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       # taz.de -- Die Wahrheit: Am Riesenbusen des Lehrkörpers
       
       > Wie geht eigentlich aus aktuellem Anlass Präsenzunterricht an Schulen?
       > Sechs Lernmethoden. Eine Unterrichtsstunde.
       
       Jetzt spricht die Lehrerschaft! Am Pult! 
       
       Wie Anwesenheitsbeschulung tatsächlich funktioniert 
       
       und wie man sie der Schülerschaft vermitteln sollte. 
       
       ## Lernmethode 1: Alles Wissen im Voraus testen
       
       Babys, sagt man, sind klein. Sie schreien sich durch die Wand der
       Gebärmutter und werden dann unbarmherzig in die Welt gedrückt, wo sie noch
       Fruchtwasser in Nase und Ohr haben und sofort lernen müssen, wo der Schuh
       drückt und wie man auf Befehl Essen bekommt. Mathematik ist da natürlich
       erst mal nicht so das Thema. Da heißt es nur Speis und Trank, Mittagspause
       für immer, Schulmilch, Schulmilch und sonst nichts. Babys, sagt man, können
       für Jahre noch nicht zwischen Traum und Realität unterscheiden, alles ist
       ein Brei, alles sind Ströme aus Milch aus Riesenbusen und frickelige Hände,
       die einen immer so eilig umziehen.
       
       „Herr Hamann?“
       
       „Moment, Akmat, ich rede gerade …“
       
       Also, wo war ich? All das Geschrei, der Lärm, der Hunger, und am Ende kommt
       eh bloß ein weiterer blöder Erwachsener dabei heraus … Aber halt, ich
       verliere mich. Wichtig ist im weiteren Verlauf, was zwischen Kita und
       Freiheit kommt. Nämlich die Schule. Die Schule des Lebens. In der man fürs
       Leben nichts lernt. Sondern nur für die Schule. Ein Mobilé, ein Perpetuum.
       Dabei ist Schule, wie jeder weiß, doof. Steht überall an den Wänden. Was
       aber, wenn gar keine Schule mehr ist? Wegen Corona? Alles zu wegen ist
       nicht? Und Schule nur digital und über Teams oder Lernraum Berlin
       stattfindet und Mami und Papi plötzlich die Lehrenden sind? Ist Schule dann
       immer noch doof oder noch viel döfer? Oder schreibt man das jetzt mit zwei
       ö?
       
       „Herr Hamann, Herr Hamann, der Kevin hat …“
       
       „Ruhe jetzt mal!“
       
       ## Lernmethode 2: Clevere Notizen nach Cornell
       
       Also, wo war ich? Richtig, Babys können Traum und Realität nicht
       voneinander unterscheiden. Und Kinder und Jugendliche nicht mehr zwischen
       On- und Offline. Weil alle eh immer online sind, immer erreichbar, und nur
       noch Oberfläche! Alle sind wie Touchscreens, die – natürlich auf Abstand –
       zu befingern sind. Sind Emojis, die ohne Netz und Kabel nicht
       funktionieren. Sind Avatare ihrer selbst. Das Stichwort dazu lautet
       E-Schooling. Das bedeutet integrierte Videokonferenzlösung und
       unbegrenztes, multimediales Contentstreaming und keine dreckigen, kleinen
       Körper mehr, die riechen und laut sind und ständig in Bewegung. Nein, in
       dieser schönen neuen Welt sind sie alle schön fix an den Rechner
       geschraubt. Es gibt kein Entkommen.
       
