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       # taz.de -- Sozialarbeiter zu Corona und Armut: „Es ist einfach schrecklich“
       
       > Weite Teile Offenbachs sind soziale Brennpunkte und deshalb vom
       > Coronavirus besonders betroffen. Ein Gespräch mit dem Migrationsberater
       > Ali Karakale.
       
   IMG Bild: Maskenpflicht rund um das Rathaus von Offenbach
       
       taz: Herr Karakale, was macht die Coronapandemie mit Ihren Klienten? 
       
       Ali Karakale: Die Leute sind verunsichert, die hören nicht mehr richtig zu,
       und das hat mit Sprache nicht unbedingt etwas zu tun. Die Menschen haben
       Existenzängste, vor allem die in prekären Arbeitsverhältnissen, die man
       ihnen zum Teil auch noch weggenommen hat. Oder in schlechten
       Wohnverhältnissen. Oder die Kinder werden nicht richtig betreut. Wir haben
       viele Klienten, die eine Kündigung bekommen haben.
       
       Da müssen wir dann die rechtlichen Chancen auf eine Kündigungsschutzklage
       prüfen. Die mit mündlichen Arbeitsverträgen sind noch schlechter dran.
       Denen hat man einfach gesagt, du brauchst nicht mehr zu kommen. Die wissen
       gar nicht, was eine Kündigungsschutzklage ist. Oder man hat sie einfach
       Aufhebungsverträge unterschreiben lassen. Viele sind in Kurzarbeit, aber
       kleine, wirtschaftlich bedrohte Unternehmen können das Kurzarbeitergeld
       nicht vorstrecken. Dann dauert es Monate, bis Geld von der Arbeitsagentur
       fließt. Es ist einfach schrecklich, was im Augenblick abgeht.
       
       Das Offenbacher Gesundheitsamt wirbt mit einem Video für seine Arbeit. Da
       erklärt ein „Hygienekontrolleur“ einem fiktiven Anrufer, welche Regeln
       jetzt für ihn gelten, weil er positiv getestet ist. Wie versteht das ein
       Mensch aus Afghanistan oder Syrien? 
       
       Das geht nicht nur den Menschen mit Migrationshintergrund so. Auch deutsche
       Muttersprachler verstehen das nicht. Das kann man auch nicht einfach eins
       zu eins übersetzen. Es gibt die Informationen zu Corona, digital und als
       Flyer, glücklicherweise in vielen Sprachen der Herkunftsländer. Aber die
       Texte verstehen die Menschen nicht, weil die Informationen nicht in
       einfacher Sprache abgefasst sind. Das muss man erst einmal übersetzen, und
       das ist gar nicht so leicht. Außerdem gleicht das Ganze einer
       Achterbahnfahrt, weil die Bestimmungen ständig verändert werden.
       
       Wie kann man die informieren, die nicht gut vernetzt sind, die weder
       traditionelle noch soziale Medien nutzen? 
       
       Vor allem für die, die nicht organisiert sind, die über wenig
       Medienkompetenz verfügen, wirkt sich aus, dass das Werkzeug der
       Mundpropaganda eingeschränkt ist. Die Leute können nach dem Besuch einer
       Moschee oder einem anderen Treffen nicht einfach beieinanderstehen und sich
       austauschen. Die Kommunikation ist sehr eingegrenzt. Viele informieren sich
       über die muttersprachlichen Medien. Da gibt es auch gute Informationen über
       die Pandemie, aber dort findet man natürlich keine Informationen über die
       Entwicklungen und Regeln vor Ort, hier in Offenbach.
       
       Gibt es unter ihren Klienten besonders viele, die die Gefahren der Pandemie
       ignorieren? 
       
       Es gibt beides. Es gibt die, die Gefahren der Pandemie verleugnen, aber
       eben auch solche, die übervorsichtig sind. Ich kenne Leute, die dürfen ihre
       Enkel nicht mehr sehen, weil deren Eltern Angst haben; andere vermeiden den
       Kontakt zu Kindern und Enkeln, weil sie selbst Angst haben, sich
       anzustecken.
       
       In Offenbach ist die Inzidenz in letzter Zeit auf 153 gesunken. Hessenweit
       ist das aber noch immer ein Spitzenwert. Was muss passieren, damit die Zahl
       weitersinkt? 
       
       Die Stadt hat viel getan. Sie hat 35.000 Masken verteilt. Sie hat auch
       schon mal Infostände vor einer Moschee und Gemeindehäusern aufgebaut, mit
       einem mobilen Impfteam. Doch Offenbach ist hoch verschuldet, und die Mittel
       der Stadt sind begrenzt.
       
       Welche Probleme [1][gibt es beim Impfen]? 
       
       Ich finde die Impfpriorisierung problematisch. Sozial schlechter Gestellte
       fallen oft raus: Alleinerziehende, Familien mit vielen Kindern, mit
       Behinderten. Menschen, die erwerbsgemindert frühzeitig berentet sind. Das
       wirkt sich vor allem dort aus, wo viele Menschen in beengten Verhältnissen
       wohnen, zum Beispiel in Hochhaussiedlungen. Da müsste man vor Ort
       Informationsangebote machen und auch impfen. Egal wie kritisch oder
       unsicher Leute sind: Wenn die Nachbarn sich impfen lassen, könnte das
       Hemmschwellen überwinden helfen. Dass die Leute sich erst am Telefon wund
       wählen oder sich digital mit Formularen herumschlagen müssen, bremst die
       Impfkampagne, gerade in den sozial benachteiligten Vierteln.
       
       14 May 2021
       
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