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       # taz.de -- Internationaler Tag der Menstruation: Das Blut der Unterdrückung
       
       > Weltweit ist die Monatsblutung ein Tabu. Zum Aktionstag sprechen fünf
       > Frauen, die sich wehren.
       
   IMG Bild: Für viele ein unerreichbares Luxusgut: Hygienebinden
       
       Hat eine Frau Blutfluss und ist solches Blut an ihrem Körper, soll sie
       sieben Tage lang in der Unreinheit ihrer Regel verbleiben. Wer sie berührt,
       ist unrein bis zum Abend. Alles, worauf sie sich in diesem Zustand legt,
       ist unrein; alles, worauf sie sich setzt, ist unrein.“ So steht es in der
       Bibel, Levitikus 15, Vers 19.
       
       Der unreine Blutfluss, um den es geht, ist die weibliche Menstruation. Im
       Judentum war die menstruierende Frau lange von allen rituellen Handlungen
       ausgeschlossen, im Christentum galt die Menstruation Mönchen als Strafe für
       Evas Sündenfall. Ausgenommen davon war nur die Mutter Gottes: Die nämlich,
       so Theologen, habe unbefleckt empfangen und ohnehin nie menstruiert.
       
       Mit den magischen Kräften und Unreinheiten der Menstruation beschäftigten
       sich jahrtausendelang vor allem Männer. Aristoteles sah in ihr einen Beweis
       für die weibliche Minderwertigkeit: Frauen seien nicht wie Männer imstande,
       Blut in Sperma zu verwandeln und müssten es deshalb monatlich ausscheiden.
       Plinius der Ältere beschrieb, dass in der Nähe menstruierender Frauen der
       Wein verderbe, Bienen stürben und Saatgut unfruchtbar würde. Und Paracelsus
       stilisierte die Blutung gar zur Bedrohung der Menschheit: „Es gibt kein
       Gift in der Welt, das schädlicher ist als das menstruum.“
       
       Um Gift ging es überhaupt lange: 1520 beschrieb Paracelsus die Existenz des
       „Menotoxin“. Die Auffassung, dieses finde sich in Blut und Schweiß
       menstruierender Frauen und lasse etwa Blumen welken, wurde noch bis weit
       ins 20. Jahrhundert diskutiert.
       
       Um die Bedürfnisse von Frauen allerdings geht es noch nicht allzu lange.
       Zwar kennen schon nahezu alle alten Kulturen Hilfsmittel, um das Blut
       aufzusaugen, darunter Binden aus Bast, Gras oder Leinen. In Deutschland kam
       1894 die erste kommerzielle Wegwerfbinde auf den Markt, 1947 wurde der
       erste Tampon für den hiesigen Markt patentiert: der o.b. („ohne Binde“).
       Doch [1][etwa in der Werbung] war die Flüssigkeit, die die Saugfähigkeit
       von Tampons und Binden beweisen soll, lange unverfänglich blau. „Sauber und
       diskret“ sollte die Menstruation vor allem sein.
       
       Global ranken sich noch immer [2][viele Mythen] um sie. Zwar feiern einige
       Kulturen das erstmalige Auftreten der Menstruation, die [3][sogenannte
       Menarche], als Fest, das auch mit einem positiven Zugang zum weiblichen
       Körper zu tun haben kann. Weit häufiger jedoch haben Frauen damit zu tun,
       zu informieren und das Stigma abzubauen, das für potentiell die Hälfte der
       Menschheit mit ihrer Blutung verknüpft ist.
       
       Zum Teil wird das Problem dadurch verstärkt, dass es keine geeigneten
       Produkte gibt, um die Blutung aufzufangen, oder diese nicht bezahlbar sind,
       weshalb Mädchen und Frauen auch weiterhin nicht zur Schule gehen oder an
       anderen Bereichen des sozialen Lebens teilnehmen können. Auch der Zugang zu
       ausreichend sauberem Wasser, etwa in schulischen Einrichtungen, ist längst
       nicht überall gewährleistet. Und schließlich haben viele Familien im
       vergangenen Jahr ihr Einkommen durch die Pandemie verloren, so dass sie
       sich Hygieneprodukte kaum noch leisten können.
       
