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       # taz.de -- Sex, Gender und Religion: Explosiv und infektiös
       
       > Sexualität, Geschlecht und Glaube: eine Themenkombi mit Wumms, der sich
       > Berlins Unis forschend annähern – Publikumsbeteiligung erwünscht.
       
   IMG Bild: „Die Erschaffung Adams“: Deckenmalerei „in der Sixtinischen Kapelle im Vatikan in Rom
       
       Sinnlich und infektiös, reguliert und befreiend, exzessiv und voller
       Gewaltpotenzial. Sex ebenso wie auch Religion – schon diese Oberbegriffe
       sind ja schwierig – haben nichts an gesellschaftlichem Wumms verloren.
       Religiöse Systeme und Institutionen prägten und prägen nachhaltig
       Debatten, Geschlechterbilder und sexuelle Normen. Das gilt auch für das nur
       vermeintlich religiös unmusikalische Berlin.
       
       Religiös aufgeladene Männermacht begünstigte am katholischen
       Canisius-Kolleg, und nicht nur dort, sexualisierte Gewalt. Für manche
       säkulare Senator*innen und Feminist*innen endet die
       Selbstbestimmung von Kopftuch tragenden Lehrerinnen noch immer an der
       Schultür. Und was hilft ein vielfaltssensibler Biologieunterricht, wenn die
       Erziehungsberechtigten zu Hause von gottgegebener Zweigeschlechtlichkeit
       und Heterosexualität überzeugt sind?
       
       Aufklärung ist oft das Zauberwort, wenn es im ausfransenden, ambivalenten
       Feld von Geschlecht, Sexualität und Religion knirscht oder knallt. Es folgt
       auch einem politischen Wunsch nach Rationalisierung, wenn Berlin sich mehr
       und mehr zu einem wissenschaftlichen Hub für diesen Themenkomplex
       entwickelt.
       
       Die Forschenden nehmen ihren öffentlichen Auftrag und die damit gegebene
       Aufmerksamkeit gerne an. Dabei herrscht weitgehend Konsens unter den
       Religionsdeuter*innen, dass nicht nur die Religion, sondern auch die
       Aufklärung dialektisch ist. Selbstkritisches und multiperspektivisches
       Forschen und Lehren trägt dem an Berlins Universitäten Rechnung.
       
       Die Pandemie wiederum sorgt dafür, dass die Berliner*innen die
       Universität nicht einmal mehr betreten müssen, um von diesen akademischen
       Angeboten Gebrauch zu machen. Die an der Freien Universität geplante
       Veranstaltungsreihe „Religion, Geschlecht und Sexualität“ beispielsweise
       wurde zu einem Podcast umgestaltet und ist online frei verfügbar. Die
       Religionswissenschaftlerin Almut-Barbara Renger und der Anthropologe
       Christoph Wulf haben ein Programm zusammengestellt, dass Innen- wie
       Außenperspektiven verschiedener Weltanschauungen versammelt.
       
       Frauen in jüdischen, christlichen und muslimischen Leitungsfunktionen sind
       dabei Thema wie auch Geschlecht und Sexualität im Buddhismus. Auch mit der
       Geschlechtlichkeit in modernen paganen Gemeinschaften, die sich am antiken,
       keltischen, germanischen und slawischen Heidentum orientieren, setzt sich
       eine Folge auseinander. Der Beitrag des Literaturwissenschaftlers Andreas
       Kraß dreht sich wiederum um die religiösen Implikationen der Palästinareise
       des schwulen Berliner Sexualforschers Magnus Hirschfeld.
       
       Unter dem Titel „Religion* Macht Sex*. Geschlechterbilder in den
       Religionen“ befasst sich eine Onlineringvorlesung der Humboldt-Universität
       mit den „heißen Eisen“. Die Soziologin Lana Sirri und die Theologin Dina El
       Omari widmen sich am kommenden Mittwoch etwa den „Feminismen im Islam“.
       Weitere Veranstaltungen in der Reihe beschäftigen sich mit „Trans* und
       Buddhismen“, „Gender und Religionsunterricht“ oder dem Komplex „Natürliche
       Familie? Konservativer Aktivismus, Rechtspopulismus und
       Retraditionalisierung“.
       
       Diese Ringvorlesung ist die erste öffentliche Veranstaltung der AG „Gender
       in den Theologien“, die sich nach der Einrichtung eines
       islamisch-theologischen und eines katholisch-theologischen Instituts an der
       Humboldt-Universität im Herbst 2019 zusammengefunden hat und von der
       traditionsreichen evangelisch-theologischen Fakultät der HU koordiniert
       wird.
       
       Als die Humboldt-Universität noch Friedrich-Wilhelms-Universität hieß,
       lehrte dort der Religionsphilosoph und Priester Romano Guardini – bis sein
       Lehrstuhl wegen Unvereinbarkeit mit der nationalsozialistischen
       Weltanschauung aufgehoben wurde. In der Galerie der Guardini Stiftung am
       Askanischen Platz ist bis zum 29. Juni noch die Ausstellung „Berlin, Gott
       und die Welt“ zu sehen. Schüler*innen der Ostkreuzschule für Fotografie
       zeigen dort ihre fotografischen Recherchen zum Religiösen, auch im
       Verhältnis zu Sexualität und Körper.
       
       In den Arbeiten kommt die ästhetische, auch alltägliche Seite der Religion
       zum Tragen und erinnert daran, dass selbstkritische Aufklärung über
       Geschlecht und Sexualität in den Religionen nicht nur an den Universitäten,
       sondern auch im eigenen Wohnhaus, im Kiez, eben im Alltag möglich ist: in
       der Begegnung mit Menschen, mit gelebter Religion und Geschlechtlichkeit,
       mit angeeigneter oder abgestreifter oder vermischter Religion und
       Geschlechtlichkeit. Was kommt also? Wieder mehr Gelegenheiten zu
       selbstständiger Forschung.
       
       28 May 2021
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Hunglinger
       
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