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       # taz.de -- Klimaziele, aber Öl und Gas verkaufen: Big Oil setzt nicht auf grün
       
       > Investoren, Regierungen und Gerichte drängen die Ölmultis stärker
       > Richtung Umweltschutz. Aber viele wetten lieber auf ein Scheitern der
       > Klimapolitik.
       
   IMG Bild: Könnte ein Pink-Floyd-Album zieren: Industrie in Ontario, USA
       
       Berlin taz | 0,02 Prozent seines Aktienkapitals reichten aus, um einen der
       größten und mächtigsten Konzerne der Welt in Schwierigkeiten zu bringen.
       Bei der Aktionärsversammlung des US-Ölgiganten ExxonMobil setzte am
       Mittwoch vergangener Woche der kleine aktivistische Investmentfonds „Engine
       1“ zwei neue KandidatInnen im Vorstand der Firma durch, die wie keine
       andere für „Big Oil“ und eine miserable Umweltbilanz steht. [1][„Das ist
       ein Wendepunkt für die Öl- und Gasbranche“, jubelte Fred Krupp, Chef der
       Umweltorganisation Environmental Defense Fund (EDF).] Firmen wie ExxonMobil
       könnten nicht länger die Forderungen nach mehr Klimaschutz ignorieren.
       ExxonMobil-Vorstandschef Darren Woods, der die beiden Vorstände mit viel
       Aufwand verhindern wollte und daran scheiterte, sagte danach: „Wir haben
       die Aktionäre gehört und sind gut positioniert, darauf zu antworten.“
       
       Gregory Goff und Kaisa Hietala, die beiden neuen Vorstände, sind keine
       Öko-Freaks. Sie kommen aus der Raffineriebranche und sollen Woods und
       Kollegen klar machen: Die Klimakrise zu ignorieren und nur kosmetisch zu
       bekämpfen, wie es ExxonMobil seit Jahrzehnten tut, schädigt nicht nur die
       Umwelt, sondern auch die Profite der Aktionäre. „Der Klimawandel ist ein
       finanzielles Risiko und wir müssen sicherstellen, dass der Vorstand auch
       klimakompetent ist“, sagte Anne Simpson vom Pensionsfonds der
       kalifornischen Beamten. Denn der Coup von „Engine 1“ war nur möglich, weil
       die AktivistInnen die drei mächtigsten US-Pensionsfonds, zwei große
       Beraterfirmen und den Investmentriesen Blackrock überzeugt hatten.
       
       Die kleine Revolution bei ExxonMobil ist nur Teil eines größeren Bebens in
       der globalen Ölbranche. Druck kommt von allen Seiten: Eigentümer verlangen
       Kursänderungen, Investoren wollen Pläne für eine dekarbonisierte Zukunft
       sehen; Regierungen und Behörden mahnen ein Ende des Ölzeitalters an. Und
       Gerichte verdonnern die Konzerne zu konkreten Maßnahmen – so wie das
       Bezirksgericht in Den Haag ebenfalls am Mittwoch den niederländischen
       Ölmulti Royal Dutch Shell dazu verurteilte, [2][bis 2030 seine weltweiten
       CO2-Emissionen gegenüber 2019 um 45 Prozent zu reduzieren.] Aber ob „dieses
       Urteil die Welt verändern wird“, wie Roger Cox sagte, Anwalt des klagenden
       Umweltverbands Milieudefensie, ist unklar: Shell legte Rechtsmittel ein und
       wie wegweisend das Urteil ist, bleibt umstritten.
       
       Am gleichen Tag hatten auch noch die [3][Aktionäre des US-Ölmultis Chevron
       für eine Überraschung gesorgt.] Die Mehrheit stimmte dafür, dass der
       Konzern ebenfalls Pläne vorlegen soll, wie er die Treibhausgasemissionen
       aus allen seinen Produkten reduzieren will. Und eine Woche vorher schon
       hatte die Ölbranche aus Paris einen deutlichen Schuss vor den Bug bekommen:
       Die Internationale Energieagentur (IEA), [4][veröffentlichte den ersten
       Fahrplan zu „Netto Null“ bis 2050 für die weltweite Energiebranche.] Darin
       stehen klare Ansagen an die fossile Branche: Wenn das Klimaziel von 1,5
       Grad erreicht werden soll, dürfe es keine neuen Investitionen in Gas- und
       Ölfelder geben, Investoren werden davor gewarnt, ihr Geld in diese Branchen
       zu stecken.
       
       ## Lobbyarbeit pro domo
       
       Aber der Jubel von Umweltschützern über Erfolge bei Aktionärsversammlungen
       und vor Gericht verdeckt, dass die Ölbranche weit von einer grünen Zukunft
       entfernt ist. Und sich oft dagegen sträubt, wie [5][eine neue Untersuchung
       des Thinktanks Influence Map zeigt.] Demnach hat ExxonMobil verstärkt
       Lobbyarbeit gemacht, um seinen Kurs beizubehalten – etwa mit Projekten zur
       CO2-Speicherung (CCS), für die der Konzern umfangreiche Staatshilfen
       fordert. Der Konzern hat 60 Milliarden Dollar Schulden angehäuft und durch
       Fehlinvestitionen und die Coronakrise weitere Dutzende Milliarden verloren.
       Im letzten Jahr flog der 130-jährige Ölriese aus dem Dow-Jones-Aktienindex.
       Aber nachgeben will ExxonMobil nicht: Der Konzern sieht für weitere 20
       Jahre eine stabile Nachfrage nach Öl und Gas und [6][beruft sich dabei auf
       andere Zahlen der IEA.] Zu Recht. Denn die Behörde prognostiziert in einem
       „Weiter so“-Szenario kaum Änderungen bei der Öl- und Gasproduktion in der
       Zukunft. Das würde dann aber nicht zum 1,5-Grad-Klimaziel passen.
       ExxonMobil wettet also auf das Scheitern der Klimapolitik.
       