       Zum [4][Weltmenstruationstag], der 2014 von Frauenrechtsinitiativen ins
       Leben gerufen wurde, warnt die Hilfsorganisation Care davor, dass die Zahl
       der aktuell etwa 500 Millionen Mädchen und Frauen, die während ihrer
       Menstruation ohne Hygieneprodukte auskommen müssen, weiter zu steigen
       droht. In Äthiopien, Uganda, Niger und Kenia etwa seien bis zu 70 Prozent
       der Frauen und Mädchen gezwungen, [5][ohne ausreichend sauberes Wasser],
       Hygieneprodukte oder medizinische Versorgung zurechtzukommen.
       
       Care fordert die internationale Gemeinschaft auf, Menstruationshygiene in
       alle humanitären Hilfspläne aufzunehmen, genügend finanzielle Mittel dafür
       bereitzustellen und die politische Teilhabe von Frauen an diesen
       Entscheidungen zu gewährleisten.
       
       Doch nicht nur Hilfsorganisationen machen auf diese Probleme aufmerksam.
       Diese fünf Frauen haben ihren täglichen Kampf dem Thema gewidmet.
       
       Unerschrocken gegen die „Arschbacken“ in Uganda
       
       Ausgerechnet die Debatte um die Monatsblutung brachte Stella Nyanzi,
       Ugandas führende Feministin, ins Gefängnis. Es war kurz nach den Wahlen
       2016. Präsident Yoweri Museveni hatte im Wahlkampf [6][kostenlose Binden an
       Schulen] versprochen und damit bei Frauen viele Stimmen geholt. Denn ein
       Großteil der Mädchen in Uganda bleibt während ihrer Monatsperiode
       regelmäßig der Schule fern. Viele Familien können sich die Binden nicht
       leisten, und in den meisten Schultoiletten gibt es kein fließendes Wasser,
       um sich zu waschen. Indem sie auf sich aufpassen, vermasseln sich viele
       Mädchen den Abschluss.
       
       Nach der gewonnenen Wahl fiel die kostenlose Binde still und heimlich vom
       Tisch. Zwar hatte der Präsident seine Frau Janet zur Bildungsministerin
       ernannt und damit Hoffnungen geweckt, dass er sein Wahlkampfversprechen
       ernst gemeint haben könnte. Doch als Ministerin musste „Mama Janet“, wie
       sie landauf, landab genannt wird, feststellen: Es mangelt an Geld im
       Staatshaushalt, um Binden anschaffen zu können.
       
       Dies brachte Stella Nyanzi, promovierte Akademikerin für Genderstudien und
       Sexualwissenschaft an Ostafrikas renommiertester Universität Makerere in
       Ugandas Hauptstadt Kampala, auf die Palme. „Wir haben jetzt jede Menge
       Vaginas im Parlament sitzen, aber sie müssen auch beweisen, dass sie ein
       Gehirn haben“, schimpfte sie damals gegenüber der taz. Janet Museveni sei
       nur Bildungsministerin geworden, „weil sie mit dem Präsidenten ins Bett
       geht.“ Auf Facebook bezeichnete sie das Präsidentenehepaar als „ein Paar
       Arschbacken“.
       
       Das wurde ihr zum Verhängnis. Denn für den 76-jährigen Präsidenten, seit
       1986 an der Macht, war dies eine klare Majestätsbeleidigung. Von
       Unbekannten wurde sie aus ihrem Haus entführt und später wegen
       „Cyber-Belästigung“ und Unruhestiftung angeklagt. Sie habe gegen das Gesetz
       über Computermissbrauch verstoßen, so die Vorwürfe des Staatsanwalts.
       
       Monatelang [7][saß Nyanzi im Jahr 2017 im Gefängnis], litt dort unter
       anderem an Malaria. Aufgrund ihrer schlechten körperlichen Verfassung wurde
       sie schließlich auf Kaution freigelassen.
       
       Vier Jahre später verhandelt jetzt Ugandas Verfassungsgericht über den Fall
       Stella Nyanzi. Kurz [8][nach den Wahlen im Januar dieses Jahres] war sie
       mit ihrer Familie ins Nachbarland Kenia geflohen. Doch seit Mai ist sie
       zurück und wirft nun den Verfassungsrichtern vor, das Regime würde ein aus
       der Kolonialzeit stammendes Gesetz über Geisteskrankheiten nutzen, um
       Oppositionelle wie sie mundtot zu machen. Kampfeslustig sitzt die Mutter
       von drei Kindern im Gerichtssaal. Und auch für Präsident Museveni hat sie
       eine neue Provokation parat. „Komm nicht in meinem Mund“, heißt ihre
       gedruckte Gedichtsammlung, die Mitte Juni erscheinen soll.
       
