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       # taz.de -- Videos von Tierquälerei in Mastbetrieben: Hausfriedensbruch unvermeidbar
       
       > Im niedersächsischen Merzen gerät ein Schweinemäster durch Aufnahmen von
       > Tierrechtsaktivisten unter Druck. Die entstehen mit großem Aufwand.
       
   IMG Bild: Unter Beobachtung der Tierrechtler: Schweinemast in Merzen
       
       Osnabrück taz | In Merzen sieht die Welt noch in Ordnung aus: eine Kirche
       mit bunten Fenstern, eine Handvoll Schützenvereine, ein konservativ
       dominierter Gemeinderat. „Ein schönes, harmonisches Dorf“, schwärmt
       Bürgermeister Gregor Schröder (CDU) über sein 4.000-Einwohner-Örtchen im
       niedersächsischen Landkreis Osnabrück. Er sagt das in einem Imagevideo der
       Samtgemeinde Neuenkirchen, das den Ort Merzen porträtiert.
       
       Dass es mit Schönheit und Harmonie inzwischen vorbei ist, liegt an einem
       anderen Video aus Merzen. Einem, das Leid und Tod zeigt. Es wurde dem
       Deutschen Tierschutzbüro in Berlin zugespielt und zeigt eine
       Schweinemastanlage: Die Tiere stehen eng an eng, einige sind blutig,
       verletzt. Manche haben abgebissene Schwänze und riesige Abszesse. Einige
       dämmern offenbar dem Sterben entgegen. Eines liegt tot da: blau und
       aufgedunsen. „Katastrophal!“, beschreibt Jan Peifer, Vorstandsvorsitzender
       der Tierrechtsorganisation, die Zustände.
       
       Eigentümer und Mitbetreiber der Schweinemast sei Landwirt W., Merzens
       stellvertretender Bürgermeister. Auf Peifers Anzeige beim Veterinäramt in
       Osnabrück folgen Kontrollen, amtliche Anordnungen. In einem Brief von Ende
       April, in dem Amtstierärztin Maren Mellmann Peifer Rückmeldung gibt, ist
       von „Verstößen in Form von Überbelegung und der Versorgung kranker und
       verletzter Schweine“ die Rede, von der Verringerung der Tierzahl, von
       „unverzüglicher Nottötung von Tieren, für die eine Heilung nicht zu
       erwarten ist“. Mittlerweile seien die Mängel „weitestgehend abgestellt“.
       Dass auch die Strafanzeigen vom Tisch seien, die Peifer und Mellmann bei
       der Staatsanwaltschaft Oldenburg gestellt haben, heißt das natürlich nicht.
       
       Die Videoaufnahmen, die den Fall ins Rollen brachten, stammen aus einer
       Nacht im Dezember 2020. Für solche Dreharbeiten braucht ein
       Tierrechtlerteam starke Nerven, nicht nur, weil es soviel Elend sieht und
       es ausblenden können muss. Zu viel Empathie lenkt ab. Und was, wenn der
       Informantentipp, wo und wie man reinkommt, ungenau war? Was, wenn die
       Wachen draußen den Rückzug signalisieren, weil plötzlich der Landwirt
       auftaucht?
       
       Fast immer geht das gut. Das Zielgebiet ist gründlich observiert, oft über
       Tage. Die Ausrüstung ist hightech, von der Wärmebildkamera bis zum
       Funkgerät, von der Nachtsichtoptik bis zur infrarotabsorbierenden
       Tarnkleidung. Auch Drohnen kommen zum Einsatz.
       
       Aber wenn dann doch mal was schiefgeht? Peifer: „Dann ist die Hauptregel:
       Deeskalation! Die Aktivisten sind nicht bewaffnet und wenden auch keine
       Gewalt an. Im Fall einer Entdeckung wird vorgeschlagen, die Polizei zu
       rufen und gemeinsam auf ihr Eintreffen zu warten.“ Aber ein solcher Fall
       ist nie eingetreten, erinnert sich Peifer, auch wenn viele Landwirte sich
       mittlerweile hochrüsten, um Tierrechtler fernzuhalten, mit Hunden, Zäunen,
       Kameras, Sensoren. Solche Gegenmaßnahmen verraten ein schlechtes Gewissen,
       findet Peifer: „Wenn jemand Tierhaltung ohne Gesetzesverstöße betreibt, hat
       er von uns nichts zu befürchten. Aber was auch immer Tierquäler gegen uns
       unternehmen: Verstecken können sie sich nicht!“
       
       Peifer erzählt, wie es ist, Tiertransporter zu verfolgen, teils über
       Hunderte Kilometer. Dass sie oft Leihwagen einsetzen, weil fremde
       Kennzeichen zu auffällig sind, Privatwagen Aktivisten zu verwundbar machen.
       Wie man an Kameras vorbeikommt, die nicht der Tierwohlüberwachung dienen,
       sondern der Abwehr von Tierschützern, Kameras, die demonstrativ Zufahrten
       abfilmen, Fenster und Eingänge. Wie die Kommunikation mit anonymen
       Tippgebern läuft: mit Passanten, Anwohnern, ehemaligen
       Betriebsmitarbeitern. Wie es ist, mit dem Fernglas verdeckt am Waldrand zu
       liegen, eine Stallung im Visier. Oder im Versteck, unbeweglich, mit
       angehaltenem Atem. „Das ist oft schon ziemlich militärisch“, sagt er.
       
