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       # taz.de -- Ausschreitungen in Israel/Palästina: Heftige Unruhen in Jerusalem
       
       > Zwangsräumungen, Anschläge und Ausschreitungen: In Jerusalem eskaliert
       > die Lage. Am Montagmorgen kam es erneut zu Gewalt.
       
   IMG Bild: Die Al-Aksa-Moschee am Montagmorgen: Die israelische Polizei hat den Tempelberg gestürmt
       
       Berlin taz | Jerusalem findet nicht zur Ruhe. Auf dem Tempelberg ist es am
       Montagmorgen erneut zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen
       Palästinenser*innen und israelischen Sicherheitskräften gekommen.
       Nach Angaben der Hilfsorganisation „Palästinensischer Halbmond“ wurden 215
       Menschen verletzt, vier von ihnen schwer. Mehr als 150 Menschen hätten ins
       Krankenhaus gemusst. Der israelischen Polizei zufolge wurden neun Beamte
       verletzt.
       
       Medienberichten zufolge hatten sich Tausende Palästinenser*innen auf
       dem Areal versammelt und unter anderem Steine gesammelt. Nach Angaben der
       israelischen Polizei hätten einige Steine vom Tempelberg auf eine Straße
       geworfen sowie eine Polizeistellung angegriffen. Daraufhin hätten
       Polizisten den Tempelberg gestürmt. Polizisten setzten vor der
       Al-Aksa-Moschee auf dem Tempelberg erneut Blendgranaten, Tränengas und
       Gummigeschosse ein.
       
       Schon am Wochenende war es zu Gewalt gekommen. Demonstrierende warfen am
       Samstag Flaschen und Steine auf Polizist*innen. Rund 90 Menschen wurden
       nach Angaben des Palästinensischen Roten Halbmonds in der Nacht auf Sonntag
       verletzt, nachdem am Freitag mehr als 200 Palästinenser*innen und 17
       israelische Polizist*innen verletzt worden seien. Am Samstag hatten
       sich auf dem Tempelberg mehr als 90.000 Muslim*innen zum Ende des
       Ramadan zum Gebet versammelt.
       
       Wer die Wut in Jerusalem verstehen will, kommt an einem Video nicht vorbei:
       [1][Der Clip verbreitet sich seit vergangener Woche im Netz.] Zu sehen ist
       ein englischsprachiger Schlagabtausch zwischen einer Palästinenserin und
       einem israelischen Siedler. Sie: „Jacob, du weißt, dass das nicht dein Haus
       ist. Du stiehlst mein Haus.“ Er, schulterzuckend und in breitem
       Amerikanisch: „Ja, aber wenn ich es nicht stehle, wird es jemand anderes
       stehlen.“
       
       Das Video zeigt den Nahostkonflikt von einer besonders hässlichen, weil
       extrem lokalen Seite. Es stammt aus dem Ost-Jerusalemer Stadtteil Sheikh
       Jarrah, wo einige Häuser von Siedler*innen besetzt worden sind. Dort
       droht mehreren palästinensischen Familien eine Zwangsräumung durch
       israelische Behörden, denn das Land wird von Siedler*innen beansprucht.
       Diese gehen seit Jahren rechtlich gegen die bisherigen Bewohner*innen
       vor. Weltweit gibt es Solidaritätsbekundungen mit den Menschen in Sheikh
       Jarrah.
       
       ## Hamas-Sprechchöre auf dem Tempelberg
       
       Der Streit befeuert die Spannungen auf dem nahe gelegenen Tempelberg in
       Jerusalems Altstadt. Aber auch verschiedene Angriffe haben die Spannungen
       in den vergangenen Tagen verstärkt. [2][Am Freitag hatten
       Palästinenser*innen das Feuer auf einen israelischen
       Militärstützpunkt eröffnet.] Zwei von ihnen wurden daraufhin erschossen,
       einer schwer verletzt.
       
       Am Mittwoch war ein israelischer Student aus einer Siedlung im
       Westjordanland seinen Verletzungen erlegen, nachdem er von einem
       Palästinenser angeschossen wurde. Ebenfalls am Mittwoch hatten israelische
       Sicherheitskräfte einen 16-jährigen Palästinenser getötet, der zuvor
       Molotowcocktails geworfen haben soll.
       