       Derweil sind Binden in Uganda ein Politikum geblieben. In einer
       Crowdfunding-Kampagne über soziale Netzwerke hatte Stella Nyanzi, bevor sie
       inhaftiert wurde, umgerechnet fast 2.000 Euro eingesammelt. Das Geld
       spendete sie Nichtregierungsorganisationen, die Schülerinnen beibringen,
       sich selbst wiederverwendbare Stoffbinden zu nähen. Gereicht hat das nur
       für eine Handvoll Schulen. Aber seitdem führen immer mehr Schulen in Uganda
       auf Eigeninitiative Nähkurse für Mädchen ein, um Binden herzustellen.
       Nyanzis Idee hat sich verselbstständigt.
       
       Simone Schlindwein 
       
       In Kolumbien bekommt Schneewittchens Kleid rote Flecken
       
       Carolina Ramírez und ihre Kolleginnen vom [9][Projekt „Princesas
       Menstruantes“] haben eine Mission: „Für uns ist das Wichtigste, uns
       komplett von der traditionellen Lesart der Menstruation zu lösen, die rein
       auf Reproduktion beruht“, sagt Carolina Ramírez. „Wir sind überzeugt, dass
       dies die vielfache Unterdrückung von Mädchen und Frauen begünstigt hat.“
       
       Carolina Ramírez (39) ist Psychologin und Menstruationserzieherin. Zwölf
       Jahre lang hatte sie im Umland von Medellín in Kolumbien mit Frauen
       gearbeitet, von denen viele sexuelle Gewalt erlebt hatten. Immer wieder
       ging es um Menstruation – und wie man darüber mit den Töchtern spricht.
       
       In der 9. Klasse, wenn in Kolumbiens Schulen Sexualkunde auf dem Lehrplan
       steht, wird Menstruation im besten Fall unter Fortpflanzungsaspekten
       behandelt. „Menstruieren ist aber nicht nur dazu da, um schwanger zu
       werden“, sagt Ramírez. „Die Hormone sind gut für das Wohlbefinden der Frau,
       die Menstruation reinigt die Gebärmutter von Krankheitserregern.“
       
       So entstand die Idee, das Thema Menstruation liebevoller und lustiger für
       Mädchen aufzubereiten – und im Jahr 2016 das Buch „El vestido de
       Blancanieves se ha teñido de rojo“ (Das Kleid von Schneewittchen hat sich
       rot gefärbt). Darin merkt Schneewittchen durch eine Blumenpracht, die
       plötzlich in ihr wächst und als roter Honig aus ihr heraus läuft, was für
       sie wichtig ist im Leben. Ein Prinz kommt nicht vor.
       
       Das Buch gilt als erstes Kinderbuch in Lateinamerika zum Thema überhaupt.
       Seitdem hat Carolina Ramírez vier weitere Menstruationsmärchen geschrieben.
       Sie will mit alten Denkmustern aufräumen, welche die Menstruation nutzen,
       um Frauen von Orten oder Ämtern fernzuhalten.
       
       Ihr Team hat in den Randgebieten von Medellín Mädchen befragt. Dabei
       stellte sich heraus: Der häufigste Grund, weshalb sie in der Schule fehlen,
       waren nicht fehlende Hygieneprodukte – sondern die Angst vor Flecken. „Und
       diese Angst lässt sich nur mit Bildung nehmen“, sagt Carolina Ramírez. Eine
       weitere Erkenntnis: „Die Schule ist kein sicherer Ort zum Menstruieren. Es
       gibt keine Fürsorge, keine Begleitung, keine Binden, oft nicht einmal
       Wasser, Klopapier oder Türen, die richtig schließen.“ Viel zu oft lassen
       Lehrer*innen die Mädchen nicht auf die Toilette gehen und sagen:
       „Kontrolliere deinen Körper.“
       