       ## Lernmethode 3: Mindmap oder visuelle Darstellung
       
       In dieser schweren Zeit fällt es den Kindern und den Eltern sehr schwer,
       heißt es ja oft. Aus dem Gegenteil wird ein Schuh draus. Ach, mit Schuhen
       habe ich es auch heute. E-Learning aber bedeutet digitale Ruhe, himmlische
       digitale Ruhe, wie sie sich John Cage nicht besser herbeikomponieren
       konnte, und die wir jetzt wieder so sehr ersehnen. Aber: abschalten können
       Sie woanders, es wird gelernt, bis es heißt: „Hurra, hurra, der Laptop
       brennt!“ Und es gibt keine Müllhalden, die sich um die Schüler bilden. Aber
       auch keinen Hausmeister, der Milch oder Kakao verkauft, dafür ganze Viertel
       im Niedergang, weil niemand mehr in den Pausen alle Hasenbrote aufkauft und
       die Sammelbildchen auch.
       
       ## Lernmethode 4: Das Pareto-Prinzip oder 80 Prozent
       
       Doch nach all der glückseligen Zeit des Digitalen heißt es wieder:
       Präsenzunterricht! Stellt sich natürlich die Frage, was das überhaupt sein
       soll. Na, wer weiß es? Kevin? Akmat? Keiner? Na gut, man – oder besser:
       teachersplaine ich also selbst weiter: Präsenz ist etwas, das man hat oder
       nicht oder vielleicht auf der Schauspielschule lernt, aber die hat auch auf
       E-Schooling umgestellt. Und ist Präsenz nicht die Gegenwartsform, in der
       man die Tuwörter tut? Statt also entspannt online eine Aufgabe nach der
       anderen zu lösen wie Supermario im Spielrausch, heißt es wieder
       Morgenappell, Aufrufen, Fahne hoch, Anwesenheitspflicht.
       
       „Herr Hamann, ich habe da mal ne Frage!“
       
       „Ja?“
       
       „Warum kann man sich an Wasser nicht festhalten?“
       
       „Und was hat das bitteschön mit dem zu tun, was wir hier gerade
       durchmachen?“
       
       ## Lernmethode 5: Lernroutine oder Echtes Wissen
       
       Der Unterschied zwischen Präsenzunterricht und elektronischem Lernen sei
       der wie zwischen Autokino und Netflix. Das sagt eine, die es heutzutage
       wissen muss. Eine andere, die es auch wissen muss, sagt was anderes. Eine
       dritte jedoch sagt es so, wie es ist: Im Präsenzunterricht lässt sich
       Gemeinschaft vorleben und soziales Interagieren lernen. Ärsche können in
       echt getreten, Fantaflaschen können voll in echt zur Explosion gebracht
       werden, all das wahre Wissen, das man für später braucht, lässt sich hier
       bestens antrainieren. Und es gibt so gar keine Ausreden mehr wie „Muss erst
       mit dem Hund Gassi“, wenn es heißt: Bitte löst die Aufgaben 6 bis 14 auf
       Seite 33.
       
       ## Lernmethode 6: Die 1-2-oder-3-Methode
       
       Die Frage ist: Was schadet den Kindern mehr? Lässt sich die Bildungsschere
       noch lange vor den Kindern verstecken, oder ist auch hier angesagt, Feuer
       mit Licht zu bekämpfen? Ist Microlearning das neue Ding, also möglichst
       kleinteiliges Lernen, wo man erst lernt, wie man den Füller aufschraubt und
       erst dann, wie man mit den Kügelchen Tore schießt? Und wo ist die
       Stummtaste im Echtleben? Wieso lässt sich der farbliche Hintergrund nicht
       ändern? Wieso hängen hier keine Buchstaben in der Luft, wie soll man da
       chatten?
       
       All das sind offene Fragen, die man in aller Schnelle zwischen den
       Schulferien mit den Eltern und ihrem Beirat lösen muss. Wie sangen unsere
       Eltern damals im Schulchor? „We don't need no education. We don't need no
       thought control.“ Wie falsch sie doch lagen! Wir haben doch eher … oh, die
       Klingel!
       
       1 Jun 2021
       
       ## AUTOREN
       
   DIR René Hamann
       
       ## TAGS
       
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