       Auch in der gesamten Ölbranche deutet wenig auf ein Umlenken hin. „Immer
       noch fließen 99 Prozent der Investitionen der Öl- und Gasindustrie in ihr
       Kerngeschäft“, sagt Timur Gül, Leiter der Abteilung
       Energietechnologiepolitik bei der IEA und einer der Autoren des „Net
       Zero“-Berichts auf taz-Anfrage. „Der Klimaschutz ist allerdings eine
       langfristige Herausforderung, der sich die gesamte Branche nicht entziehen
       kann.“ Das bedeute nicht nur Risiken, sondern auch Chancen, etwa bei der
       kommenden Wasserstoffindustrie oder der Speicherung von CO2 im Boden
       (CCS). Aber entscheidend sei, wie die Politik Anreize für den Abschied von
       Öl und Gas setze: Der Übergang zu E-Autos statt Verbrennern oder zum
       klimaneutralen Fliegen brauche klare Regeln und umfangreiche Subventionen.
       „Derzeit haben 6 Prozent der neuen Autos Elektromotoren, 2030 müssen das
       schon 60 Prozent sein. Da wird es zentral, wie ernsthaft die Politik die
       Dekarbonisierung vorantreibt.“
       
       Gerade die Öl- und Gasbranche empfange derzeit widersprüchliche Signale,
       sagt Kirsten Westphal, Energieexpertin der Stiftung Wissenschaft und
       Politik. In Europa und den USA und vor allem in Deutschland sei
       Klimaneutralität „Gesetz und damit gesetzt“, das bedeute langfristig das
       Aus für Öl und Gas. Das aber lasse weltweit möglicherweise die Preise
       sinken, wenn jetzt noch maximal gefördert werde. Auch komme aus Asien „ein
       Nachfragesog, vor allem auch nach Gas, um damit die Kohle zu ersetzen“. Die
       Firmen müssten „klarkommen mit dem Spagat zwischen dem, was hier politisch
       gewollt wird und was weltweit der Markt fordert“. Immerhin gehe es um den
       „Abschied von ihrem Kerngeschäft“ und um viele Arbeitsplätze und
       Wertschöpfung. „Wir bräuchten idealerweise einen gemeinsam verhandelten
       Ausstiegspfad, national und international.“
       
       ## Abhängig von Russland, China und Saudi-Arabien
       
       Für Westphal ergibt es wenig Sinn, wenn Shell wie jetzt diskutiert, nach
       dem Urteil aus Den Haag weite Teile seiner Produktion zu verkaufen, um die
       damit verbundenen Emissionen loszuwerden. Dann würden etwa die staatlichen
       Energiekonzerne Rosneft, Sinopec oder Saudi Aramco diese Infrastruktur
       übernehmen, ohne dass die Emissionen deutlich sänken. Bereits heute machen
       diese Staatskonzerne etwa die Hälfte des weltweiten Ölgeschäfts unter sich
       aus. „Und wir müssten uns Gedanken machen, ob wir dadurch stärker abhängig
       von Russland, China und Saudi-Arabien würden“, so Westphal.
       
       Wie langsam sich die Öl- und Gasfirmen bewegen, zeigt auch eine [7][neue
       Studie des britischen Thinktanks Carbon Tracker]. Acht von zehn großen
       privaten Ölkonzernen haben demnach zwar „Netto Null“-Ziele für Emissionen,
       aber versprechen nur, ihre Produktion effizienter zu machen – und
       übernehmen kaum Verantwortung für die Emissionen aus Öl, Gas und
       Chemieprodukten, die sie verkaufen. Nur der italienische Eni-Konzern legt
       sich fest, alle CO2-Emissionen, auch die seiner Kunden, bis 2050 auf Null
       zu bringen und verspricht Zwischenziele für 2030. Ganz unten auf der Liste:
       ExxonMobil, die sich nur verpflichten, ihre Produktion effizienter zu
       machen. Auf Gregory Goff und Kaisa Hietala, die neuen ExxonMobil-Vorstände,
       wartet noch eine Menge Überzeugungsarbeit.
       
       30 May 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.washingtonpost.com/climate-environment/2021/05/26/exxonmobil-rebel-shareholders-win-board-seats/
   DIR [2] /Bahnbrechendes-Urteil-in-Den-Haag/!5769975
   DIR [3] https://www.theguardian.com/business/2021/may/26/exxonmobil-and-chevron-braced-for-showdown-over-climate
   DIR [4] /Energieagentur-fuer-Aus-von-Kohle-und-Oel/!5772727
   DIR [5] https://influencemap.org/company/Exxon-Mobil/projectlink/Exxon-Mobil-In-Climate-Change
   DIR [6] https://www.iea.org/reports/world-energy-outlook-2020/outlook-for-fuel-supply
   DIR [7] https://carbontracker.org/reports/absolute-impact-2021/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Pötter
       
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