       Das 2015 gegründete Projekt „Princesas Menstruantes“ bietet
       Lehrmaterialien, Workshops für Mädchen und Erwachsene sowie eine
       Weiterbildung zur Menstruationserzieherin. Die „Escuela de Niñas poderosas“
       (Schule der mächtigen Mädchen) soll Mädchen im Alter von acht bis zwölf
       Jahren helfen, ihre Pubertät zu einer positiven Erfahrung zu machen und
       ihre Autonomie fördern. Das reicht von Menstruations- und Sexualkunde über
       Selbstfürsorge bis hin zu weiblichen Vorbildern und einer politischen
       Geschichte der Frauen. „Wir reden darüber, wie sie sich um sich selbst
       kümmern und ein Unterstützungsnetz aufbauen und eine Vertrauensperson
       finden, mit der sie reden können, wenn ihnen etwas passiert“, sagt Ramírez.
       
       Bis 2020 haben Carolina Ramírez und ihre Kolleginnen mehr als 12.000
       Mädchen, Jugendliche und Frauen in Lateinamerika geschult.
       „Menstruationsbildung darf kein Privileg sein“, sagt Carolina Ramírez. „Die
       Mädchen, die völlig vom Staat alleingelassen leben, brauchen uns am
       dringendsten. Wenn uns eine Schule anruft und sagt: Wir haben da 50
       Mädchen, aber kein Geld – dann versuchen wir, es irgendwie aufzutreiben,
       und nehmen uns drei Tage frei.“
       
       Katharina Wojczenko, Bogotá 
       
       Für sichere Gesprächsräume im Libanon 
       
       Line Tabet Masri ist 35 Jahre und hat zwei kleine Töchter. Doch erst als
       sie mit 30 ihre Tochter bekam und sich ihre Menstruation dadurch verändert
       hat, hat sie angefangen, mit Freundinnen darüber zu sprechen. Nun sitzt sie
       in ihrer großzügigen Wohnung in Beirut im 16. Stock mit Blick auf die Berge
       und spricht passioniert über die Periode. „Die Würde einer Frau darf nicht
       abhängig sein vom Einkommen oder ihrer Herkunft“, sagt sie bestimmt.
       
       Der Schein des großen Wohnzimmers trügt. Masri hat ihre Ersparnisse
       verloren, weil [10][Libanons Währung aufgrund der Finanzkrise] 80 Prozent
       ihres Wertes verloren hat. Zehn von den günstigsten Binden kosten heute
       umgerechnet 4 Euro, eine kleine Packung Tampons fast 25 Euro.
       
       Mit dem Währungsverfall begann Masri, Hilfspakete zu packen. „Dabei ist mir
       aufgefallen, dass wir Zahnpasta oder Desinfektionsmittel spenden, aber
       keine Binden.“ Eine sehr männliche Sicht. Deshalb initiierte die 35-Jährige
       gemeinsam mit ihrer Freundin Rana Haddad im Mai 2020 das Projekt „Dawrati“
       („Meine Periode“). Sie arbeitet mit einem Bindenhersteller zusammen, hat
       Spendenboxen in Apotheken aufgestellt und nimmt auch Einzelspenden an der
       Haustür an. Alles ehrenamtlich.
       
       Durch diese Arbeit hat sie gemerkt, wie privilegiert ihr Umgang mit der
       Menstruation bisher war. Sie erinnert sich, wie ihre Mutter mit ihr in den
       Supermarkt ging und sie sich verschiedene Binden aussuchte. „Dass ich
       verschiedene Modelle kaufen und ausprobieren konnte – das ist ein
       Privileg.“
       
       In der Schule hatten sie bereits über das reproduktive System gesprochen.
       Doch in konservativen Haushalten und bei der älteren Generation sei
       Menstruation ein Tabuthema. „Der Verkäufer in kleineren Läden packt dir die
       Binden in eine schwarze Tüte, damit niemand sieht, was darin ist.“
       
       Entsprechend schwer sei das Gespräch. Selbstgenähte Binden funktionieren
       nicht, wenn sie zum Trocknen auf eine Leine gehängt werden müssen und die
       Nachbarschaft sie sieht. Und: „Ich kann nicht einfach Freiwillige schicken,
       die dann mit Frauen über ihre Periode sprechen. Für so etwas braucht es
       einen Safe Space, Freund*innen und Komfort.“ Dafür hätten die Frauen im
       Libanon gerade keinen Kopf. Sie kämpfen mit Kinderbetreuung, Haushalt, Job
       und der Frage, wie sie im nächsten Monat das Essen bezahlen sollen.
       
