermordet wurde]. Bei den anschließenden
       Protesten starben in Bogotá 14 Menschen. Bei den aktuellen Demonstrationen
       kam es vor allem in Cali zu Todesopfern, aber auch etwa in Pereira, in der
       Kaffeeanbauregion Kolumbiens, sowie in Bogotá. Wegen Straßenblockaden wird
       in Cali und Pereira unter anderem das Benzin knapp.
       
       ## Neue Art der Polizeigewalt
       
       Eine nicht abreißende Flut von Videos von den Demonstration zeigt neue
       Arten von Polizeigewalt. In Cali, dem Zentrum der Proteste, [6][war am
       Freitag in der Stadt ein ungekennzeichneter Lastwagen unterwegs, aus dem
       Polizisten in Zivil stiegen und auf Demonstrierende schossen]. In Kolumbien
       unterliege die Polizei dem Verteidigungsministerium, in anderen Ländern
       Lateinamerikas dem Innenministerium, erklärte [7][José Miguel Vivanco von
       der Organisation Human Rights Watch der Deutschen Welle]. Sie zu
       reformieren, ist eigentlich Teil des Friedensabkommens zwischen
       Farc-Guerilla und Staat von 2016. Die EU, die UN, die USA und Mitglieder
       des deutschen Bundestags haben Kolumbien aufgerufen, das Recht auf
       friedlichen Protest zu garantieren.
       
       9 May 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Protestwelle-in-Kolumbien/!5769364
   DIR [2] https://twitter.com/TembloresOng/status/1391122868017192965?s=20
   DIR [3] https://www.eltiempo.com/politica/partidos-politicos/paro-nacional-cuales-son-las-peticiones-del-comite-del-paro-586490
   DIR [4] /Protestbewegung-in-Kolumbien/!5640614
   DIR [5] /Polizeigewalt-in-Kolumbien/!5711068
   DIR [6] https://www.elespectador.com/noticias/judicial/paro-nacional-en-cali-policia-confirma-que-del-camion-si-se-bajaron-agentes-vestidos-de-civiles/
   DIR [7] https://twitter.com/dw_espanol/status/1390807208758325257?s=20
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katharina Wojczenko
       
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