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       # taz.de -- SPD-Spitze in Bayern über Optimismus: „Wir brauchen mehr Attacke“
       
       > In Bayern steuert die SPD auf die Fünfprozenthürde zu. Trotzdem sind die
       > beiden neuen Landesparteichefs Ronja Endres und Florian von Brunn
       > optimistisch.
       
   IMG Bild: Ronja Endres und Florian von Brunn, die bayerische SPD-Spitze, vor dem Bayerischen Landtag
       
       taz: Frau Endres, Sie sind noch jung, wie konnten Sie in einer Partei wie
       der SPD landen? 
       
       Ronja Endres: Das hat nichts mit dem Alter zu tun, sondern mit Themen. Ich
       habe mich schon während der Ausbildung zur Chemielaborantin als
       Auszubildendenvertreterin engagiert. Und dann habe ich gemerkt, dass ich
       mich nicht nur im Betrieb für die Belange von Arbeitnehmerinnen und
       Arbeitnehmern einsetzen möchte, sondern auch in der Politik. Und da war für
       mich völlig klar, dass das nur in der SPD gehen würde, der einzigen Partei,
       die sich dieses Themas ernsthaft annimmt.
       
       Bei Ihnen, Herr von Brunn, ist es schon etwas länger her, aber hatten Sie
       seinerzeit mal mit den Grünen geliebäugelt? Wäre 1990 für einen
       umweltbewegten 21-Jährigen ja durchaus naheliegend gewesen. 
       
       Florian von Brunn: Nein, überhaupt nicht. Mir waren damals schon die beiden
       Themen soziale Gerechtigkeit und Umwelt extrem wichtig, und das erste kam
       mir bei den Grünen viel zu kurz. Außerdem war mein Elternhaus auch
       sozialdemokratisch geprägt. Später habe ich sogar festgestellt, dass Toni
       Pfülf, eine der SPD-Reichstagsabgeordneten, die 1933 gegen das
       Ermächtigungsgesetz gestimmt haben, meine Urgroßtante ist. Vielleicht liegt
       das Sozialdemokratische bei uns also tatsächlich in den Genen.
       
       Nun sind Sie beide die neuen Vorsitzenden der Bayern-SPD: Wie haben Sie
       denn zueinandergefunden? 
       
       Endres: 2019 bin ich bayerische Vorsitzende unserer Arbeitsgemeinschaft für
       Arbeitnehmendenfragen geworden und so in den Landesvorstand gekommen. Dort
       haben wir von Anfang an sehr gut zusammengearbeitet. Als raus war, das
       Natascha Kohnen nicht mehr antritt, wurden die Rufe nach Florian, der 2017
       schon einmal angetreten war, unüberhörbar. Und dann haben wir beschlossen,
       dass wir das gemeinsam machen.
       
       Und mit der neuen Parteispitze gibt’s jetzt endlich einen Neustart für die
       SPD. Sagen Sie. Nur hat das 2009 auch Florian Pronold versprochen [1][und
       2017 Natascha Kohnen.] Der Trick mit dem Resetknopf scheint bei der SPD
       nicht so ganz zu funktionieren. 
       
       Endres: Ein großer Unterschied zu unseren Vorgängerinnen und Vorgängern
       ist: Die waren immer nur eine Person. Wir sind zu zweit. Dadurch steht uns
       viel mehr Zeit und Arbeitskraft zur Verfügung. Und vor allem: Wir bringen
       Zukunftslust mit.
       
       Von Brunn: Was uns sicherlich unterscheidet, ist, dass wir offensiver und
       inhaltlich profiliert nach außen und in die Konflikte gehen wollen. Unter
       Natascha Kohnen war der Ansatz etwas verhaltener. Natürlich werden auch wir
       sachorientiert arbeiten. Dazu soll aber jetzt auch eine ordentliche Portion
       Attacke kommen.
       
       Endres: Und Emotion.
       
       Kohnens Generalsekretär Uli Grötsch, der für ein Weiter-so stand, ist Ihnen
       bei der Wahl nur knapp unterlegen. Was lässt Sie an eine plötzliche
       Geschlossenheit der Bayern-SPD glauben? 
       
       Endres: Das ist wirklich unser kleinstes Problem. Wir sind alle voller
       Energie und stürzen uns mit Lust in den Bundestagswahlkampf – übrigens mit
       Uli Grötsch als unserem Spitzenkandidaten. Da wird man sehen, dass wir sehr
       gut miteinander arbeiten können.
       
       Von Brunn: Bei sieben, acht Prozent in den Umfragen will niemand Gräben
       aufreißen. Wir sind eine Partei und alle wollen den Erfolg.
       