       Extremisten auf beiden Seiten schüren die Spannungen: Am Freitag wurden
       Flaggen der islamistischen Hamas auf dem Tempelberg geschwenkt.
       Demonstrierende sollen in Sprechchören zu Raketenangriffen auf Tel Aviv
       aufgefordert haben. Die Hamas drohte Israel mit Angriffen, sollten die
       Räumungen in Sheikh Jarrah nicht gestoppt werden. Aus dem Gazastreifen
       wurde eine Rakete nach Israel geschossen, woraufhin Israels Luftwaffe eine
       Hamas-Stellung beschoss.
       
       Der ultrarechte israelische Abgeordnete Itamar Ben Gvir, Verbündeter von
       Ministerpräsident Netanjahu, forderte unterdessen, dass die Polizei mit
       scharfer Munition gegen Demonstrierende vorgehen solle, statt
       Gummigeschosse einzusetzen. Israelische Nationalisten dürften am Montag mit
       einem Flaggenmarsch die Stimmung weiter aufheizen. Sie wollen mit einer
       Parade durch Ostjerusalem ihrem Anspruch auf die gesamte Stadt Ausdruck
       verleihen. Erwartet werden Zehntausende Teilnehmer*innen.
       
       ## Gerichtsentscheid verschoben
       
       Israels Oberstes Gericht will unterdessen doch nicht wie geplant am Montag
       entscheiden, ob die Familien in Sheikh Jarrah gegen ein früheres Urteil
       Berufung einlegen können. Während der Stadtteil zunehmend zu einem Symbol
       für die Vertreibung von Araber*innen aus Jerusalem wird, zieht sich der
       komplizierte Rechtsstreit in die Länge.
       
       Sheikh Jarrah liegt in Ostjerusalem, das Israel 1967 von Jordanien erobert
       und 1980 annektiert hat. Ein Gericht hatte entschieden, dass die
       Grundstücke von vier palästinensischen Familien rechtmäßig jüdischen
       Familien gehören, da sie vor 1948 im Besitz einer jüdischen Organisation
       waren. Laut einem Gesetz von 1970 können jüdische Israelis ihren
       Besitzanspruch auf Grundstücke anmelden, wenn ihre Vorfahren vor dem Krieg
       1948 im Besitz des Landes waren. Für Palästinenser, die ihr Eigentum
       infolge des Kriegs verloren, gibt es kein solches Gesetz.
       
       Jordanien hat sich jüngst in den Fall eingeschaltet, um mithilfe alter
       Dokumente das Bleiberecht der Familien zu untermauern. Die Häuser seien
       ursprünglich im Besitz Jordaniens gewesen und an palästinensische
       Flüchtlinge vermietet worden.
       
       [3][Weltweit haben die Spannungen Reaktionen hervorgerufen. Die Arabischen
       Emirate] und [4][Bahrain, die eine Normalisierung mit Israel anstreben],
       äußerten Kritik an den israelischen Behörden. Der türkische Präsident
       bezeichnete Israel gar als „Terrorstaat“.
       
       Aber auch die EU teilte mit, Gewalt und Anstiftung zu Gewalt seien
       inakzeptabel. Ein Sprecher kritisierte auch die Vertreibung aus Sheikh
       Jarrah: „Solche Aktionen sind völkerrechtswidrig und dienen nur dazu,
       Spannungen […] zu schüren.“
       
       Die US-Regierung, [5][die unter Trump die Siedlerbewegung noch aktiv
       unterstützt hatte], teilte am Sonntag mit, Sicherheitsberater Jake Sullivan
       habe gegenüber seinem israelischen Kollegen Meir Ben-Shabbat in einem
       Telefongespräch wiederholt „auch die ernsthaften Bedenken der Vereinigten
       Staaten über die möglichen Vertreibungen palästinensischer Familien aus aus
       ihren Häusern im Ortsteil Sheikh Jarrah“ mitgeteilt.
       
       Dieser Artikel wurde zuletzt aktualisiert um 11.40 Uhr.
       
       10 May 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.youtube.com/watch?v=QeTwNQSvpJs
   DIR [2] /Zusammenstoesse-in-Jerusalems-Altstadt/!5770677
   DIR [3] https://www.mofaic.gov.ae/en/mediahub/news/2021/5/8/08-05-2021-uae-israel
   DIR [4] https://www.mofa.gov.bh/Default.aspx?tabid=7824&language=en-US&ItemId=16021
   DIR [5] /USA-zu-Israels-Siedlungspolitik/!5638866
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jannis Hagmann
       
       ## TAGS
       
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