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       # taz.de -- Freie Schule in Hamburg beantragt: Eine Schule fürs Querdenken
       
       > Ein Verein aus dem Milieu der Coronaleugner:innen will eine Freie
       > Schule gründen. Der Antrag liegt vor, das Konzept lässt sich erahnen.
       
   IMG Bild: An der „Momentum Solaris“-Schule würde ein Schüler allenfalls ohne Maske das Coronavirus zeichnen
       
       Hamburg taz | Zwei Fragen bewegen die Nutzerin Yara in der Gruppe
       „Unterstützer MS-FHS“ im Messenger Telegram besonders: „Wird die Schule
       ‚maskenfrei und covidtestfrei‘ sein?“ Die Antworten, die sie in der Gruppe
       auf ihre Fragen bekommt, dürften sie beruhigen: „ja und ja“.
       
       Im Vergleich zu anderen Kanälen aus dem Milieu von Querdenker:innen und
       Coronaleugner:innen hat diese Gruppe zwar noch wenige Mitglieder, 44
       sind es aber immerhin bereits. Und das Projekt, um das es geht, die
       Gründung einer freien Schule in Hamburg, ist bereits weit gediehen: Der
       Trägerverein ist im Vereinsregister eingetragen, die Gemeinnützigkeit ist
       vom Finanzamt anerkannt worden und der Antrag für das Genehmigungsverfahren
       zur Gründung einer Schule in freier Trägerschaft liegt der Schulbehörde
       vor.
       
       Gegründet wurde die Telegram-Gruppe Ende Dezember vergangenen Jahres vom
       Manager Timo Oyang, der auch einer der aktivsten Akteure der Gruppe ist. Am
       6. Januar dieses Jahres verkündete Oyang, dass es ein
       „Jahresauftakttreffen“ gegeben habe, und worum es geht: „Wir haben es satt,
       wie das Schulsystem und die Maßnahmen sind“, schreibt er. Und weiter: „Wir
       stellen gerade das Konzept fertig und gründen einen Verein.“
       
       Viel Sorge um die Kinder wabert durch den Telegramkanal. Der
       „Pandemie-Wahnsinn“ lege „grundsätzliche Probleme des Schulsystems offen“,
       wird da Anfang Mai ein Video aus der Reihe „Herzdenken“ zum Thema „Schule
       zwischen Trauma und Heilung“ beworben: „nach 1 Jahr Maßnahmen und
       Ausnahmezustand“ bestehe ein „Dilemma (…) zwischen Kindeswohl-Auftrag und
       Sicherheits-Prämisse“. Nicht minder groß scheint unter Gruppen-Mitgliedern
       die Angst vor einer Impfung der Kinder zu sein.
       
       ## Mit „Querdenken“ verbandelt
       
       Am 21. Januar verkündet Oyang in der Gruppe: „Schulverein haben wir heute
       beim Notar gegründet. Der Verein heißt NeoTopia e.V.“ Das klingt
       unverfänglich, ebenso wie die Satzung: Der „Zweck des Vereins ist die
       Förderung der Erziehung und der Bildung“, heißt es da, verwirklicht werden
       soll er „insbesondere (…) durch die Errichtung und den Betrieb einer
       alternativen, freien demokratischen oder weiterer Schulen in freier
       Trägerschaft“.
       
       Als mögliche Standorte werden in der Gruppe die Stadtteile Rahlstedt und
       Wandsbek diskutiert. Aber es geht offenbar nicht nur um eine Schule in
       Hamburg, sondern auch um Folgeprojekte. Interessierte in anderen Städten
       sollen zusammengebracht und unterstützt werden. Nach Angaben der
       „Unterstützer MS-FHS“ bestehe längst ein Netzwerk von „ca. 200 Eltern“.
       
       Als „einer der 8 Gründer“ der Gruppe stellt sich im Kanal auch der
       Wirtschaftsdozent Daniel Re vor, der sich selbst als „Honorardozent an der
       FH Hamburg/Wirtschaftswissenschaftlichen (sic!) Fakultät“ vorstellt. Re
       gibt als Honorardozent auch Kurse im Bildungsangebot „HKBiS“ der Hamburger
       Handelskammer – und ist eng mit der [1][Initiatorin der Hamburger Gruppe
       „Querdenken 40“, Selina Fullert,] verbunden.
       