       Die Einsätze haben feste Regeln. Alle Aktivisten tragen im Stall
       Schutzkleidung, vom Einweg-Overall bis zum Überschuh. Das Beweisvideo ist
       eine durchlaufende Aufnahme ohne Schnitte, damit Manipulationsvorwürfe ins
       Leere laufen. Per GPS wird der Ort, per ins Bild gehaltener Tageszeitung
       das Datum dokumentiert. Um eindeutig beweisen zu können, wo man ist, werden
       im Stall Unterlagen abgefilmt, Ohrmarken, bauliche Besonderheiten.
       Sachbeschädigungen und Einbrüche sind tabu, „aber Hausfriedensbrüche“, sagt
       Peifer, „sind in unseren Augen legitim“. Das sehen auch die meisten
       Gerichte so.
       
       Man muss fit sein für solche Einsätze, denn oft gilt es, sich im Gelände
       schnell zu bewegen. Auch schauspielerische Fähigkeiten sind gefragt, denn
       manchmal müssen komplexe Tarnlegenden entworfen werden.
       
       „Da war diese Wachtelhaltung in Niedersachsen, vor zwei Jahren“, sagt
       Peifer. „Um da reinzukommen, haben wir uns als Händler ausgegeben, die Eier
       zum Weiterverkaufen brauchen. Wir hatten im Vorfeld der Kontaktaufnahme
       eine Fake-Website entworfen, um glaubwürdig zu seien. Dann sind wir hin,
       die Kameras am Körper versteckt, und haben alles gefilmt.“
       
       Viel wird Peifer auch zugespielt – wie das Material aus Merzen. Wer die
       Tierrechtler sind, die so was aufnehmen? „Das sind Leute, die ihr Leben
       gänzlich dem Wohl der Tiere verschrieben haben“, charakterisiert Peifer.
       „Absolut überzeugt, in der Regel linksorientiert, fast immer vegan.“ Bei
       Peifer gehen viele Hinweise ein.
       
       Peifers Organisation ist deutschlandweit aktiv und gibt sich furchtlos. Das
       hat auch mit ihren Anwälten für Straf- und Medienrecht zu tun. Juristische
       Gegenangriffe der Agrarwirtschaft versuchen sie, wirksam zu kontern.
       „Manchmal versucht wer, uns einzuschüchtern. Aber das beeindruckt uns
       nicht“, sagt er. Zum einen hätten die Landwirte vor Gericht selten Erfolg.
       Zum anderen brächten sie sich auch selbst in Bedrängnis, wenn vor dem
       Gericht eine Großdemo auflaufe.
       
       Dass viele Landwirte, Tiertransporteure oder Schlachter die Tierrechtler
       für die Übeltäter hielten anstatt sich selbst, macht Peifer zornig: „Wir
       sind doch nicht die Verursacher, nur die Überbringer schlechter
       Botschaften.“ Die reichen von Verstößen auf der Nerzfarm bis zur
       Aquakultur, von der Langzeitkampagne bis zur Petition mit Hunderttausenden
       Unterschriften.
       
       ## Grüne fordern Rücktritt
       
       Landwirt W. stehen jetzt harte Zeiten bevor. Die Grünen des Merzener
       Gemeinderats fordern seinen Rücktritt als stellvertretender Bürgermeister.
       Fraktionsvorsitzender Josef Klausing: „Dies geschieht auch, um Schaden vom
       Rat abzuwenden. Zu warten bis eine rechtskräftige Verurteilung erfolgt, ist
       da nicht angebracht.“ Eine Unschuldsvermutung könne nicht gelten, „da bei
       mehreren amtstierärztlichen Kontrollen in verschiedenen Ställen Verstöße
       festgestellt wurden“.
       
       Peifers Videomaterial sei erschütternd. „Die Kontrollbehörden haben hier
       auf ganzer Linie versagt.“ Klausing ist die Empörung anzumerken. Dass der
       Betrieb laut Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung für 2020 mehr
       als 300.000 Euro an EU-Direktzahlungen für Tierschutzmaßnahmen erhalten
       habe, setze der Sache noch die Krone auf.
       
       Landwirt W. unterstellt den Tierrechtlern einen Einbruch. „Es handelt sich
       um eine Straftat, durch die das Material erstellt worden ist“, sagt er.
       „Das ist natürlich völliger Quatsch“, empört sich Peifer. „Wir lassen
       derzeit prüfen, ob wir gegen den Betreiber juristisch vorgehen können.“
       
       Sechs Fälle von Tierquälerei in niedersächsischen Schweinemastbetrieben hat
       Peifer innerhalb der letzten Monate ans Licht der Öffentlichkeit gebracht.
       Merzen ist einer davon.
       
       3 Jun 2021
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Harff-Peter Schönherr
       
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