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       # taz.de -- Trockenheit macht Teichen zu schaffen: Chaos in Tümpeltown
       
       > Den Berliner Amphibien geht es schlecht: Frösche, Molche und Kröten
       > sterben aus. Die Tümpel, in denen sie leben, werden zu wenig gepflegt.
       
   IMG Bild: Das Quaken des Teichfroschs hört man in Berlin immer seltener
       
       Berlin taz | Was zunächst wie junge, noch unter Wasser wachsende
       Seerosenblätter aussieht, macht beim näheren Hinsehen Luftblasen, bewegt
       sich und schimmert in der Nachmittagssonne verdächtig orange: es sind
       Goldfische. Sicher mehrere hundert.
       
       Norbert Prauser ist enttäuscht. Zunächst hat er den Roetepfuhl in Britz als
       eines der wenigen gut erhaltenen Gewässer in Neukölln gelobt – genügend
       Wasser, das zum Ufer hin abflacht und Schilf sei da –, nicht zu viel und
       nicht zu wenig. Aber ihn irritiert sofort die Geräuschkulisse. Nichts zu
       hören außer zwitschernde Vögel, und um die geht es ihm nicht. Das Quaken
       fehlt, das an einem so sonnigen, warmen Nachmittag eigentlich zu hören sein
       müsste.
       
       Aber „die kleinen grünen Tierchen“, wie Prauser Frösche nennt, können nicht
       mit Goldfischen in einem Teich leben: die Fische fressen Frosch- und
       Krötenlaich.
       
       Dass der Berliner Amphibienbestand durch von Menschen ausgesetzte
       Zierfische bedroht wird, ist einer der Gründe für den Rückgang der Arten,
       häufiger sind allerdings andere. Norbert Prauser, Mitarbeiter beim BUND in
       Berlin, hat sie in einem Report über den Zustand von 237 Kleingewässern in
       Reinickendorf, Neukölln, Marzahn-Hellersdorf und Tempelhof-Schöneberg
       erarbeitet und festgestellt, dass Chaos herrscht, was Berlins Tümpel
       angeht.
       
       Mehr als die Hälfte der unter einen Hektar kleinen Gewässer liegt komplett
       trocken, hat nur noch einen kleinen Rest Wasser, ist durch Schilf
       zugewachsen, verschlammt oder verlandet. Dass der wenige Regen der letzten
       Jahre Hauptgrund für den schlechten Zustand der Gewässer sei, hält Prauser
       für eine Ausrede.
       
       Stehende Tümpel, Teiche und Pfuhle müssten regelmäßig gepflegt werden:
       Schilf beschneiden, Fischbestand kontrollieren und vor allem alle 20 bis 30
       Jahre den Teich entschlammen. Die Bezirke kämen ihrer Pflicht nur in
       Einzelfällen nach. Zum Beispiel würden hier und da Teiche wieder als
       Ausgleich für den Bau einer Wohnsiedlung hergestellt, erklärt Prauser.
       Außerdem, so vermutet er, würden viele Teiche in öffentlichen Parkanlagen
       künstlich mit Wasser gefüllt, das sei aber nicht nachhaltig.
       
       ## Der Lebensraum schwindet
       
       Die Gewässer sind nicht nur für Spaziergänger wichtig, sondern bieten Raum
       für Berlins Amphibien. Und den Fröschen, Kröten und Molchen in Berlin geht
       es schlecht. Von 13 Arten, die einst hier lebten, sind laut einer Studie
       der Technischen Universität von 2017 zwei sicher ausgestorben und zwei
       weitere vom Aussterben bedroht, sechs weitere sind ebenfalls gefährdet.
       Allein die Erdkröte, Teichfrosch und Teichmolch kommen noch sehr häufig
       vor. Allerdings gibt es von ihnen immer weniger Tiere, weil ihr Lebensraum
       kleiner wird.
       
       Chaos herrscht nicht nur bei den Tümpeln selbst, sondern auch in den
       Bezirksverwaltungen, wenn es um ihre Pflege geht. Laut BUND-Report tauchen
       fast ein Drittel der Gewässer auf den Karten der Bezirke nicht auf, dafür
       würden aber solche noch als Gewässer eingezeichnet, die schon lange keine
       mehr sind. Auch die Finanzierung ist von Bezirk zu Bezirk undurchsichtig
       geregelt. Friedrichshain-Kreuzberg und Tempelhof-Schöneberg zum Beispiel
       geben an, keine Finanzen für die Pflege von Kleingewässern bereitzustellen,
       während es in Lichtenberg 80.000 Euro und in Marzahn-Hellersdorf 1.000 Euro
       sind.
       
