URI: 
       # taz.de -- Diskussion um Nahostkonflikt in Tunesien: Zusammen für Gaza
       
       > Obwohl Tunesien eine größere jüdische Minderheit hat, ist der Begriff
       > „Israel“ tabu. Die Solidarität gilt den Palästinenser*innen.
       
   IMG Bild: Pro-Palästina-Proteste am 15. Mai in Tunis
       
       Tunis taz | Auch am Mittwoch sind in Tunesien wieder mehrere hundert
       Menschen auf die Straße gegangen, um ihre [1][Solidarität mit den
       Palästinenser*innen] zu bekunden. Bereits in den vergangenen Tagen
       waren Tausende zur palästinensischen Botschaft und vor das tunesische
       Parlament in Tunis marschiert. Auf Plakaten wurde das Eingreifen der
       [2][internationalen Staatengemeinschaft] und ein Ende der Besatzung
       Palästinas durch das „zionistische Gebilde“ gefordert.
       
       Der Begriff Israel ist in Tunesien ein Tabu und wird weder von
       Bürgerrechtler*innen oder Medien noch von Präsident Kais Saied
       benutzt. Vertreter der Zivilgesellschaft und verschiedener politischer
       Parteien riefen die Parlamentarier*innen in Sprechchören sogar auf,
       jegliche Beziehung mit Israel unter Strafe zu stellen.
       
       Wie sehr die aktuelle [3][Eskalation zwischen Israel und der Hamas] das von
       einer schweren politischen und wirtschaftlichen Krise gebeutelte Tunesien
       eint, hatte sich schon am Samstag in Tunis gezeigt: Unter einer rund
       hundert Meter langen palästinensischen Flagge protestierten Familien,
       progressive Aktivist*innen und mit ihnen verfeindete religiöse
       Konservative gemeinsam in der Innenstadt. Der für eine Woche verhängte
       Lockdown war am Vortrag tagsüber aufgehoben worden.
       
       „Das Schicksal der Palästinenser*innen ist wohl das einzige Thema,
       bei dem Tunesier*innen aus allen Gesellschaftsschichten einer Meinung
       sind“, sagt Mohamed Hamed aus Tunis, ein junger Aktivist der linken Szene.
       „Wieso interveniert die Staatengemeinschaft nicht, um Palästina zu retten“,
       fragt der 34-Jährige, der ansonsten als DJ in einem Nachtclub arbeitet.
       
       ## Innenpolitischer Nutzen
       
       Tunesien hat derzeit einen Sitz im UN-Sicherheitsrat inne, aber der
       tunesische Vorschlag, die „Aktivität der Siedler*innen, die Zerstörung der
       Häuser in Ostjerusalem und die Vertreibung der Bewohner*innen durch die
       israelische Regierung“ zu verurteilen, wurde von der Vetomacht USA am
       Sonntag abgelehnt.
       
       Die [4][unter Druck stehende politische Elite Tunesiens] will die seltene
       Eintracht auf den Straßen nun innenpolitisch für sich nutzen. In den
       [5][nach dem Ramadan] und dem Lockdown seit Montag wieder geöffneten
       Schulen ist Palästina jetzt eine Woche lang Schwerpunktthema. Der
       Generalsekretär der Gewerkschaft UGTT, Noureddine Taboubi, forderte bei
       einem Besuch einer Schule in der Kleinstadt Hammam Chott auch von den
       Schüler*innen lauten Beifall, als er eine deutliche Reaktion der
       tunesischen Regierung auf die zionistische Aggression forderte.
       
       Seit der Bombardierung des Hauptquartiers der Palästinensischen
       Befreiungsorganisation (PLO) durch die israelische Luftwaffe im Jahr 1985
       hat sich Palästina tief in die Erinnerungskultur eingefressen. Acht in
       Israel gestartete Kampfflugzeuge warfen damals Bomben über dem von Jassir
       Arafat zeitweise nach Tunis verlegten Büro der damals einflussreichsten
       palästinensischen Bewegung ab.
       
       In vielen Medien wird der aktuelle Raketenbeschuss Israels durch die Hamas
       nun als Selbstverteidigung dargestellt. In Debatten in sozialen Netzwerken
       wird zwischen Israelis, Juden und Jüdinnen und Zionist*innen oft nicht
       unterschieden, obwohl bis zu 150.000 jüdische Tunesier*innen im Land
       leben. Die Mehrheit der jüdischen Tunesier*innen wanderte unter
       massiven Anfeindungen nach dem Sechstagekrieg 1967 nach Israel aus. Die
       verbliebenen Gemeinden in Tunis und auf Djerba gelten als die aktivsten in
       der arabischen Welt.
       
       Übergriffe hat es seit Beginn der aktuellen Eskalation in Nahost nicht
       gegeben; jüdische Schulen und Synagogen werden aber seit Jahren von einer
       massiven Polizeipräsenz geschützt.
       
       21 May 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Demonstrationen-gegen-Israel/!5767396
   DIR [2] /Weltweite-Reaktionen-auf-Nahostkonflikt/!5767594
   DIR [3] /Eskalation-im-Nahen-Osten/!5767593
   DIR [4] /Proteste-in-Tunesien/!5743432
   DIR [5] /Ramadan-in-der-Coronapandemie/!5766496
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Mirco Keilberth
       
       ## TAGS
       
   DIR Tunesien
   DIR Juden
   DIR Schwerpunkt Nahost-Konflikt
   DIR Tunesien
   DIR Zehn Jahre Arabischer Frühling
   DIR Schwerpunkt Nahost-Konflikt
   DIR Schwerpunkt Nahost-Konflikt
   DIR Schlagloch
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Politische Krise in Tunesien: Der Jasmin-Staatsstreich
       
       Tunesiens Präsident hat Regierung und Parlament entmachtet. Doch ein
       Vergleich mit dem Putsch von 2013 in Ägypten hinkt.
       
   DIR Dragqueen in Tunesien: Mit Stereotypen aufräumen
       
       Khookha McQueer ist Tunesiens bekannteste Dragqueen. Kommt es in der
       dortigen LGBT-Szene zu Spannungen, ist die 34-Jährige zur Stelle.
       
   DIR Erdoğan und der Nahostkonflikt: Der Antisemit vom Bosporus
       
       Erdoğan schockierte zuletzt mit judenfeindlichen Äußerungen. Doch in der
       Türkei punktet er damit – nicht nur in der eigenen Wählerschaft.
       
   DIR Emotionale Bundestagsdebatte zu Nahost: „Ein Stich ins Herz“
       
       Im Bundestag stellen sich die RednerInnen aller Fraktionen im
       Nahostkonflikt auf die Seite Israels. Bemerkenswert ist die Doppelmoral der
       AfD.
       
   DIR Soziale Medien im Nahostkonflikt: Wir sind Trump
       
       Wenn, wie derzeit in Nahost, Konflikte eskalieren, fallen in den sozialen
       Medien alle Schamgrenzen. Welcher Weg führt aus dem Social-Media-Krieg?