       Auf lange Sicht möchte Masri mit „Dawrati“ Gespräche für Frauen
       organisieren, damit sie in geschütztem Raum miteinander sprechen können.
       Sie plant auch, [11][Periodenunterwäsche] im Libanon zu produzieren. Doch
       das Material muss importiert werden und ist teuer. „Es gab einen Aufruhr,
       als die Regierung beschloss, Rasierer zu subventionieren, aber nicht
       Periodenartikel. Sie sagten daraufhin, sie würden das Material für die
       Herstellung absorbierender Unterwäsche subventionieren – aber bis heute
       haben sie mir nicht geantwortet.“
       
       Eines hat Tabet schon geschafft: Sie hat bei vielen Männern das Tabu um die
       Monatsblutung gebrochen. „Manche Männer rufen mich an, wenn sie im
       Supermarkt stehen und fragen, welche Marke oder Bindenform sie kaufen
       sollen.“ Ab und an helfen auch ihre beiden Töchter, Menstruations-Kits zu
       packen. „Sie wissen noch nicht, was die Periode ist, aber sie sollen
       lernen, dass Frauengesundheit nicht nur die körperliche, sondern auch die
       mentale Gesundheit betrifft.“
       
       Julia Neumann, Beirut 
       
       Mit der „Menstrupedia“ gegen Unkenntnis in Indien 
       
       Es war harte Arbeit, aber für Aditi Gupta und ihren Mann Tuhin Paul hat es
       sich gelohnt. Vor neun Jahren entwickelten sie mit Crowdfunding den
       [12][indischen Aufklärungscomic Menstrupedia], der mit Halbwissen um
       Menstruation aufräumt.
       
       Als junges Mädchen hatte Gupta Mythen über die monatliche Blutung gehört
       und unter dem Stigma gelitten, in dieser Zeit unrein zu sein. Sie nutzte
       Stoffreste, da sie sich aus Scham nicht traute, Binden zu kaufen.
       [13][Besuche in Hindu-Tempeln waren während der Menstruation] nicht
       erlaubt. Bis heute sieht man Schilder mit Warnhinweisen, die Frauen einmal
       im Monat den Eintritt verbieten.
       
       „Das beeinträchtigte mein Selbstbewusstsein und meine Ausbildung“, sagt
       Gupta. Erst viele Jahre später wurde ihr klar, dass sie, wie Millionen von
       Mädchen, die jährlich in Indien in die Pubertät kommen, eine Tortur ohne
       Grund durchmachte: „Weil Menstruation ein Tabu ist, [14][fehlen Toiletten].
       Über Regelschmerzen sprechen wir gar nicht. Das Leiden wird als weibliche
       Tugend gesehen“, so die 36-jährige Mutter.
       
       In Guptas Wahlheimat Gujarat dürfen Frauen während der Menstruation
       teilweise nicht kochen. „Ursprünglich sollte das den Frauen eine Pause von
       der Hausarbeit verschaffen. Es hat jedoch dazu geführt, dass Frauen als
       'unrein’ dargestellt werden“, sagt sie.
       
       Ihre Zielgruppe sind nicht nur die Mädchen ab neun Jahren, die sie mit
       sensibler Sprache und Zeichnungen über Körperbewusstsein und
       Menstruationsgesundheit aufklärt. „Das kollektive Wissen über die
       Menstruation muss sich ändern“, sagt sie. In der Vorbereitung für ihren
       Comic war Gupta bei vielen Familien, um über Menstruation zu sprechen. Sie
       wurde damals 'schamlos’ genannt. Widerstand erfuhr sie in der städtischen
       Mittelschicht mehr als in Dörfern.
       
       Heute sieht Gupta große Veränderungen. In Filmen, Social Media und Comedy
       ist die Monatsblutung kein Tabu mehr. Doch ihr begegnet immer wieder
       verblüffender Aberglaube: Frauen dürften während ihrer Tage nicht mit
       geöffnetem Haaren im Dunklen vor die Türe treten, auch Corona-Impfungen
       während der Monatsblutung seien nicht gut. Meist zielen solche
       Falschinformationen darauf ab, Frauen in ihrer Freiheit einzuschränken,
       sagt Gupta.
       