       Anfang Mai zog sich Fullert als „Chefin“ offiziell zurück – kurz zuvor
       hatte der Hamburger Verfassungsschutz erklärt, [2][„Querdenken 40“ und
       „Hamburg steht auf“ als „Verdachtsfälle“ zu beobachten]. Teile der Szene
       würden den demokratischen Staat, seine Repräsentant:innen sowie
       Institutionen ablehnen, sagte Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) und
       warnte von einen „neuen verschwörungsideologischen und staatsgefährdenden
       Extremismus“. Vor allem die Organisator:innen würden sich zunehmend
       radikalisieren.
       
       Der Telegramkanal von Fullert selbst könnte ein Indiz für diesen Prozess
       sein. Fullert, die sich als „Freidenkerin und Mutter“ beschreibt, beklagt
       weiterhin „die Zensur“, wirbt für Autokorsos und Spaziergänge für die
       „Grundrechte“ und verbreitet einen Musikclip des hessischen
       Querdenker-Rappers SchwrzVyce mit der ironischen Botschaft: „Von
       Verbrechern regiert“.
       
       Welche Orientierung die geplante Schule haben soll, lässt sich auch aus den
       pädagogischen Konzepten erahnen, auf die in der Gruppe Bezug genommen wird.
       Dabei wird deutlich, dass die Gründung einer freien Schulen offenbar schon
       viel länger – und lange vor Corona – diskutiert wurde. Im „Auszug“ aus dem
       Konzept, der in der Gruppe geteilt wurde, steht: „Stand: 31. 07. 2018“.
       Auch der Name der geplanten Schule, „Momentum Solaris“, wird dort schon
       angeben – das könnte erklären, warum der Prozess der Schulgründung schon so
       weit gediehen ist.
       
       ## Bezug auf Antisemiten
       
       Das pädagogische Konzept für „Momentum Solaris“ orientiert sich am
       Bundesverband der Freien Alternativschulen (BFAS) und dessen „Wuppertaler
       Thesen“, die die Interessen der Kinder, die Kooperation mit den Lehrkräften
       sowie flexible Lernformen und emanzipatorische Lernprozesse betonen.
       
       Ein weiterer pädagogischer Bezugspunkt ist der österreichische Zauberer und
       Gedächtniskünstler Ricardo Leppe. Leppe leitet den Verein „WissenSchafft
       Freiheit – Vereinigung zur Stärkung, Aufklärung und Verbreitung von Wissen
       und Bildung“, der vermeintlich „alternative Lerntechniken“ und
       „Lernmethoden für Kinder“ entwickelt hat.
       
       Auf dessen Webseite werden auch Ernährungs- und Gesundheitsempfehlungen
       gegeben. Ein kurzes Video zum Thema „Grippe“ beginnt Leppe mit der Warnung,
       wer keine Verschwörungstheorien hören oder „rechten Extremisten“ zuhören
       wolle, solle abschalten, denn jetzt käme „ganz böses Zeug“.
       
       Auf der Webseite empfiehlt Leppe ausführlich die „germanische Heilkunde von
       Dr. med. Reyke Geerd Hamer“. Der 2017 verstorbene Arzt, dem 1986 die
       Approbation entzogen wurde, behauptete, dass Erkrankte nur ihren „inneren
       Konflikt lösen“ müssten, um die jeweilige Krankheit zu überwinden – so
       kämen sie ohne medizinische Behandlung aus.
       
       Dass seine Habilitationsschrift und Lehre nicht angenommen wurden, führte
       Hamer auf den Einfluss „jüdischer Logen“ zurück, die eine „beispiellose
       Erkenntnisunterdrückungskampagne“ durchführten. Die „dumme alte
       Schulmedizin“ sei „eigentlich eine jüdische Medizin“.
       
       Noch in diesem Sommer wollen die „Unterstützer MS-FHS“ starten. Seit dem 1.
       Februar liege der Schulbehörde der Antrag für das Genehmigungsverfahren
       vor, heißt es im Telegramkanal. Die Schulbehörde sah sich nicht in der
       Lage, der taz bis Freitagnachmittag zum Trägerverein und zur geplanten
       Schule Auskunft zu geben.
       
       7 Jun 2021
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Speit
       
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