       Trotzdem haben Sie, Herr von Brunn, jetzt gleich mal den bisherigen Chef
       der Landtagsfraktion, Horst Arnold, in eine Kampfabstimmung gezwungen und
       aus dem Amt gekegelt. Jetzt führen Sie in Personalunion Partei und
       Fraktion. 
       
       Von Brunn: Für mich ist es ein konsequenter Schritt, weil wir die
       Schlagkraft der Bayern-SPD so deutlich erhöhen können. Genau darum muss es
       angesichts unserer Situation jetzt gehen. Mit diesem Modell hatten wir
       unter Renate Schmidt in Bayern Erfolg. Auch in vielen anderen
       Landesverbänden hat sich das bewährt.
       
       Nun geht es der SPD überall miserabel, aber in Bayern ist ihr Zustand ganz
       besonders desolat. Warum? 
       
       Von Brunn: Wir sind manchmal zu sehr mit uns selbst beschäftigt. Wir müssen
       mehr aus den Hinterzimmern kommen, aus den selbstbezogenen Debatten. Ein
       großes Problem ist, dass die Menschen derzeit nicht wissen, wofür die
       bayerische SPD steht. Deshalb werden wir ein klares Profil herausarbeiten,
       in dem wir uns auf ein paar zentrale Punkte konzentrieren. Im Mittelpunkt
       wird auf jeden Fall die sozial-ökologische Modernisierung Bayerns stehen.
       Hier unterscheiden wir uns deutlich von den Grünen, weil wir die Themen
       Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit miteinander verbinden. Dass die SPD
       vor allem an ihrer Außendarstellung scheitert, sieht man ja auch in Berlin:
       Für fast alle Erfolge der Großen Koalition sind wir verantwortlich – vom
       Mindestlohn über die Grundrente bis zum Familienbonus. Aber wem schreiben
       es die Leute zu? Angela Merkel.
       
       Trotzdem steht die SPD auf Bundesebene immer noch um einiges besser da als
       in Bayern, wo Sie knallhart auf die Fünfprozenthürde zusteuern. 
       
       Endres: In Bayern haben wir natürlich zusätzlich noch das Problem einer
       sehr starken CSU …
       
       Von Brunn: … die wir aber künftig viel stärker stellen werden. Und dazu
       gehört auch die Attacke bei Themen wie dem CSU-Maskenskandal. Wir werden
       diese Art von schamloser Abzocke in der Krise nicht akzeptieren.
       
       Die Bayern-SPD attackiert dagegen niemand mehr – einzelne Sozialdemokraten
       mal ausgenommen. Aus den anderen Parteien hört man nur Mitleidsbekundungen.
       Tut das nicht weh, wenn einem niemand mehr wehtun will? 
       
       Von Brunn: Auf das Mitleid der politischen Mitbewerber kann ich gut
       verzichten. Übrigens stellen wir in Bayern sehr viele Bürgermeister,
       Oberbürgermeister und auch Landräte – deutlich mehr als die Grünen. Das
       zeigt doch, dass die Menschen uns vertrauen, uns Lösungskompetenz und
       Regierungsfähigkeit zutrauen.
       
       Oberbürgermeister wie etwa Dieter Reiter in München wurden aber nicht
       gewählt, weil sie Sozialdemokraten sind. In München wurde die SPD bei der
       Wahl vor einem Jahr nur noch drittstärkste Kraft. 
       
       Von Brunn: Nichtsdestotrotz sind Leute wie Reiter oder auch Florian Janik
       in Erlangen klassische Sozialdemokraten. Eines der Hauptthemen von Dieter
       Reiter ist Politik für Mieterinnen und Mieter. Aber ich stimme Ihnen zu:
       Natürlich hat der Erfolg dieser Kommunalpolitiker sehr stark auch mit
       Personen zu tun. Die Verbindung von Inhalten und Personen ist ganz
       entscheidend.
       
       Sie werden also auch auf Landesebene künftig Personen stärker in den
       Vordergrund stellen? 
       
       Von Brunn: Unbedingt. Und da haben wir gerade mit Ronja ein sehr gutes
       Angebot.
       
       Endres: Es geht ja auch darum, den Leuten zu zeigen: Wir sind wie ihr. Ich
       komme zum Beispiel aus einer Arbeitslosenfamilie; ich weiß, wie’s zugehen
       kann im Leben. Und ich hab’ auch schon mal Monate gehabt, wo ich in der
       Mitte des Monats nur noch Spaghetti mit Tomatenmark gegessen habe.
       