       Die erste Auflage des 88-seitigen Hefts erschien auf Englisch, bald folgten
       Indiens einheimische Sprachen Hindi, Bengali, Telugu und mittlerweile knapp
       20 weitere Sprachen, zuletzt Simbabwes wichtigste Landessprache Shona. Die
       Charaktere passte Zeichner Paul für das afrikanische Publikum an.
       
       Gupta hat mit „Menstrupedia“ bisher über 50.000 Mädchen und Frauen
       aufgeklärt. In Indien wurden die Hefte in Kooperation mit Organisationen
       wie dem UN-Kinderhilfswerk Unicef an 10.000 Schulen verteilt. Die
       Covid-19-Pandemie hat diese Arbeit vor Ort entschleunigt, da Schulen
       geschlossen wurden. Gupta, die sich kürzlich von einer Corona-Infektion
       erholte, setzt in dieser Zeit auf Workshops mit Pädagogen, Eltern und
       Kindern.
       
       Zwei weitere Pläne hat sie in diesem Jahr noch. „Wir haben festgestellt,
       dass ältere Mädchen Jüngere aufklären“, sagt Gupta. So arbeitet sie an
       einer Smartphone-App für die Großen. Szenen aus dem Comic wurden vertont
       und lassen sich [15][auf Youtube als Videos] finden. Und ihr Mann Paul hat
       sich mit Jungs auseinandergesetzt, die in die Pubertät kommen. Der nächste
       Aufklärungscomic ist also schon druckreif.
       
       Natalie Mayroth, Mumbai 
       
       Kenias Frauen und Mädchen offene Gespräche ermöglichen 
       
       „Weltweit ist Kenia ein Beispiel dafür, wie man mit Menstruation umgehen
       soll in ein Entwicklungsland. Aber es bleibt noch vieles zu wünschen
       übrig“, sagt Roisa Kerry bei einer Tasse Dawa, ein kenianisches Getränk aus
       heißem Wasser, Honig, Ingwer und Zitrone. Das sei eine leckere Medizin
       gegen Corona, sagt die 31-Jährige mit einem Augenzwinkern.
       
       Kerry ist Heilprakterin und setzt sich mit ihrer NGO „Live Healthy
       Initiatives“ für vieles ein, was mit Gesundheit zu tun hat. „Menstruation
       braucht einen multisektoralen Ansatz. Es geht nicht nur um Zugang zu
       Binden. Es geht auch um Hygiene, also [16][Vorhandensein von sauberem
       Wasser], privaten und guten Sanitäranlagen und Information.“
       
       Kenia war 2004 eines der ersten Länder der Welt, das die Mehrwertsteuer auf
       Binden strich, um sie für die Ärmsten bezahlbarer zu machen. Staatliche
       Schulen bekommen von den Behörden Binden, die sie [17][umsonst an
       bedürftige Schülerinnen verteilen sollen]. Auch hat die Regierung ein
       Regelwerk für wiederverwendbare Binden geschaffen, da es in Kenia diverse,
       aber nicht genügend Projekte von NGOs, Kirchen und anderen Organisationen
       dafür gibt.
       
       Ein Paket Wegwerfbinden kostet in Kenia immerhin umgerechnet knapp einen
       Euro. „Das ist viel Geld für eine Familie, die von einem Euro pro Tag leben
       muss“, erklärt Kerry. „In so einer Situation sind Binden weniger wichtig
       als Nahrung.“ Und obwohl Schulen kostenlose Binden verteilen, haben
       Schülerinnen nicht immer Zugang dazu, weil manche Lehrkräfte sie für ein
       Nebeneinkommen verkaufen oder an Familienmitglieder verschenken. Kerry hat
       eine Alternative: „Die Lösung ist ein Bindenspender. Die Mädchen bekommen
       von den Behörden jeden Monat einen Token, womit sie sich die Binden aus dem
       Spender holen können. Diese Behörden müssen dann auch die Automaten
       füllen.“
       
       Die Covid-19-Pandemie hat das Dilemma vergrößert. Kenias Schulen waren
       beinahe ein Jahr lang geschlossen, was für viele Mädchen ein Jahr ohne
       Binden bedeutete.
       
