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       # taz.de -- Sexarbeiter*innen in Hamburg: Die Vergessenen
       
       > In drei Bundesländern können Prostituierte bereits wieder ihrem Gewerbe
       > nachgehen. In Hamburg gibt es noch keine Öffnungsperspektive.
       
   IMG Bild: Immer noch im Lockdown: Die Herbertstraße auf St. Pauli, hier im April 2020
       
       Hamburg taz | Während Sexarbeiter*innen in Sachsen-Anhalt,
       Nordrhein-Westfalen und seit diesem Montag auch in Schleswig-Holstein unter
       Auflagen wieder ihrer Arbeit nachgehen dürfen, warten ihre Kolleg*innen
       in Hamburg weiter auf eine Öffnungsperspektive. Der „Sexy Aufstand
       Reeperbahn“, ein Zusammenschluss von Prostituierten auf St. Pauli, forderte
       am Montag die sofortige Öffnung für sein Gewerbe. Die
       Sexarbeiter*innen kritisieren in einer Pressemitteilung, dass es
       „weder Perspektive noch einen Plan seitens der Regierung“ für die Öffnung
       in Hamburg gebe.
       
       Beim Corona-Briefing des Senats am Dienstag gab es von Bürgermeister Peter
       Tschentscher (SPD) keine Angaben zur Sexarbeit. Andere körpernahe
       Dienstleistungen – über Friseure und Fußpflege hinaus – waren bereits im
       zweiten der aktuell vier geplanten Öffnungsschritte am 22. Mai eingeplant.
       
       Auf die Frage, ob die Sexarbeit im nächsten geplanten Öffnungsschritt zum
       10. Juni dabei sein wird, kann die Sozialbehörde auf taz-Anfrage keine
       konkrete Auskunft geben. „Die weiteren Schritte werden je nach Entwicklung
       der epidemiologischen Lage vorgenommen“, sagt Behördensprecher Martin
       Helfrich.
       
       „Auflagen sind sinnvoll, die Pandemie muss eingedämmt werden. Aber es geht
       nicht, dass wir nicht mitbedacht werden“, sagt Undine de Rivière, die seit
       2000 freiberuflich als Sexarbeiterin in Hamburg arbeitet und auch im
       deutschen Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V. (BesD)
       und beim Runden Tisch Prostitution in Hamburg aktiv ist. Sie versteht
       nicht, dass Sexarbeit nicht mit anderen körpernahen Dienstleistungen
       gleichgestellt wird: „Covid ist ja keine sexuell übertragbare Krankheit, es
       geht darum, wie nah sich Menschen kommen und wie die Rahmenbedingungen
       sind.“
       
       Die Sexarbeiter*innen vom „Sexy Aufstand Reeperbahn“ sehen zudem ein
       „wachsendes Risiko, dass die Frauen, die sich an das Arbeitsverbot halten,
       durch die entstehende finanzielle Notlage in prekäre Abhängigkeit geraten
       können“, wie es in der Pressemitteilung heißt. Seit Beginn der Pandemie
       laufe illegale Prostitution ohne Hygienekonzepte und Kontaktdatenerfassung
       „unkontrolliert weiter, wodurch sich Sexarbeiter*innen und Gäste in
       große Gefahr begeben“.
       
       „Illegale Sexarbeit findet statt, das muss man klar sagen“, sagt auch
       Sexarbeiterin de Rivière. „Zum Beispiel auf St. Georg, wo
       Straßenprostitution eigentlich nicht gestattet ist. Zu einem möglichen
       Bußgeld für Verstöße gegen die Sperrbezirksverordnung kann nun eben noch
       eins für Verstöße gegen die Coronaverordnung kommen. Das trifft natürlich
       diejenigen am härtesten, die sowieso schon prekär arbeiten. Weil viele
       einfach keine Möglichkeit haben, etwas anderes zu machen.“ Das liege auch
       an der Stigmatisierung des Berufes, auf die auch der heute stattfindende
       „Internationale Hurentag“ aufmerksam machen soll.
       
       Während Sexarbeiterin de Rivière schon länger online arbeitet, etwa mit
       erotischer Hypnose, sei dies für andere keine Option: „Kolleg*innen, die in
       der Pandemie von Sexarbeit eins zu eins auf Onlinesexarbeit wechseln, sind
       einem wesentlich größeren Outing-Risiko ausgesetzt. Gerade, wenn man für
       Cam-Portale arbeitet, muss man damit rechnen, dass Mitschnitte davon auf
       Pornoseiten landen und eine Weile verfügbar sind“, sagt sie.
       
       Die Polizei führt keine Statistik zu illegaler Prostitution während des
       Lockdowns. Die zuständige Fachdienststelle habe aber keinen signifikanten
       Anstieg wahrgenommen, teilt ein Polizeisprecher auf taz-Anfrage mit.
       
       Für von Obdachlosigkeit bedrohte Sexarbeiter*innen hat die Stadt eine
       eigene Unterkunft angemietet, in der momentan 66 von 68 verfügbaren Plätzen
       genutzt werden. Die Unterkunft soll zunächst bis Ende Juli betrieben
       werden, so Sozialbehördensprecher Helfrich.
       
       Sexarbeiterin de Rivière appelliert an Hamburger*innen, sich weiter an die
       Corona-Auflagen zu halten: „Es gibt Menschen wie uns, die beruflich davon
       abhängig sind, dass die Inzidenzen noch weiter runtergehen und sich nicht
       nur auf dem aktuellen Level einpendeln“, sagt sie. „Ich hoffe, dass wir bei
       den nächsten Lockerungen nicht wieder vergessen werden.“
       
       2 Jun 2021
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kaja Weber
       
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