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       # taz.de -- Emotionale Bundestagsdebatte zu Nahost: „Ein Stich ins Herz“
       
       > Im Bundestag stellen sich die RednerInnen aller Fraktionen im
       > Nahostkonflikt auf die Seite Israels. Bemerkenswert ist die Doppelmoral
       > der AfD.
       
   IMG Bild: Protestaktion gegen Antisemitismus und für Frieden im Nahen Osten am Freitag in München
       
       Berlin taz/dpa In der vergangenen Woche habe er die Synagoge in seinem
       Bonner Wahlkreis besucht, sagt der FDP-Fraktionsvize Alexander Graf
       Lambsdorff im Bundestag. Die Gemeindevorsteherin habe ihm erzählt, dass sie
       nicht mehr wisse, ob die Leute an Shabbat in die Synagoge kämen – aus
       Angst. So etwas, sagt Lambsdorff, versetze einem „einen Stich ins Herz“.
       
       Empörung, Trauer und ein bisschen Ratlosigkeit – die Bundestagsdebatte am
       Mittwoch über die Raketenangriffe der Hamas auf Israel verlief emotional.
       Die Regierungsfraktionen von Union und SPD hatten eine Aktuelle Stunde
       beantragt, um über die [1][Eskalation der Gewalt im Nahostkonflikt] zu
       diskutieren. Den Anfang machte Außenminister Heiko Maas, der die Position
       der Bundesregierung darlegte.
       
       Maas verurteilte den „Raketenterror der islamistischen Hamas gegen Israel“
       erneut „auf das Allerschärfste“. Israel habe das Recht und die Pflicht sich
       zu verteidigen, betonte er. Der Außenminister forderte einen sofortigen
       Stopp der Angriffe auf Israel, die Vereinbarung einer Waffenruhe und
       anschließend Gespräche zwischen Israelis und Palästinensern über eine
       Lösung des Konflikts. Eine solche Lösung müsse es beiden Seiten
       ermöglichen, selbstbestimmt zu leben. „Wir sind deshalb der festen
       Überzeugung, dass dies nur eine verhandelte Zwei-Staaten-Lösung sein kann.“
       
       In den vergangenen Tagen hat die Hamas mehr als 3.500 [2][Raketen auf
       israelische Städte abgeschossen]. Die israelische Luftwaffe flog Angriffe
       auf Hamas-Stellungen im Gazastreifen. In Deutschland wurden bei
       propalästinensischen Demonstrationen antisemitische Parolen skandiert und
       israelische Fahnen verbrannt, teilweise vor Synagogen.
       
       ## Polizei lässt antisemitische Parolen zu
       
       Maas forderte ein hartes Durchgreifen gegen Antisemitismus in Deutschland.
       Antisemitischen Hasspredigern, Hetzern und Gewalttätern in deutschen
       Städten müsse „mit der ganzen Härte des deutschen Rechtsstaates“ entgegen
       getreten werden – „und zwar egal, ob sie schon immer hier leben oder erst
       in den letzten Jahren hier her gekommen sind“. Jeder solle wissen: „Auf
       unseren Straßen darf es keinen Zentimeter Platz geben für Antisemitismus.
       Niemals und nie wieder.“
       
       Dieser fromme Wunsch wurde allerdings durch die Realität der vergangenen
       Tage widerlegt: Bei einer Demonstration in Gelsenkirchen in der vergangenen
       Woche hatten [3][PolizistInnen nicht eingegriffen], obwohl antisemitische
       Parolen gebrüllt wurden. Auf einem bei Twitter geteilten Video war zu
       sehen, wie eine Menge „Scheißjuden, Scheißjuden!“ skandierte.
       
       Auch RednerInnen anderer Fraktionen stellten sich an die Seite Israels.
       Unionsfraktionsvize Johann Wadephul (CDU) betonte: „Israel hat jedes Recht,
       sich gegen diesen Terror zu verteidigen.“ Die Regierung habe sogar die
       Pflicht, sich und die eigenen Bürger zu schützen.
       
       Wadephul erlaubte sich einen Seitenhieb auf die Grünen. „Wer Israels
       Sicherheit gewährleisten will, muss auch zu Rüstungskooperationen bereit
       sein.“ Die Grünen sind laut Wahlprogramm gegen Waffenexporte in
       Kriegsgebiete. Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock hatte aber betont, im
       Falle einer Regierungsbeteiligung die Sicherheitskooperation mit Israel
       fortzusetzen.
       
       ## Gründe, aber keine Rechtfertigung
       
       Der FDPler Lambsdorff sagte, Israel habe das Recht, sich gegen diese
       Angriffe zu verteidigen. „Und da gibt es keine zwei Meinungen.“ Ähnlich
       argumentierte der außenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Omid
       Nouripour. Mit Blick auf die Demonstrationen auf deutschen Straßen sagte
       er: „Diese Geschehnisse der letzten Tage in unserem Land sind abscheulich.“
       
       Der außenpolitische Sprecher der Linken, Gregor Gysi, sagte: „Frieden und
       Lösungen gibt es nur mit beiden Seiten.“ Es stimme nicht, dass die Hamas
       für ihre Angriffe keine Gründe gehabt habe – allerdings habe sie keine, die
       diese rechtfertigten. Selbst in einem Krieg dürften niemals zivile Ziele
       angegriffen werden.
       
       Interessant waren die Auftritte der AfD-Abgeordneten, die sich als Kämpfer
       für Israel präsentierten: Der Außenpolitiker Paul Hampel mahnte stärkere
       Vermittlungsbemühungen Deutschlands an. „Sie ergehen sich in wohlfeilen
       Worten“, kritisierte er Maas. Klares Handeln lasse der Außenminister aber
       vermissen. Der AfD-Abgeordnete Anton Friesen warf der Bundesregierung gar
       „israelfeindliche Politik“ vor.
       
       Der Vollständigkeit halber sei kurz an andere Wortmeldungen aus der Partei
       erinnert. AfD-Fraktionschef Alexander Gauland hatte die Zeit des
       Nationalsozialismus 2018 als „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte
       bezeichnet. Und der Thüringer AfDler Björn Höcke hatte 2017 eine
       „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ gefordert.
       
       19 May 2021
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrich Schulte
       
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