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       # taz.de -- Eurovision Song Contest und Klimakrise: Das eurovisionäre Klima
       
       > Für eine sanfte Öko-Message ist in den Liedern des Eurovision Song
       > Contest Platz. Allzu politisch dürfen sie dabei aber nicht ausfallen.
       
   IMG Bild: Ein Kleid, blau wie der blaue Planet: Katja Ebstein bei einem Fernsehauftritt in den 70ern
       
       Berlin taz | Schlager stehen selten an der Spitze gesellschaftlicher
       Entwicklungen. Trotzdem hat ausgerechnet der Eurovision Song Contest die
       Klimabewegung Fridays for Future vorhergesungen. „Ich ziehe in die Welt, um
       den Planeten zu retten, und komme nicht zurück, bis er gerettet ist“,
       zwitscherte der finnische Sänger Paradise Oskar ins Deutsche übersetzt auf
       dem Wettbewerb von 2011 in seinem Lied „Da Da Dam“.
       
       „Ich werde den König und das Parlament ersuchen; wenn die nicht helfen,
       mache ich es allein.“ Es klingt wie die Geschichte der Klimaaktivistin
       Greta Thunberg. Paradise Oskars Protagonist heißt aber Peter, erfährt mit
       neun Jahren in der Schule von einem drohenden Planetensterben und will das
       daraufhin verhindern – es hört aber niemand zu.
       
       Politisch [1][dürfen Lieder beim Eurovision Song Contest eigentlich nicht
       sein]. Das gilt auch diese Woche, wenn der Wettbewerb nach der
       coronabedingten Pause im vergangenen Jahr zum 65. Mal stattfindet, diesmal
       im niederländischen Rotterdam mit vergleichsweise wenigen 3.500
       Zuschauer:innen. Appelle zum Klima- und Umweltschutz gibt es unter den
       Beiträgen aber immer wieder. Sie gehen in ihrer Sanftheit vielleicht durch,
       stellen die Ökokrise oft als Konflikt zwischen Mensch und Erde dar, nicht
       etwa zwischen reichen und armen, mehr oder weniger verantwortlichen,
       stärker und schwächer betroffenen Menschen. Oder anders gesagt: eben als
       unpolitisches Thema.
       
       Noch am schärfsten hat es gleich Katja Ebstein im Jahr 1971 in ihrem Lied
       „Diese Welt“ ausgedrückt. „Rauch aus tausend Schloten senkt sich über Stadt
       und Land. Wo noch gestern Kinder war’n, bedeckt heut Öl den Strand“, sang
       die Eurovision-Öko-Pionierin und klagte die Wirtschaft für ihre
       Umweltverschmutzung an, wenn auch noch nicht unbedingt für die
       Erderhitzung. In ihre Fußstapfen traten zum Beispiel die Norwegerin
       Karoline Krüger mit ihrem Lied „For vår jord“ (zu Deutsch „Für unsere
       Erde“) von 1988 und die Ukrainerin Alyosha, die im Lena-Jahr 2010 in ihrem
       Titel „Sweet People“ fragte, was die Menschheit da angerichtet habe.
       
       ## Die Musikindustrie wacht nur langsam auf
       
       Dieses Jahr hat sich der Eurovision Song Contest mit dem WWF sogar einen
       Umweltverband als Kooperationspartner gesucht. Die Zusammenarbeit
       beschränkt sich allerdings auf eine Onlinepetition mit dem Titel „Voice for
       the Planet“. Ob auch praktische Schritte für den Klimaschutz unternommen
       werden, ließ der Veranstalter auf Anfrage offen. Wie solche Schritte
       aussehen könnten? Da wäre zum Beispiel der Bezug von Ökostrom, vermehrt
       pflanzliches Essen, Müllvermeidung und die Bewerbung klimafreundlicher
       Verkehrsmittel. Wenn das alles erledigt ist, kann man auch noch über eine
       CO2-Kompensation nachdenken.
       
       Die Musikindustrie wacht nur langsam auf, was ihre eigene Verantwortung für
       die Klimakrise angeht – trotz Vorreiter:innen wie der Organisation
       Reverb, die Musiker:innen zum ökologischen Touren berät. Umfassende
       Berechnungen zum CO2-Fußabdruck der Branche sind rar. Auf das Konto der
       britischen Musikindustrie würden zum Beispiel jährlich 540.000 Tonnen CO2
       gehen, haben Wissenschaftler:innen vor einem Jahrzehnt ermittelt,
       nicht ganz 0,1 Prozent der damaligen britischen Treibhausgasemissionen. Gut
       ein Viertel davon entfällt der Studie nach auf Produktion und Vertrieb von
       Musik. Der große Rest, also ungefähr drei Viertel entstehen demnach durch
       das Livegeschäft, also Konzerte und Veranstaltungen – wie den Eurovision
       Song Contest.
       
       [2][Die britische Band Coldplay hat 2019 bekanntgegeben], deshalb auf eine
       Tour für ihr bislang letztes Album zu verzichten. Aber das kann sich nicht
       jede:r leisten. Musiker:innen verdienen kaum noch am Verkauf von
       Tonträgern, sondern vor allem durch Liveauftritte. Veranstaltungen sind für
       die Branche wichtiger denn je. Vom kulturellen Wert des gemeinsamen
       Lauschens, Mitsingens, Tanzens mal ganz abgesehen.
       
       16 May 2021
       
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