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       # taz.de -- Vertrauensfrage in Tschechien: Ein verlorenes Unterfangen
       
       > Tschechiens Premier und Oligarch Andrej Babiš übersteht ein
       > Misstrauensvotum. Schon jetzt ist klar, was das für den anstehenden
       > Wahlkampf heißt.
       
   IMG Bild: Keine Mehrheit gegen ihn: Ministerpräsident Babiš im Prager Parlament an Donnerstag
       
       Prag taz | Noch bevor im Abgeordnetenhaus das Vertrauensabstimmung
       gegenüber der Regierung von Andrej Babiš überhaupt eröffnet wurde, war man
       am Donnerstag in den Foyers und Gängen des barocken Palais Thun im Prager
       Zentrum zu einem anderen Problem übergegangen: Klappt es mit der Abstimmung
       noch rechtzeitig vor dem eigentlichen Ereignis des Tages, dem Viertelfinale
       gegen Finnland bei der Eishockey-WM?
       
       Denn ein verlorenes Unterfangen war das Votum von Anfang an. Nur 89
       Abgeordnete sprachen der Regierung das Misstrauen aus, 101 hätte es
       gebraucht. Sie warfen Babiš vor allem [1][Versagen bei der
       Coronabekämpfung] vor. Doch Präsident Miloš Zeman hatte ohnehin im Vorfeld
       erklärt, Babiš bis zu den Abgeordnetenhauswahlen im Oktober so
       weitermachen zu lassen.
       
       Auch die Abgeordneten der Kommunistischen Partei Böhmens und Mährens (KSČM)
       hatten einen Rückzieher gemacht und bei dem Votum die Regierung
       unterstützt. Dabei waren sie es, die die Opposition dazu inspiriert hatten,
       die Vertrauensfrage überhaupt zu stellen. Mitte April hatte Parteichef
       Vojtěch Filip den informellen Toleranzpakt mit der Babiš-Regierung
       öffentlich aufgekündigt. Vor vier Jahren hatten die Kommunisten die
       Minderheitsregierung mit den Sozialdemokraten überhaupt erst möglich
       gemacht.
       
       „Die Kommunisten haben faktisch einen Handelsvertrag mit Babiš geschlossen,
       der für beide Seiten vorteilhaft ist“, kommentierte Radek Bartoniček vom
       regierungskritischen Nachrichtenportal seznam.cz.
       
       ## Skandal ums „Storchennest“
       
       Die Prognosen für die Wahlen in vier Monaten sind für Babiš, seine Bewegung
       ANO, aber auch für die Sozialdemokraten nicht rosig. Skandale
       überschatteten die Legislaturperiode: Für seine Luxusresidenz samt
       Streichelzoo im Prager Speckgürtel, das [2][sogenannte Storchennest], soll
       der Oligarch und reichste Mann des Landes Babiš vor Jahren 2 Millionen Euro
       an Fördermitteln erschlichen haben.
       
       Ob der Fall je vor Gericht kommt, bleibt unklar. Vor kurzem ist der
       bearbeitende Staatsanwalt zurückgetreten. Dafür aber erhält Babiš
       regelmäßigen Tadel aus dem EU-Parlament und der Vorsitzenden seines
       Haushaltsausschusses, Monika Hohlmeier.
       
       Schon jetzt ist sicher, dass es beim Wahlkampf erneut um die Person Babiš
       gehen wird, nicht um politische Inhalte. Zwar tut sich die Opposition in
       Bündnissen zusammen und bringt sich in Stellung. Doch das Bündnis Spolu aus
       TOP 09, der Bürgerpartei ODS und den Christdemokraten, erlitt einen herben
       Rückschlag, nachdem [3][Vorwürfe sexuellen Missbrauchs gegen den Jungstar]
       der TOP 09, Dominik Feri, öffentlich wurden.
       
       Die Frage, warum die Opposition so kurz vor den Wahlen ein aussichtsloses
       Misstrauensvotum stellt, wurde im Abgeordnetenhaus am Donnerstag bis in die
       späten Abendstunden diskutiert. Tschechien hatte im Eishockey-Viertelfinale
       schon längst gegen Finnland verloren.
       
       4 Jun 2021
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Alexandra Mostyn
       
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