       Seit dem Abgang von Wilhelm Hoegner, und der ist immerhin schon 63 Jahre
       her, sitzt die SPD in Bayern auf der Oppositionsbank. Bis vor zwei Jahren
       haben Sie die Opposition immerhin angeführt. Jetzt haben Sie sogar diese
       Rolle an die Grünen abgeben müssen. 
       
       Von Brunn: Klar, das ist hart. Aber die Grünen profitieren im Moment vor
       allem von der Wechselstimmung. Was wir dem entgegensetzen müssen, sind
       Lösungen. Und während die Grünen da sehr im Vagen bleiben, können wir es
       konkret machen.
       
       Machen Sie mal! 
       
       Von Brunn: Nehmen Sie die Verkehrspolitik: Das Münchner S-Bahn-System ist
       total überlastet. Da haben die Grünen hier in München eine
       Verhinderungsdebatte geführt und sich gegen die zweite S-Bahn-Stammstrecke
       gestellt. Wir haben gesagt: Wir brauchen beides: einen Ausbau des
       bestehenden Südrings und die Stammstrecke. Wobei ich nicht dafür plädiere,
       in den Konflikt mit den Grünen zu gehen. Ich hoffe eher auf eine
       rot-rot-grüne Reformperspektive.
       
       Endres: Und den Klimaschutz wird nur die SPD wuppen können. Das Thema wird
       uns nämlich nicht nur eine Legislaturperiode lang begleiten, sondern für
       immer. Und damit die Menschen die notwendigen Maßnahmen mittragen, müssen
       wir uns auch an ihrer Lebensrealität orientieren. Natürlich müssen wir die
       Pariser Klimaschutzziele einhalten. Aber die Menschen brauchen einen
       Klimaschutz, der so gestaltet ist, dass ihnen nicht nach vier Jahren die
       Lust vergeht, weil ihnen alles genommen wurde.
       
       Von Brunn: Ein höherer CO2-Preis geht beispielsweise nur, wenn wir das auch
       wirklich voll kompensieren. Modelle wie die CO2-Abgabe, die uns die Union
       jetzt reingedrückt hat, belasten vor allem die unteren 20 Prozent der
       Einkommensbezieher ganz massiv.
       
       Endres: Man muss einfach immer das Soziale mitdenken. Es geht ja auch darum
       zu schauen: Wer verursacht eigentlich das CO2? Und die sollten wir dann
       auch stärker zur Kasse bittet. Und das sind nun mal die Menschen mit
       höheren Einkommen.
       
       Soziale Gerechtigkeit zeigt sich nicht nur am Einkommen, sondern auch
       daran, ob alle Zugang zu bezahlbarem Wohnraum haben. Das ist in weiten
       Teilen Bayerns nicht mehr der Fall. 
       
       Von Brunn: Das ist in der Tat eine unserer größten Baustellen. Wir haben
       die Mietpreisbremse eingeführt und nachgeschärft, wir stärken jetzt den
       Mieterschutz in den Städten noch mal. Und wir unterstützen die Forderungen
       nach einem Mietenstopp. Zum anderen müssen wir diese exorbitanten
       Spekulationsgewinne besteuern.
       
       Auf dem Bundesparteitag haben Sie Angela Merkel als „künftige Vorgängerin“
       [2][von Olaf Scholz] bezeichnet. 
       
       Von Brunn: Das stimmt.
       
       Das war ein Witz, oder? 
       
       Von Brunn: Nein. Ich würde jedem raten, Olaf Scholz als nächsten
       Bundeskanzler auf dem Zettel zu haben.
       
       Endres: Er hat hohe persönliche Zustimmungswerte – und echte
       Kanzlerqualitäten.
       
       Es ist ja verständlich, dass Sie allein aus Traditionsgründen einen
       Kandidaten aufstellen – schließlich hat die SPD noch immer einen
       Kanzlerkandidaten nominiert. Aber noch nie war die Vorstellung eben auch so
       abwegig, dass sie tatsächlich den nächsten Kanzler stellen könnte. 
       
       Von Brunn: Sicher, im Moment haben die Grünen einen Höhenflug. Aber noch im
       Februar lagen wir nur einen Prozentpunkt auseinander., das zeigt, wie
       schnell sich das drehen kann. Mag sein, dass ein SPD-Kanzler nicht die
       wahrscheinlichste Variante ist, aber es ist möglich. Und natürlich werden
       wir dafür kämpfen.
       
       Endres: Das wird harte Arbeit. Aber wir sind die Partei der Arbeit.
       
       7 Jun 2021
       
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