       Natürlich wissen die Bezirke um die Probleme, aber so einfach, wie der
       BUND-Report die Sache darstellt, sei die Sache ihrer Ansicht nach nicht.
       Für manche Gewässer sei der Senat in der Pflicht, bei anderen die
       Umweltämter der Bezirke, das Grünflächenamt oder der Flächeneigentümer
       selbst. In Neukölln ist das Umweltamt zwar für den Artenschutz, für die
       Pflege der Gewässer aber das Grünflächenamt verantwortlich. Ein Problem der
       Zuständigkeiten also. Zu wenig Geld und Fachkräftemangel, heißt es aus den
       Umweltämtern von Neukölln und Marzahn-Hellersdorf, seien außerdem mit dafür
       verantwortlich, dass ein Teil der Gewässer im prekären Zustand sei.
       
       Hauptproblem sei aber der Wassermangel. Dass der Grundwasserpegel in Berlin
       niedrig steht, liegt nicht nur daran, dass es in den letzten Jahren wenig
       Regen gab, sondern dass das Regenwasser, das auf Berlins Dächer fällt, über
       Regenrinnen direkt in die Kanalisation geleitet wird, anstatt in den Boden
       oder anliegende Gewässer. So geht Berliner Pflanzen und Gewässern viel
       Wasser verloren, das eigentlich da wäre.
       
       An einer Umrüstung des Regenwassersystems arbeiten die Bezirke eigenen
       Angaben zufolge. Bei neu zu bauenden Siedlungen sei es einfacher, neue
       Regenwassersysteme mit einzuplanen, als bei bestehenden, so Bernward
       Eberenz, Umweltstadtrat (CDU) von Neukölln. Bei bestehenden Siedlungen
       müsste der Eigentümer die Kosten für eine Umrüstung nämlich selbst
       übernehmen.
       
       Nadja Zivkovic, Stadträtin für Wirtschaft,Straßen und Grünflächen (CDU) in
       Marzahn-Hellersdorf, gibt zu, dass es schwierig sei, Regenwasser neu zu
       regulieren. Wiederum ein Problem der verschiedenen Akteure, denn auch hier
       sind Senat, Bezirke, Eigentümer und Wasserwerke gefragt zusammenzuarbeiten.
       
       ## Es gibt auch gute Nachrichten
       
       Gute Nachrichten gibt es seitens der Bezirke trotzdem. So gibt es in
       Neukölln mittlerweile ein Kartierungsprojekt, dass alle Gewässer des
       Bezirks mit Drohnen überfliegt und schließlich in 3D erfasst. Stadtrat
       Eberenz räumt zwar ein, nicht alle Kleingewässer vor der vollständigen
       Verlandung retten zu können, aber bei vielen könne der Zustand zumindest
       noch verbessert werden.
       
       Er wisse zum Beispiel, dass im Roetepfuhl Goldfische leben. Mitarbeiter
       des Bezirks hätten bereits im letzten Jahr versucht, die meisten
       abzufischen. Dass es jetzt wieder mehrere hundert sind, schiebt er auf die
       Anwohner, die den Anblick entweder genießen oder die überschüssigen Tiere
       aus dem eigenen Teich loswerden möchten.
       
       Nicht nur Goldfische, sondern auch der amerikanische Sumpfkrebs stelle ein
       großes Problem für die Amphibien dar und wird an vielen Gewässern, so zum
       Beispiel auch in den Teichen des Britzer Gartens, abgefischt. Anstatt die
       gefangenen Exemplare wie bisher zu schreddern, würden sie diese
       mittlerweile an ein Berliner Restaurant abgeben, das sie auf seine
       Speisekarte setzt. Das Projekt „Blaue Perlen für Berlin“ plant, mehrere
       Gewässer der Stadt aufzuwerten und zu renaturieren. Einige davon in
       Marzahn-Hellersdorf, wo laut BUND-Report auch die meisten Gewässer in
       schlechtem Zustand anzutreffen waren.
       
       ## Rotbauchunke und Kreuzkröte sind fast verschwunden
       
       Ob die Vorhaben allerdings erfolgreich und weitreichend genug umgesetzt
       werden, um Rotbauchunke und Kreuzkröte zu erhalten, bezweifelt Norbert
       Prauser vom BUND. Von diesen beiden Arten konnten kaum noch Tiere in
       Berliner Gewässern gefunden werden. Aktuell arbeitet Prauser an
       Vorschlägen, um im Britzer Garten Uferbereiche verwildern zu lassen, damit
       die „kleinen, grünen Tierchen“ Chancen haben, sich dort zu verstecken.
       
       Für den Roetepfuhl macht er sich wenig Hoffnungen. Er werde zwar der
       Naturschutzbehörde des Bezirks melden, dass hier Goldfische leben, aber
       „die haben zu viel Angst davor, dass Anwohner sich beschweren“, als dass
       sie die wirklich beseitigen wollen, meint Prauser.
       
       Gerade zeigt eine Anwohnerin ihrer Tochter die Goldfische und freut sich
       über die schönen Formationen, die sie unter der Wasseroberfläche bilden.
       Abends würden sie sogar richtig in die Luft springen. Ein Graureiher lebt
       das ganze Jahr über an diesem Pfuhl, weil es genug zu fressen gebe, erzählt
       sie. Frösche hat sie aber noch keine gesehen.
       
       8 Jun 2021
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anna Bordel
       
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