       Kerry bildet Freiwillige aus, die in Schulen und Jugendvereinen
       Informationen über Menstruation weitergeben – nicht nur an Mädchen, sondern
       auch an Jungen. „Es geht immer besser mit der Erläuterung. Dabei helfen
       auch die Sozialen Medien“, meint Kerry und zeigt ihre
       Aufklärungsmaterialen.
       
       Wie schnell die Zeiten sich ändern, zeigt Kerrys eigene Erfahrung als
       junges Mädchen. „Ich sprach nie mit meiner Mutter über die Periode. Wenn
       ich sie bekam, kaufte ich Watte, weil die anderen Mädchen in der Schule das
       auch so machten. Meine Schwester, die vier Jahre jünger ist, hörte ich
       eines Tages meine Mutter um Geld fragen, um Binden zu kaufen. Ich war
       damals entsetzt, dass man über so etwas sprechen konnte.“
       
       Ilona Eveleens, Nairobi
       
       28 May 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Australischer-TV-Spot-zu-Menstruation/!5627751
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   DIR [8] /Nach-den-Wahlen-in-Uganda/!5746587
   DIR [9] https://www.princesasmenstruantes.com/
   DIR [10] /Wirtschaftskrise-im-Libanon/!5700059
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   DIR [12] https://www.menstrupedia.com/
   DIR [13] /Nach-Gerichtsurteil-in-Indien/!5544141
   DIR [14] /Zum-internationalen-Welttoilettentag/!5725602
   DIR [15] https://www.youtube.com/watch?v=J_lKNPSve-k
   DIR [16] /Trinkwassermangel-in-Kenia/!5713749
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       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Tag der Menstruationshygiene: Danke für nichts, PMS!
       
       Am Weltmenstruationstag hat unsere Autorin nichts zu feiern, denn sie hat
       das Prämenstruelle Syndrom – und hasst dann alles, sogar ihre Kuscheltiere.
       
   DIR Neues Sachbuch über Wechseljahre: „Kein Mann würde das ertragen!“
       
       „Die gereizte Frau“ von Miriam Stein ist ein Buch über die Wechseljahre. Im
       Gespräch erklärt sie, warum das Thema immer noch marginalisiert ist.
       
   DIR Roter Reis zur Menstruation: Ein Schälchen Trost
       
       Der Umgang mit Menstruation ist komplex. In vielen Staaten wird die Regel
       tabuisiert, in anderen zelebriert – und in Japan beides gleichzeitig.
       
   DIR Gesetzesreform in Spanien: Drei Krankentage bei Regelschmerzen
       
       Spanien baut das Recht auf Schwangerschaftsabbruch aus. Frauen mit starken
       Regelschmerzen bekommen zudem ein Recht auf Krankschreibung.
       
   DIR Covid-19-Impfung und Menstruation: Wenn die Regel später kommt
       
       Falschinformationen erschweren die Debatte über Zyklusstörungen nach der
       Covid-Impfung. Dabei muss über erste Studiendaten gesprochen werden.
       
   DIR Die These: Ich will keine „Period-Revolution“
       
       Ich will nur einen Tampon! Unsere Autorin ist genervt von Hashtags wie
       #PeriodPositive. Vor allem, wenn es dabei nur noch ums Verkaufen geht.
       
   DIR Geflüchtete in Jordanien: Emanzipation mit der Rohrzange
       
       Wenn im Camp Jerash der Hahn tropft, darf kein Klempner vorbeischauen,
       solange kein „Hausherr“ anwesend ist. Deshalb gibt es jetzt Klempnerinnen.
       
   DIR Trinkwasser für Mumbai: An der langen Leitung
       
       Die indische Metropole verfügt über ausgezeichnetes Wasser, doch Devika
       More hat nichts davon. In ihrem Slum gibt es nur einen Hahn für alle.
       
   DIR Warum der Welttoilettentag wichtig ist: Unmöglicher Alltag
       
       Der Mangel an sicheren Klos in etlichen Ländern ist ein Desaster – vor
       allem für Frauen. Für sie ist er ein Entwicklungshindernis.
       
   DIR Zum internationalen Welttoilettentag: Ein Recht auf Pinkeln
       
       Klohäuser in Slums sind für Frauen oft gefährliche Orte. In Indien setzt
       sich eine Frauenbewegung für mehr Toiletten ein und bricht Tabus.